V - Rosé

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Was hatte ich mir nur dabei gedacht ? Warum war ich ihn so angegangen ?
Jetzt würde alles wieder von vorne losgehen, die Schikanen und Demütigungen.
Ich hatte es ja förmlich herausfordern müssen.
Langsam, stieg Wut in mir auf. Wut gegen mich selbst.
Da war er wieder, dieser Selbsthass, der mich innerlich zerfrass. Doch die Wut richtete sich nicht nur gegen mich,
nein, sie richtete sich auch gegen ihn.
In diesem Moment fing ich seinen Blick auf.
In ihm spiegelte sich Wut und Abneigung. Ich drehte mich weg.
In diesen Moment beschloss ich ihn zu hassen.
                                   ***

"Hei sag mal träumst du ?"
Ich schaute auf und sah in Amy's fragendes Gesicht. Sie musste mich schon eine Weile beobachtet haben.
Nach meinem Ausraster auf dem Flur, hatten wir uns auf den Weg zur Cafeteria gemacht.
Dort hatten wir uns etwas zu Essen geholt und einen Tisch in der hintersten Ecke aufgesucht.
"Oh Endschuldige, ich war gerade wohl irgendwie nicht anwesend." stammelte ich.
"Ja das ist mir aufgefallen. Sag mal Rosé, ich will ja nicht neugierig sein und eigentlich geht es mich ja auch nichts an, aber kann es vielleicht sein das Nathen etwas gegen dich hat ? fragte sie unsicher. Wie sollte ich ihr diese Frage beantworten können, wenn ich doch selbst keine Antwort darauf wusste.
"Rosé ?"hakte sie nach weil ich nicht antwortete
Ich erwiderte ihren Blick ernst. " Woher soll ich denn das wissen. Ich kenne diesen Typen gerade einmal einen Tag, wenn er beschließt das er etwas gegen mich hat, dann ist das sein Problem und nicht meins".
Dieses Gespräch entwickelte sich gerade vollkommen in die falsche Richtung. Ich hatte keine Lust über Nathen zureden oder gar wegen ihm zu streiten.
"Tut mir Leid das ich gefragt habe, aber es ist wirklich sehr seltsam. Eigentlich hat Nathen noch nie etwas gegen ein Mädchen gehabt, beziehungsweise ist er bei noch keinem so aus der Haut gefahren." murmelt sie entschuldigent.
Da ich keine Lust habe weiter auf dieses Thema einzugehen, zuckte ich nur mit den Schultern und wendete mich meinem Essen zu.
Plötzlich merkte ich wie Amy's Körper sich anspannte. Ich folgte ihrem Blick und sah den Grund.
Zoè steuerte mit einer Gruppe Mädchen auf uns zu. Vor unserem Tisch blieben sie stehen. "Was willst du von uns? " fragte Amy genervt. "Von euch will ich bestimmt nichts. Da haben sich ja zwei Loser gefunden. Na Amy hast du der lieben Rosé schon von deinen Vorlieben erzählt?" erwidert Zoè mit einem verächtlichem Schnauben. Amy warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
Ich kam garnicht erst dazu, zu fragen wovon sie sprach, da sich in diesem Moment ein riesen nasser Fleck auf meiner Hose ausbreitete. Neben mir vernahm ich ein lautes "huch das tut mir jetzt aber Leid" von Zoè.
Mit einem Satz sprang ich auf und versuchte mit einem Tuch, ein wenig von der Katastrophe zu beseitigen aber es gelang mir nicht, stattdessen breitete sich der Fleck immer weiter aus und das Gelächter der um uns rum sitzenden nahm zu. Nun hielt mich nichts mehr, ich wollt einfach nur noch weg, weg von dem Gelächter weg von Zoè.
Mit schnellen Schritten bewegte ich mich Richtung Ausgang. Warum passierte sowas immer mir? Warum mussten mich ständig alle fertig machen?
Merkten die Leute nicht wie sehr sie einen Menschen mit ihren Worten und Taten verletzen konnten.
Ich versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ich wollte durchhalten, stark bleiben. Doch mit jeder Träne verlor ich an stärke.
In weiter Ferne sah ich Nathen mit dem Rücken zu mir gewand, in unmittelbarer Nähe standen eine Frau und ein Mann. Ich wollte weiter gehen doch irgendetwas hielt mich ab. War es vielleicht die Art wie er dort stand ? Er wirkte so jung und verletzlich.
Aufeinmal drehte er sich um und verließ die Schule. Sie riefen ihm nach, doch er hörte schon nichts mehr.

                                      ***
Auf der Toilette schob ich die Ärmel hoch und wusch mir als erstes mein Gesicht.
Der Anblick im Spiegel erschreckte mich jedesmal auf's neue.
Das Mädchen was mir entgegen schaute wirkte leblos.
Leere braune Augen waren mit schwarzen Ringen gezeichnet. Ein schmales paar Lippen, das seit einer Ewigkeit kein Lächeln mehr zierte.
Lautlos ging die Tür auf.
Amy stand vor mir und schaute mich mitleidig an.
Genau das war es, was ich jetzt am wenigsten gebrauchen konnte. Mitleid.
Wie oft hatte ich diesen Blick in den letzten Jahren gesehen und nie hatte es etwas geändert.
Von Mitleid wurden sie auch nicht wieder lebendig..
"

Rosé ? " ihr Blick hing schockiert an meinem Arm.
Nein, ich konnte das jetzt nicht, ich konnte ihr nicht erklären warum.
Kam es mir nur so vor, oder wurde die Luft hier drinnen immer knapper ?
Ich musste  raus an die frische Luft, weit weg von hier.
Mein Griff glitt zur Tasche, ich öffnete die Tür und lief.
Meine Füße stoppten erst als ich die Schule  hinter mir gelassen hatte. Gerade als ich die Bushaltestelle erreicht hat fuhr der Bus ein.
 
                                      ***

Nach zwanzig Minuten hielt der Bus, ich stieg aus und machte mich auf den Weg.
Der Blick zur Uhr verriet mir das es gerade mal um zwei war.
Ich betete dafür das Dan und Fiona noch nicht da waren.
Der erste Weg würde mich zu meinem Nachtschränkchen führen. Ich brauchte ihn, den Schmerz. Der Schmerz der mich vergessen ließ.
Kurz nachdem ich die Haustür hinter mir zugezogen hatte, sah ich das ich kein Glück hatte.
Dan und Fiona saßen am Küchentisch und aßen. " Rosé, was machst du denn schon hier ? " fragte Fiona überrascht.
Ich erwiderte nur achselzuckend " Keine Lust mehr gehabt."
"Aber du kannst doch nicht einfach, die Schule verlassen nur weil du keine Lust mehr hast . " fügt  Fiona erschrocken hinzu.
Ich sah sie mit einem herausfordernden Blick an. " Ihr seit nicht meine Eltern, ihr habt mir garnichts zu sagen."
In ihrem Blick veränderte sich etwas, ich sah wie sich Enttäuschung  und Trauer darin breit machte und im nächsten Moment taten mir meine Worte schon wieder Leid.
Doch bevor ich mich entschuldigen konnte mischte Dan sich nun auch ein.
Er nahm seine Frau tröstend in den Arm und sah mich ernst an. " Wir wissen das wir nicht deine Eltern sind und ja wir wissen auch das wir sie nicht ersetzen können, doch das gibt dir nicht das Recht so mit uns zu reden."
Dieser Anblick, ich konnte ihn nicht ertragen.
Ich sah das meine Worte sie sehr verletzt  hatten.
Die Reue wurde immer größer, länger konnte ich mir das nicht mehr angucken.
Ich ging zur Treppe, aus dem Augenwinkeln sah ich das Fiona mir folgen wollte, doch Dan hielt sie mit einem Kopfschütteln zurück.
Im Zimmer griff ich gleich ins Nachtschränkchen und holte sie raus.
Im Licht des Zimmers, schimmerte das Silber der Klinge mir freudig entgegen.
Ich setzte an und zog sie durch.
Der rote Fluss  vermischte sich mit meinen Tränen, die nun langsam anfingen zu fließen.
Gemeinsam flossen sie zu Boden. Wieder hatte ich mich aufgegeben. Wieder hatte ich dem Drang nachgeben.
Der Schmerz setzte ein.
Endlich.

I'm LostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt