Die weiße Spinne

41 1 3
                                    

Angel hätte nie gedacht, jemals vor ihrem eigenen Haus Angst zu haben. Sie hatte das Gefühl, dass die vier Wände, die sie bedrohlich umkreisten, immer näher kämen. Die Luft fühlte sich wie stickiges Gas an, und schmeckte demensprechend. Bei jeden Lichtfleck, der durch die weißen Vorhänge am Fenster hindurchdrang und zu Boden oder an die Wand fiel, schreckte sie in ihrem schweißnassen Bett zusammen und zog die Decke wie ein verschrecktes Kleinkind hoch über den Kopf.

Deswegen bekam sie einen besonders großen Schock, als der Wecker neben ihren Ohr ihr entgegen kreischte.

Angel fiel vor Schreck und Panik beinahe von der Matratze hinunter, aber sie konnte ihr Gleichgewicht noch halten und schlug kräftiger als beabsichtigt auf den Wecker drauf, bis er verstummte und den Nachttisch nicht mehr zum wackeln brachte.

Angel hielt kurz mit weiten Augen und nasser Stirn inne, horchte nach irgendwelchen Geräuschen, aber alles was wie aus einem Megafon gesprochen in ihren Ohren dröhnte, war ihr eigender stoßartiger Atem.

Sie hob einen Arm und vergrub das Gesicht in ihre heißen Handflächen. Sie musste sich beruhigen, so konnte sie den Tag nicht beginnen. Es war Samstag, also musste sie heute nicht zur Schule gehen. Gott sei dank.

Obwohl, würde sie sich nicht in der Schule wohler fühlen? Dort gab es nämlich keine verschwommenen Männer, die dich aus Spiegeln anstarrten, keine Temperaturkatastrophe, und keine eiskalten Winde.

Aber was hatte sie schon für eine Wahl? Schließlich konnte sie nicht einfach zur Schule hopsen und dann vor der geschlossenen Tür den Tag verbringen.

Sie zwang sich, sich aufzusetzen, die grauen Pantoffeln aus der Ecke zu kramen und sie über die Füße zu ziehen. Da Angel keine Lust hatte, sich damit zu beschäftigen, vernünftige Sachen aus ihren Kleiderchaos im Schrank zu suchen, ergriff sie einfach ein viel zu großes Shirt mit einer gemütlichen, weichen Hose.

Müde zog sie sich an, und machte sich auf den Weg die Treppe hinab ins Wohnzimmer, welches noch gar nicht so voll war, wie sie es sich vorgestellt hatte: Nur Laura saß auf einen Sessel, hatte ihre rote Lesebrille an, und ein Buch auf den Schoß.

Als Angel den Raum betrat, hob sie ihren Blick, und sprach: "Guten Morgen, Liebling."

Angel zuckte bei der unerwarteten Begrüßung zusammen, bis sie die Stimme erkannte.

"Morgen, Mum." murmelte sie und versuchte ihr durchdrehendes Herz dazu zu zwingen, sich zu beruhigen. Sie konnte nicht den ganzen Tag wie ein verängstigtes Kaninchen um die Gegend wandern, immer auf der Suche nach der gruseligen, weißen Gestalt.

Angels Mutter schien natürlich wie immer sofort zu bemerken, das etwas mit ihr nicht stimmte, und fragte sie deswegen besorgt: "Alles in Ordnung, Engel? Geht es dir nicht gut?"

Angel ging mit zittrigen Schritten in Richtung Küche, und dachte kurz nach. Liebend gern würde sie ihrer Mutter über diese Temperaturkatastrophe  erzählen, und von den schaurigen, verschwommenen Mann, der sie im Badezimmer wie gebannt angestarrt hatte, und wie er dann einfach so verschwunden war.

"Nein, Mum, mir geht es gut." Antwortete Angel. Sonst würden ihre Eltern noch denken, die wäre verrückt, und musste zum Psychologen oder zu irgendjemanden, zu dem sie garantiert nicht gehen wollte.

Bevor Laura antworten konnte, war ihre Tochter schon in der kühlen Küche verschwunden, und machte sich daran, die Schränke nach etwas Essbarem zu untersuchen, wobei sie immer wieder prüfende und ängstliche Blicke über ihre Schulter warf, als ob sie erwarten würde, das der Mann jede Sekunde wieder auftauchen könnte.

Als sie den nächsten Küchenschrank jedoch öffnete, erwartete sie eine ganz andere Überraschung. Eine fette, haarige Spinne kam aus einer Packung Cornflakes gekrabbelt und tastete sich den Weg über Angels Finger.

Mit einen lauten Aufschrei schreckte Angel zurück und wedelte wie wild mit den Händen. Die Spinne flog aus ihrer Hand und klatschte gegen die Wand, wo sie zu Boden rutschte. Angel trat ein paar Schritte von ihr zurück, aber trotzdem wurde ihr Blick schmaler.

Das Tier war ganz weiß, und bewegte sich nicht so wie seine Artgenossen. Es sah so... Menschlich aus.

"Angel? Was ist passiert?"

Die panische Stimme ihrer Mutter ließ ihren Blick von der merkwürdigen Spinne abschweifen.

"N...Nichts, nur eine Spinne." Antwortete Angel zögerlich und suchte wieder nach dem komischen Tier, aber es war nicht mehr da. Angels Mutter sagte nochwas, aber ihre Tochter hörte es nicht mehr, da sie sich wunderte, wo das Tier hin verschwunden war. Kopfschüttelnd ließ sie von der Stelle ab, wo sie zu Boden gefallen war. Angel strich sich über die Stelle, wo die Beine der Spinne über ihre Finger gekrabbelt waren. Es war so, als hätte sie sie gar nicht gespürt. Hatte die Spinne sie überhaupt berührt?

Als sie sich daran machte, sich Frühstück zu machen, achtete sie auf jedes Anzeichen des Tieres, aber nirgendwo konnte sie sie entdecken.

Als sie sich ins Wohnzimmer zu ihrer Mutter gesellte, die sie mit einen besorgten Blick musterte, hatte sie die Spinne schon aus ihren Gedächtnis verbannt.

Ghost Soul Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt