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2. Kapitel

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Autumn's POV:

Ich wollte nur einen ereignislosen, demütigungsfreien ersten Schultag verbringen und ehe ich mich versah, drohte mein neuer persönlicher Bodyguard, diesen Plan zu durchkreuzen.
Die Leute hier kannten und mochten ihn und so zog er die Blicke auf uns, als wir gemeinsam durch die Schulflure liefen. River war zugegebenermaßen echt nicht von schlechten Eltern. Nicht nur was sein Aussehen betraf. Er war auch noch richtig gut erzogen, öffnete mir sogar die Tür, bevor ich eintrat. Alles in allem gab er den perfekten Schwiegersohn ab. Ein wenig unangenehm war es mir schon, dass ein fremder Mensch mir so viel Beachtung schenkte.
„Zeig mir mal deinen Stundenplan", forderte er interessiert und nahm das Blatt an sich, ehe er den Plan unter die Lupe nahm.
Ich hatte ihn mir noch gar nicht richtig angesehen, sondern viel lieber meine neue Umgebung in mich aufgesaugt. Im Vergleich zu der Schule in Chicago, die ich besucht hatte, war diese ziemlich klein, aber dafür mühevoll hergerichtet. An den Wänden der Flure hingen selbstgebastelte Plakate mit bunten Buchstaben und glitzernden Verzierungen.
„Hey, wir haben gemeinsam Englisch, Chemie, Philosophie, Sport und Psychologie", stellte River grinsend fest und ich fand das gar nicht so schlecht.
Ich nickte und warf selbst einen Blick auf meinen Stundenplan. Mein Tag würde mit Mathematik beginnen, was zwei Vorteile hatte: Erstens, ich hatte eine Stunde lang"River-frei", um durchzuatmen und zweitens, Mathematik war immer gleich, egal, wo man hinkam.
„River, ich glaube das hier ist mein Raum", meinte ich eher fragend und deutete auf die weit geöffnete Tür, vor der wir nun zum Stehen kamen.
River warf einen kurzen Blick auf meinen Raumplan und nickte zustimmend.
Und plötzlich, als er Anstalten machte, sich von mir zu verabschieden, beschlich mich dieses zwickende Gefühl, das ich jedes Mal bekam vor meiner ersten Stunde an einer neuen Schule. Es war dieses verhasste Gefühl von Versagensangst und Zugehörigkeitskomplexen. Ich wollte bloß nicht auffallen und es einfach hinter mich bringen. Obwohl ich versuchte, mich zusammenzureißen, gelang es mir nicht ganz und meine Finger wurden ganz schwitzig.
Die weit geöffnete Tür, hinter der sich eine Horde kreischender Teenager mit zahlreichen Minderwertigkeitskomplexen und ohne jegliches Schuldbewusstsein befand, machte mich einfach nervös. Jugendliche konnten unfassbar gemein sein.
„Alles okay? Du schaust gerade nämlich wie ein verschrecktes Reh aus einer dieser verstörenden Tierdokumentationen, die immer im Nachtprogramm laufen." Erst dachte ich River hätte sich über mich lustig gemacht, doch dann erkannte ich die Besorgnis in seinen braunen Augen. Er meinte es tatsächlich ernst.
„Ja, alles gut", antwortete ich matt lächelnd, am Rande einer Panikattacke.
Scheinbar hatte River mich durchschaut, denn dieser rollte nur resigniert mit den Augen und kam vorsichtig auf mich zu. Dann legte er vollkommen unbeholfen seine Arme ein wenig um mich und tätschelte ganz leicht meinen Rücken. Wenn mich meine Instinkte nicht täuschten, sollte das hier gerade eine Umarmung darstellen. Für gewöhnlich ließ ich mich nicht von Fremden umarmen und ehrlich gesagt, war mir das doch ein wenig zu viel verfrühter Körperkontakt, auch wenn er mich kaum berührte. Doch ich ließ es einfach geschehen und legte sogar meine Hände kurz auf seinen Schultern ab.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Weder die Lehrer noch die Schüler auf dieser Schule beißen. Versprochen", sagte er bemüht aufmunternd, nachdem er sich von mir gelöst hatte und zwinkerte mir zu.
„Stimmt, wir sind ja hier nicht in der Hundeschule", stellte ich ironisch fest, wofür ich nur ein genervtes Stöhnen von River erntete.
„Ich hole dich nach der Stunde hier ab und jetzt beweg deinen Arsch da rein", drängte er und schubste mich ein wenig in den stickigen Klassenraum hinein.
Als ich eintrat, verschaffte ich mir einen kurzen Überblick über die Situation und den Raum. Ich hatte genau drei freie Plätze zur Auswahl. Nummer eins befand sich in der ersten Reihe nahe der Tür, Nummer zwei hingegen am Fenster in der dritten Reihe von vorne und Nummer drei in der letzten Reihe am Fenster. Jackpot. Option Drei wurde von mir offiziell zu meinem neuen Sitzplatz ernannt.
In der letzten Reihe würde ich kaum auffallen und aus dem Fenster schauen oder vor mich hinträumen können, ohne in das Visier meiner Mitschüler zu geraten. Außerdem bekam ich durch das Fenster immer genügend Sauerstoff ab und sollte es mal zu kalt werden, was in Wyoming sicherlich der Fall sein würde, saß ich direkt an der Heizung. In den letzten Jahren hatte ich gelernt, dass der Sitzplatz ein durchaus entscheidender Aspekt des eigenen Wohlbefindens sein konnte.
Unauffällig nahm ich Platz und mied möglichst den Blickkontakt mit anderen Schülern. Dasselbe galt für meinen Lehrer, Mr. Prescott. Zu meinen Gunsten hatte dieser nicht das Bedürfnis, mich der Klasse vorzustellen, wodurch auch niemand das Bedürfnis erlangte, mit mir eine befremdliche Konversation zu beginnen, weil einfach niemand von meiner Existenz Bescheid wusste. Meiner Meinung nach ein äußerst gelungener Start an der North High.
Umso zufriedener war ich, als der Gong ertönte und ich ohne ein einziges Wort mit irgendeinem Provinz-Schwachmaten hier gewechselt zu haben, den Klassenraum verlassen konnte.
Vor diesem warteten bereits River und irgendein anderer Typ auf mich.
„Und? Hast du schon Freundschaften für's Leben gefunden und Poesiealben ausgetauscht?„, fragte River mit einem selbstgefälligen Grinsen, welches ich ihm am Liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte. Kopfschüttelnd folgte ich ihm und seinem, mir immer noch unbekannten, Freund zu unserem Chemiesaal.
Hätte ich zu diesem Zeitpunkt bloß gewusst, wie fatal die Wahl des falschen Laborpartners wirklich sein konnte...



River's POV:

Ein Mädchen Wie SieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt