Der Mann im Spiegel

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Angel hatte noch nie so einen unruhigen Schlaf gehabt. Jede gefühlte Minute wurde sie aus ihren Albträumen gerissen. Das lag an der extremen Hitze in ihrem Zimmer. Sie hatte ihre Decke schon von sich geworfen und versuchte, es sich etwas kühler zu machen, indem sie ihr einigstes Fenster öffnete, doch davon spürte sie kaum etwas.

Als sie jedoch das nächste Mal aufwachte, schloss sie es hastig wieder und zog ihre Winterdecke über ihren Kopf. Es war so eisigkalt, so kalt,  das sich vor ihrem Mund kleine Wolken bildeten, wenn sie ausatmete.

Die Temperatur spielte ihr einen Streich und gab nicht so einfach auf, egal wie doll sich Angel auch bemühte, ruhigen Schlaf zu bekommen. Kurz nachdem sie nur die Augen schloss, wurde es entweder brennend Heiß oder eiskalt.

Angel schnaufte, als ein erneuter Windhauch ihr durch die Haare fuhr und ihr einen Schauer den Rücken runter jagte. Rot im Gesicht vor Wut, riss die die Bettwäsche von sich und starrte in die Finsternis in ihrem Zimmer.

"Was um Himmels willen geht hier bitte vor?" beschwerte sie sich leise in die Dunkelheit hinein, tastete mit ihren rechten Arm nach ihren Nachttisch, und knipste die kleine Lampe darauf an einen Schalter an.

Angels Zimmer wurde von einem weißen Licht durchflutet, das aber leider nicht dazu reichte, auch die hinterste Ecke des Raums zu beleuchten.

Angel stütze sich auf ihre Unterarme, um sich aufzusetzen. Mit beiden Händen rieb sie sich verschlafen die Augen, und entschied sich dazu, sich ein Glas Wasser vom Badezimmer nebenan zu holen. Sicherlich würde es ihr danach besser ergehen und sie könnte endlich mal den nötigen Schlaf finden, den sie sich so sehr wünschte.

Als ihre nackten Füße den Boden berührten, zuckte sie kaum merklich zusammen. Die Kälte krabbelte an ihren Beinen hoch und verbreitete sich in ihren Körper. Es fühlte sich an, als ob sie von einem Blitz getroffen wurde, und zwar von einem gefrorenen.

Ihr Blick huschte an ihr hinab und betrachtete das alte Holz unter ihren Füßen.

Unglaublich.

Feine Eiskristalle glitzerten am Untergrund und ließ kleine Dampfwolken empor steigen. Ungläubig starrte Angel sie mit offenem Mund an, schüttelte dann aber hastig den Kopf. Wie kalt musste es denn hier drin bitte sein, das sich schon Eis bildete?

Draußen im stockdunklen Flur war das Klima völlig normal, keine Hitzewelle machte sich an Angel zu schaffen und kein eisiger Wind durchfuhr ihre blonden Haare. Sie ignorierte das verwunderte Gefühl in ihr, das sich fragte, warum sie die einzige in diesem Haus sei, bei der die Temperatur verrücktspielte.

Sicherlich ist es nur die Heizung, die kaputt ist. Sollte mich nicht wundern, schließlich ist sie schon steinalt. vermutete Angel und tastete sich Richtung Badezimmer ab.

       

Sie wäre beinahe gegen die Tür gerannt, konnte sich jedoch halten und ergriff suchen den Türknauf. Mit einem kleinen Ruck ließ sie sich quietschend öffnen.

Ihr Vater hatte noch keine Zeit gefunden, dieses nerv tötende Quietschen zu beheben. Angel war vorsichtig, als sie sie wieder schloss, um keinen damit zu wecken.

Das Badezimmer war recht kühl, aber zum Glück noch längst nicht so kalt wie es eben in ihrem eigenen Zimmer war. Es gab kein Fenster, aber trotzdem strahlte irgendetwas in diesen Raum Kälte aus.

Angel, die genug von der Temperaturkatastrophe hatte, trottete verschlafen und mit zerzausten Haaren hinüber zum Waschbecken. Das Licht der Lampe über ihr an der Decke blendete sie etwas, wodurch sie die Augen zu Schlitzen verengt hatte.

Mit beiden Händen stützte sie sich an den Rand des Waschbeckens, um vor Müdigkeit nicht vornüber zu kippen.

Sie drehte langsam den Wasserhahn auf, und spritzte sich etwas davon ins Gesicht, um etwas wacher zu werden. Die Feuchtigkeit fühlte sich angenehm an, aber trotzdem ergriff sie sich ein Handtuch, das neben den Waschbecken hing, und trocknete sich ihr Gesicht wieder ab.

Als sie ihren Blick hob und in den Spiegel vor ihr starrte, sah sie zuerst Ringe unter ihren Augen, so schwarz wie es draußen in der Nacht war.

Aber als sie etwas hinter sich aufleuchten sah, erstarrte sie und ihr Herz setzte aus.

Sie war nicht allein.

Ein fremder Mann stand hinter ihr. Er war ungefähr zwei oder drei Jahre älter als sie.

Völlig in weißen, altmodischen Klamotten gekleidet, die sie an die Statue von draußen erinnerte, stand er mindestens einen Meter hinter ihr. Die schneeweißen Augen, die unheimlich leuchteten, starrte er sie im Spiegel an.

Seine Umrisse waren völlig verschwommen, aber trotzdem war er da.

Angel ließ einen stummen Schrie von sich, wirbelte mit panischer Miene herum, aber da war nichts. Nur Luft befand sich vor ihr.

Angel, die ihr Herz bis zum Hals schlagen fühlen konnte, wandte ihr Gesicht wieder der Glasscheibe zu. Sie schaute an sich selbst vorbei, aber alles was sie dort sehen konnte, waren die Duschvorhänge und die Toilette.

Gefühlte Stunden starrte sie mit großen Augen auf die Stelle, wo der Mann sich gerade eben noch befunden hatte, darauf wartend, er würde wieder auftauchen. Aber das passierte nicht. Das einzige, was sie gerade anschaute, waren die Teddybären auf einen Handtuch neben der Dusche.

Angel riss sich von der Starre los und hob eine Hand gegen die Stirn, wobei sie fühlte, das sie schweißnass war.

Das stand gerade einem wildfremden Mann direkt hinter ihr, völlig in Weiß. Selbst seine Augen und Haare waren keine Ausnahme gewesen.

Schwer Atmend blieb sie kurz dort stehen, lehnte sich gegen das Waschbecken, bis ihr Herz aufhörte, wie wild gegen ihren Brustkorb zu hämmern.

Du bist müde, Angel. Das war nur die Müdigkeit, die dir einen Streich gespielt hat.

Versuchte Angel sich einzureden, aber so richtig wollte es nicht funktionieren. Sahen so etwa Halluzinationen aus? So real? So lebendig?

Sie ging hinaus in den Flur und sofort zurück zu ihren Zimmer. Das Wasserglas hatte sie völlig aus ihren Gedächtnis verbannt. Der weiße Mann hatte ihr alle Sinne genommen.

Unbeholfen stolperte sie Richtung Himmelsbett, ließ sich zitternd darauf nieder und zog die Decke die ihr eigentlich viel zu warm war hoch über den Kopf.

Egal, was davor in ihren Zimmer abging, nun konnte sie erst recht kein Auge mehr zudrücken.

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