VI - Nathen

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"Was hast du jetzt vor ?"
Auch ohne mich umzudrehen, wusste ich wer hinter mir stand.
Derjenige der mir schon so oft den Arsch gerettet hatte, der jedes verdammte mal seine Hand für mich ins Feuer legte. Diesesmal würde er mich nicht vor einer Dummheit bewahren können.
Ich antwortete nicht, ich sah dem Laub zu wie es vom Wind über den Rasen, in die Luft geweht wurde. Die Blätter, sie waren so frei, so schwerelos.
"Nate, ich habe dich was gefragt ?" seine Stimme klang gereizt.
Anstatt ihm zu antworten, ging ich einfach.
Er folgte mir. An der Schulmauer holte er mich ein und hielt mich fest.
"Verdammt Nathen was soll der Scheiß ? Du kannst nicht jedesmal wenn du ein Problem hast einfach weglaufen. " seine Stimme wurde immer lauter. " Du benimmst dich wie ein elendiger Feigling."
Ich drehte mich wütend um, hatte er mich gerade einen Feigling genannt ?
Meine Stimme donnerte vor Wut. " Ich bin kein Feigling.
Hast du sie da drinnen stehen sehen, hast du ihre Blicke gesehen?
Ich bin einfach nur eine Enttäuschung für sie."
Jaden's Stimme zitterte nun ebenfalls vor Wut. "Wann hörst du endlich auf, dich selbst zu bemitleiden ? Merkst du nicht was du deinen Eltern damit antust? Sie sind nicht von dir enttäuscht, sondern davon was du aus deinem Leben machst. Du schmeißt es weg. Denkst du er hätte gewollt, das du dein Leben aufgibst ? "
Mein Körper spannte sich an. Ich holte mit der Faust aus und stieß sie so fest ich konnte gegen die Mauer. Die Haut auf meinen Fingerknöcheln begann sich zu öffnen, ich spürte wie sich etwas warmes über meine Hand ergoss. Der Schmerz schoss meinen Arm hinauf, doch ich ignorierte ihn.
"Halt ihn da raus, das hat rein garnichts mit ihm zutun" mein wütender Blick durchbohrte ihn.
Ohne ein weiteres Wort ging er.
Ich hielt ihn nicht zurück.
Für einen kurzen Moment, schloss ich die Augen.
Und dann sah ich ihn.
Er stand vor mir, seine kleinen Kinderaugen blickten Stolz und voller Liebe zu mir auf.
Auf seinem kleinen Mund, lag ein warmes lächeln.
Der pochende Schmerz in meiner Hand, riss mich in die Realität zurück.
Meine Augen öffneten sich.
Ich rief nach ihm. " Josh? "
Doch er war weg.

***

Als ich den Truck auf die Straße fuhr, überlegte ich einen Moment.
Um ein Haar wäre ich nach Osten, zurück nach Hause abgebogen.
Doch dann fiel mein Blick auf die Wunde an meinem Handknöchel und ich fuhr nach Westen, Richtung Brooklyn. Ich brauchte das jetzt.
Zwanzig Minuten später, erspähte ich in unmittelbarer Nähe das Ortschild "Brooklyn".
Ein Blick zur Uhr, versicherte mir das ich noch eine Stunde Zeit hatte, bevor ich zur Fabrik musste.
Also beschloss ich, an unseren Ort zu fahren.
Den Truck parkte ich nahe einer Baumgrenze und stieg aus.
Unter blauem Himmel wanderte ich den Hügel hinauf.
Oben angekommen setze ich mich ins Gras.
Von ihr oben hatte man ein fantastischen Ausblick.
Außerdem hatte dieser Ort etwas idyllisches, ja fast schon etwas geheimnisvolles an sich.
Vor mir ergoss sich ein kristallblauer Fluss ins Tal.
Früher war ich oft hier. Es war mein Rückzugsort, hier fühlte ich mich sicher.
Doch seit Josh's Tod mied ich diesen Ort.
Zu oft verbrachte ich hier glückliche Stunden mit ihm.
Meine Gedanken schweifen zurück.
"Nathen, Nathen ich habe es geschafft ich war vor dir oben" er sah mich aus leuchtenden Kindern Augen an.
Ich strubbelte ihn durch sein dunklen Wuschelkopf und erwiderte liebevoll.
"Ja kleiner Mann du warst schneller."
Gemeinsam setzten wir uns ins Gras und schauten dem Fluss beim fließen zu.
Plötzlich wendete er sich mir zu und sah mich ernst an. "Nathen wenn ich groß bin, möchte ich genauso werden wie du".
Erstaunt sah ich ihn an. " Warum ?"
"Weil Mama und Papa dich so dolle lieb haben".
Mein Gesichtsausdruck veränderte sich, er wurde weich." Hei kleiner Mann, ich verspreche dir das Mama und Papa dich genauso lieb haben wie mich."
Ich kehrte in die Realität zurück.
In meinem Inneren zog es sich schmerzhaft zusammen. Langsam spürte ich wie mich die schmerzhafte Leere überkam. Es wurde Zeit.
Die Fahrt zur alten Fabrik kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit.
Ich parkte mein Truck abseits und ging zu Fuß weiter, so war es unauffälliger.
Vor einer alten, heruntergekommenen Fabrik blieb ich stehen. Schon vor langer Zeit, sollte diese verfallene Ruine abgerissen werden, doch die Gemeinde war dagegen.
Da die Räumlichkeiten ein Zufluchtsort für die Obdachlosen boten. Sonst verirrte sich nur selten jemand an diesen Ort, das lag daran das das Gebäude als Einsturzgefährdet galt.
Hin und wieder suchten ein paar Leute diesen Ort, aus dem selben Grund wie auch ich auf.
Mit einem lauten knarren öffnete ich die Tür, prompt kam mir ein kühler Luftzug entgegen.
Ich ging ein paar Schritte, nun stand ich in einer riesen großen verlassenen Halle.
Randon schien noch nicht da zu sein. Zumindest sah ich ihn noch nirgendswo.
Wie aus dem nichts packte mir eine Hand von hinten auf die Schulter.
Ich zuckte zusammen und wandte mich um.
Vor mir sah ich das hässliche Lachen von Randon. " Ey Nathen seit wann so schreckhaft ?" fragte er feixend.
Ich schenkte ihm einen feindselligen Blick.
Auch wenn ich mich jedes mal aufs neue von ihm beliefern ließ, ich konnte diesen Mistkerl nicht ab. Am liebsten würde ich ihm sein dreckiges Lachen aus dem Gesicht schlagen. Aber er hatte etwas was ich brauchte. Und zwar dringend.
"Hast du es dabei?" fragte ich mürrisch.
Er sah mich immer noch lachend an und steckte sich eine Zigarette in den Mund.
"Klar habe ich es dabei, hast du die Kohle dabei?" er kramte ein Feuerzeug aus der Tasche, schirmte es mit der gewölbten Hand ab und zündete seine Zigarette an.
Ungeduldig reichte ich ihm das Geld aus meinem Portmonee rüber.
"Was ist mit deiner Hand passier ? Hast du dich wieder ordentlich an jemandem ausgelassen und außerdem dachte ich du willst mit dem scheiß aufhören ? Hast du nicht letztens gesagt, das ist das letztemal das du es nimmst. " Fragte er spitz, während er auf die Spitze seiner Zigarette tippte und die Asche auf die Erde schwebte.
"Also nicht, das ich mich nicht freuen würde. Ich freue mich immer, wenn alte Kundschaft den Weg zu mir zurück findet."
Mein Gesichtsausdruck verhärtet sich." Ich bin nicht hier, um mit dir über mein Leben zu reden. Gib mir einfach den Stoff und Gut ist."
"Ist ja schon gut, da kann es wohl einer garnicht abwarten." erwiderte er.
Aus der Tasche zog er ein weißes Tütchen.
In diesen Moment nahmen wir das knarren der Tür wahr und erstarrten.
Mist.

I'm LostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt