Kapitel 1

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Ist dir mal aufgefallen wie sehr das Schicksal mit uns spielt? Wie viel Glück wir täglich haben? Wie viele Zufälle uns treffen? Wir schätzen zu wenige Dinge im Leben. Es sind zwar nur Kleinigkeiten, die mich faszinieren. Aber nach dieser Geschichte verstehst du vielleicht, was genau ich meine. In dem Sinne, viel Spaß bei meiner Geschichte :)

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Die Uhr tickte. Das Radio rauschte etwas. Ich lag auf meinem Bett, hatte die Beine überkreuzt und hielt mein Handy, auf dem ich mir Videos ansah, etwas verkrampft über meinen Kopf. Mir war irgendwie langweilig. So langweilig, dass mir das Handy irgendwann ins Gesicht fiel und ich nicht wusste, ob ich über meine Dummheit lachen oder weinen sollte. 

Ich entschied mich, relativ schnell diese Peinlichkeit gekonnt zu verdrängen und den Kühlschrank zu plündern. Sturmfrei! Jene Tage, an denen die - ach so nervigen - Eltern mit dem kleinen Bruder für eine Nacht weg waren, waren eindeutig die besten. Etwas Enttäuscht über ein paar verkümmerte Essensreste der letzten Tage, die ich im Kühlschrank fand, entschloss ich mich mir aus der Familienkasse 10 Euro zu "borgen" und zum, gleich um die Ecke liegenden, Supermarkt zu fahren um mir eine Pizza zu kaufen. Und mit Borgen meine ich nicht ausleihen, sondern einfach nur nehmen und hoffen, dass es Keiner merkt. 

Ich schnappte mir kurz darauf meinen Schlüssel, schloss drei Mal ab und schwang mich elegant auf's Fahrrad. Gut, ich gebe zu, ich hätte die zwei Minuten Weg auch zu Fuß überwinden können, aber an einem solchen Abend gönnte ich mir eine große Portion Faulheit. Am Supermarkt angekommen, wunderte ich mich etwas über die Leere des davorliegenden Parkplatzes, und als mir bewusst wurde, dass um diese Uhrzeit eigentlich kein Geschäft mehr auf haben konnte, seufzte ich tief und schlug mir gegen die Stirn. Warum musste mir meine Selbstständigkeit nur immer beweisen wie wenig intelligent ich wirklich war? 

Tja, da blieb mir wohl nichts anderes übrig, als um kurz vor elf Uhr zurück nach Hause zu fahren und hungrig einen Fernsehabend allein zu verbringen. Ich stieg träge die Treppenstufen nach oben hinauf und ging in das Arbeitszimmer meiner Mutter. Eigentlich hasste es Mom, wenn ich einfach in ihr Zimmer ging und rumwühlte, aber das war ja das Positive daran, allein zu sein. Tun und lassen können, was man will.  

All das tun, was verboten ist. Einfach mal die schwersten Karaokelieder singen, obwohl man wie eine Klospülung klang. Einfach in den hässlichsten Klamotten rumlaufen, die man fand. Einfach mal man selbst sein! Ich schnappt mir mein Fotoalbum aus Moms Schrank und setzte mich mit diesem vor den laufenden Fernseher in mein Bett. Es lief das A-Team auf Super-RTL. Hatte ich zwar schon gefühlte 37 Tausend Mal gesehen, aber was war an diesem Abend schon schlau? 

Ich sah mir gleichzeitig Bilder aus meiner Kindheit an. Auf einem sah man Maxi und mich am Strand nackt sitzen (... wobei ich mich mal wieder fragte, was meine Eltern für ein Problem hatten, dass sie mich immer nackt fotografieren mussten ...) und mit überdimensionalen Förmchen im matschigen Sand buddeln. 

Maxi war mein kleiner, mittlerweile 10 jähriger Bruder, der keine anderen Hobbys hatte, als mir täglich klar zu machen, wie sehr er mich doch hasste. Wie oft hatte ich schon eine Faust in den Magen oder ein Star-Wars-Sticker-Sammelalbum gegen den Kopf geschlagen bekommen? Eine Geste der puren Zufriedenheit und herzlichen Zuwendung für sein Schwesterherz. Die Tatsache, dass dieser Junge genauso gemeingefährlich war, wie diese Seiten des Fotoalbums, wurde mir mehr als deutlich, als ich mich beim Umblättern am Mittelfinger schnitt. 

Nachdem ich acht Minuten damit verbrachte, mich erst wie ein wehleidiges, angeschossenes Reh ins Bad zu schleppen, dann meine riesige Wunde zu verarzten und schließlich in Selbstmitleid zu versinken, wurde mir klar: Ich bin nicht nur tollpatschig und etwas dümmlich, sondern auch noch ein Dramaturg vom Feinsten. 

Irgendwie war meine Laune mittlerweile im Keller angekommen.  Als ich nach ca. einer Stunde ganz hinten am Album angekommen war, fiel ein weißes Kuvert hinaus. Ich öffnete es gelangweilt und zog sieben Kinderfotos heraus. Kritisch zog ich meine linke Augenbraue hoch, während ich eines der Bilder betrachtete. Sechs Kinder, nebeneinander-liegend, eines sah aus wie das andere. 

Wie aus einem Ei ! 

Aber Babys sehen ja eh immer gleich aus, nicht wahr? Unten auf dem Bild stand:,,Die sechs Gedanken meiner Erinnerung". Ich legte das Bild zur Seite, weil ich damit nichts anzufangen wusste. Entweder hatte dieser Satz keine tiefere Bedeutung, oder ich war einfach zu neutral im Denken und verfügte über keinerlei Fantasie und Interpretationsvermögen. 

Schließlich schaute ich mir die anderen sechs Bilder an. Auf jedem Bild war ein Säugling zu sehen. Ich vermutete, dass ich das war, da die Bilder alle gleich aussahen, nur, dass das zu sehende Ich, jeweils unterschiedliche Klamotten trug. Eigentlich ganz süß, so dachte ich! Als ich die Bilder umdrehte um die Beschreibung dazu zu lesen, überkam mich ein Gefühl der Verwirrung. 

Die Säuglinge sahen alle gleich aus , hatten aber alle unterschiedliche Vornamen - jedoch den selben Nachnamen. Finja Trisch, Lenja Trisch, Katja Trisch, Svenja Trisch, Ronja Trisch - das war also offensichtlich ich - und Anja Trisch. 

Mich bombardierten mit einem Mal 1000 und einhundertzweiundvierzigkommasiebenpunktvierneun Fragen. Ich hieß nicht mit Nachnamen Trisch, aber es gab doch keinen Grund, weshalb sich in diesem Album, das MEIN Album war, ein Bild von sechs gleich aussehenden Kindern befand (wovon eines auch noch meinen Namen trug). Und was, wenn ich wirklich dieses Kind war, diese Ronja T. ? Wer waren dann diese anderen Kinder? 

Was, wenn ich nicht nur den Nachnamen mit ihnen teilte, sondern auch den gleichen Geburtstag ? Ich entschied mich, dem nachzugehen und suchte in der Mappe meiner Eltern nach Informationen zu meiner Geburt. Tatsächlich fand ich, gar nicht mal so lange später, eine Geburtsurkunde, auf dem die selben Namen, wie auf den Bildern, aufgelistet waren. Mein Gefühl irgendwie mit diesen Menschen verbunden zu sein, täuschte mich nicht, als ich feststellen musste, dass diese Kinder am selben Tag, zur selben Zeit und sogar am selben Ort geboren wurden, wie ich. 

Und auf einmal gab der Satz: ,, Die sechs Gedanken meiner Erinnerung" für mich einen Sinn!

The six thoughts of my mindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt