Kapitel 2

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Völlig verschlafen schrecke ich hoch, mein Wecker piepst und ich beeile mich ihn auszuschalten. Ich setze mich in meinem Bett auf und schaue erstmal auf die Uhr: Zeit um aufzustehen !Völlig unmotiviert suche ich mir einen Pulli und eine Hose um mich mit meinem Zeug ins Bad zu schleichen, damit mein Vater auf keinen Fall aufwacht.

Fertig angezogen stehe ich unten in der Küche und esse hastig einen Apfel, bei dem ich denke, dass es nicht auffallen würde, wenn er fehlt. Mein Blick fällt auf die Küchenuhr, die es auch mal nötig hätte abgestaubt zu werden. Da es bereits 07:20 Uhr ist und ich unter keinen Umständen zu Spät kommen möchte ziehe ich mir meine Schuhe und meine Jacke an und laufe los in Richtung U-Bahnstation.

In der Schule angekommen, wählte ich den direkten Weg zu meinem Spind um meine Bücher zu holen. Ich versuchte immer nur das Nötigste an Schulsachen mit nach Hause zu nehmen, da mein Vater als er einmal betrunken wie er war, mein Vater Schulzeug quasi vernichtet hatte.

Da ich nicht mehr viel Zeit hatte, schlug ich hastig meine Spind Tür zu und erschrak heftigst, als sich jemand hinter mir räusperte.

Ruckartig drehte ich mich um und sah in das Gesicht von Alejandro. Mit unbewegter Miene stand er vor mir, schnell ließ ich mir meine Haare vors Gesicht fallen, damit er mein blaues Auge nicht sehen kann.

Vorsichtig räusperte ich mich und hob meinen Kopf leicht, ich wollte mich ihm gegenüber nicht ausgeliefert fühlen, auch ,wenn ich es unumstritten war. Er musterte mich ausgiebig, ich betete geradezu, dass er mein Veilchen nicht sah. 

Eigentlich habe ich den Glauben an Gott verloren, man sagt Gott ist für die menschen da, Gott greift ein, wenn es den Menschen schlecht geht, es zu heftig wird. Doch, wenn das stimmen würde, wäre meine Mutter nicht einfach abgehauen oder hätte mich wenigstens nicht einfach alleine bei meinem 'leicht verkorkstem' Erzeuger zurückgelassen.

Ein Schnipsen nahe meines Ohrs holte mich in die Gegenwart zurück. Auf einmal stand er mir ganz nahe, sofort stolperte ich einen Schritt zurück, drückte meine Bücher enger gegen die die Brust und verfluchte gleichzeitig mein Spindschloss in den Rücken drückte. Zum Glück blieb Alejandro an Ort und Stelle stehen, starrte mich aber wieder intensiv an und sagte nach einer halben Ewigkeit :"Du sollst mir Nachhilfe geben, Anweisung von Mr. Leema. Komm nach Schulschluss zu meinem Motorrad. Und sei pünktlich!" Völlig perplegs schaffte ich es nur zu nicken.

Ohne mich auch nur noch einmal anzusehen ging er den Gang runter und verschwand um die Ecke. Den Kopf schüttelnd bemerkte ich erst jetzt wirklich, dass ich, wenn ich noch pünktlich kommen möchte, ich mich nun wirklich beeilen sollte. Seufzend lief ich los zu meinem Kursraum.

Physik, Deutsch, Geschichte, Mathe und Englisch zogen an mir vorbei und das einzige was ich tat war abwesend aus dem Fenster zu starren und nachzudenken. Ich war froh, dass die Lehrer akzeptierten, dass ihre beste Schülerin offensichtlich nicht am Unterricht teilnehmen wollte. Ich hatte auf der einen Seite Angst davor Alejandro abzusagen, dadurch hatte ich allerdings meinen Vater im Nacken. Wenn ich Alejandro Nachhilfe geben würde, müsste ich aber Angst vor meinem Vater haben müssen. Ich entschied mich aber für die Option Vater warten lassen und m ir Alejandro zu gehen. Alejandro ist über den Tag verteilt einfach die größere Bedrohung und einer Bedrohung sollte man bekanntlich nie den Rücken zu drehen!

So verging der Schultag viel zu schnell und Schlussendlich stand ich nun neben Alejandros Motorrad und wartete auf ihn, während es anfing zu tröpfeln. Zum Glück kam Alejandro recht schnell, sodass ich noch nicht allzu nass wurde. "Ich hab keine Helme, ich hoffe, dass das in Ordnung für dich ist, sonst kannst du laufen," sagte er zu mir als er neben mir stehen blieb und schauten auf mich runter. Wortlos setzte ich mich auf den hinteren Sitz des Motorrads.

Wir fuhren nun schon eine halbe Stunde, der Regen verschlimmerte sich immer mehr, durchnässte mich allmählich bis auf die Knochen und ich spürte wie ein Kälteschauer sich meine Wirbelsäule hinab kroch. Wir hielten vor einem Kleinem Einfamilienhaus mit abgeblätterter weißer Farbe .

Wir gingen ohne ein Wort zu sagen hinein und hoch in sein Zimmer. Bis jetzt war er ja sogar ziemlich freundlich mir gegenüber gewesen, was mich wirklich sehr erstaunte! Die Einrichtung bestand bestimmt nicht aus den teuersten Möbeln aber die Möbel standen in Grüppchen zusammen und strahlten ein behagliches und auch heimisches Gefühl aus. Nicht so wie bei mir "Zuhause"; unsere Möbel standen mehr oder weniger sinnlos im Raum herum.

Wir lernten lange und ausgiebig, er hatte mal nichts an mir auszusetzen, blieb freundlich und gelassen. Ich hätte mir nie träumen lassen mal so von ihm behandelt zu werden! Ich ahnte auch, dass er nicht einfach nur dumm war, sondern sich einfach nur nicht mit dem Unterrichtsstoff beschäftigte. Allerdings vergaß ich über Kathetensätze, Geometrische Formel & Co völlig die Zeit, sodass es erst 22:00 Uhr war, als ich aufhören konnte zu erklären.

Ich war wirklich überrascht als er mir Anbot mich nach Hause zu fahren, allerdings auch nur unter dem Argument, dass Mann um diese Uhrzeit kein Mädchen alleine durch das dunkle verlassene Viertel gehen lassen sollte. Da ich auf dem Hinweg gesehen hatte, dass schon Tagsüber so einige finstere Gestalten unterwegs waren willigte ich mehr oder weniger erleichtert ein.

Dummerweise setzte er mich direkt vor der Haustür ab, da ich nicht mitgedacht hatte und ihm nicht einfach irgendeine Adresse von ein paar Straßen weiter gegeben hatte.

Ich sah meinen wütenden Erzeuger schon wütend im Fenster stehen und auf mich warten. Wahrscheinlich hatte er sich seinen Gürtel zurecht gelegt um gleich loslegen zu können. Ich schluckte schwer, murmelte ein leises " Tschüss und Danke fürs fahren in seine Richtung, schloss kurz meine Augen um Kraft zu sammeln, für das was mich gleich erwarten würde.

Ich lief den mir unendlich langen mit Kieselsteinen ausgelegten und mit Unkraut überwucherten Weg zu Haustür, wusste, dass mein Höllen Aufenthalt jetzt erst richtig losgehen würde...

Mein ganzes halbes LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt