„Miss, wir haben einen neuen Fall!" Officer Jackson tauchte wie aus dem Nichts in meinem Büro auf und löste damit bei mir fast einen Herzinfarkt aus.
„Himmel, ich habe Sie gar nicht kommen hören." Seine Miene war versteinert - wie immer - und ich fragte mich, ob er Kinder hatte. Wahrscheinlich nicht, sonst wäre er abends nicht so lange im Büro.
„Besprechung in fünf Minuten", gab er mir Bescheid. Ich nickte nur und er verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. Ich steckte meinen Kopf wieder zwischen die Akten, die ich noch zu bearbeiten hatte. Ich hatte mir meinen Job beim LCD, kurz für London Criminal Department, spannender vorgestellt. Ja, als ich hier angefangen hatte, hatte ich wirklich das Gefühl gehabt, etwas erreichen zu können. Das hatte sich über kurz oder lang allerdings als Irrtum herausgestellt.
Seufzend sah ich nach draußen in die grauen Wolken, die schon seit heute Morgen den Himmel Londons verschleierten und jeden Sonnenstrahl schluckten. An so einem Tag blieb einem ja gar nichts anderes übrig, als schlechte Laune zu haben.
Ich hievte die Papiere beiseite und machte mich auf den Weg zum Besprechungsraum, in dem sich schon alle anderen versammelt hatten. An ihren Gesichtern konnte ich schon ablesen, dass es sich höchstwahrscheinlich um nichts Spannendes handelte. Nicht, dass ich gesagt hätte, Morde wären spannend, aber ... Okay, sie waren spannend!
Ich setzte mich genau in dem Moment, als Officer Jackson den Raum betrat und alle anderen allein durch seine Präsenz zum Schweigen brachte. Manchmal kam ich mir vor wie in der Schule. Neben mir zupfte Jenny, meine Lieblingskollegin, ungeduldig an ihrer Bluse herum. Sie hielt Augenkontakt mit Marc, zuständig für die Spurenuntersuchung. Bahnte sich da etwa ein Flirt an? Doch ich hatte keine Zeit, mir noch länger darüber Gedanken zu machen, denn in diesem Moment ergriff Jackson das Wort.
„Wir haben einen neuen Fall. Sie alle haben bestimmt schon von dem üblen Mord an Savannah Bane gehört, einer jungen Studentin, die mit aufgeschnittener Kehle an der U-Bahn-Haltestelle Westminster Station gefunden wurde. Das MI6 hat den Fall an uns übergeben und ich erinnere Sie, Kolleginnen und Kollegen, diesmal müssen wir Erfolge bringen! So etwas wie beim letzten Mal können wir uns nicht noch einmal erlauben!"
Officer Jackson konnte furchteinflößend sein, wenn er wollte. Aber er war ein guter Chef und übernahm die volle Verantwortung für sein ganzes Team, und das rechnete ihm hier jeder hoch an.
Mit erhobener Stimme fuhr er fort.
„Hier sind die Fakten: Die Videoaufnahmen der Haltestelle zeigen einen schwarz maskierten Mann, der sein Opfer um halb drei Uhr nachts dorthin bringt, um ihm an einem abgelegenen Ort die Kehle durchzuschneiden. Theorien?"
Drei Leute meldeten sich und Jackson schrieb die einzelnen Theorien an ein Blackboard an der Wand. So lief das immer, erst durften alle ihre Meinung zum Mordfall sagen, danach wurde aussortiert.
„Der Mörder hat eine persönliche Beziehung zum Opfer, ansonsten hätte er es gar nicht erst in die U-Bahn-Station locken können", schlug Marc vor. Zugegeben, seine Theorie klang plausibel, aber die Einzelheiten passten nicht zueinander.
„Warum hat er sich dann maskiert? Und warum ist ihm das Opfer gefolgt, wenn er maskiert war?", warf ich ein. Alle Köpfe drehten sich zu mir herum und ich bekam einige abschätzende Blicke zugeworfen, die zu sagen schienen: Was will die denn? Ist das nicht die Praktikantin?
Ich seufzte leise. Nein, nicht die Praktikantin, seit einem Monat war ich hier nämlich fest angestellt und hatte damit mein dreimonatiges Praktikum beendet. Das Team der ganzen Abteilung bestand aus knapp zwanzig Personen, davon gab es einige, die okay waren, und einige, die mir misstrauische Blicke zuwarfen, wenn ich aus meinem (eigenen!) Büro über den Flur zum Kopierer ging. Um die Akten zu kopieren, die mir Jackson aushändigte. Das war nämlich mein Job. Aktenverwaltung.
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Girl Detective- Leseprobe
Teen FictionCharlie hatte nur eines im Sinn, als sie sich beim London Criminal Department, kurz LCD bewarb: Die Welt zu einer Besseren machen! Doch spätestens als sich ihr Schreibtisch unter Akten biegt, erkennt sie, dass sich das Leben nicht immer nur von sein...