Kapitel Nr. 1

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"Sie war ein Regenbogen, doch er war farbenblind.", flüsterte sie leise und zog erneut an ihrer Zigarette.

Kurz glühte ihr Gesicht rötlich auf und verschwand wieder in der Dunkelheit.

"Wie ist das zu verstehen?", fragte sie danach und blickte auf.

"Ich schätze, sie war lebensfreudig, positiv und hatte viel zu bieten, eine breite Palette von positiven und schönen Eigenschaften, doch der Typ konnte das nicht erkennen und hat sie bloß als ödes Mädchen gesehen.", antwortete ich und setzte die Kreide erneut auf das Dach und beendete die Blume, die ich gekritzelt hatte.

"Bin ich auch ein Regenbogen?"

"Manchmal. Immer dann, wenn du die Sachen machst, die du wahrlich liebst. Das ist selten, aber es kommt vor.", antwortete ich und sah ihr zu, wie sie ihren Zigarettenstummel in die Regenrinne warf und direkt wieder zur Zigarettenschachtel langte.

Sie steckte eine weitere Zigarette an und schaute herüber. Ihr langer Arm überbrückte unsere kleine Distanz und sie fragte, ob ich jetzt auch eine wolle.

"Du weißt ich rauche nicht."

"Früher habe ich auch nicht geraucht, aber Zeiten ändern sich. Menschen ändern sich und Gewohnheiten ändern sich. Also?"

Also nahm ich eine. Der Rauch füllte meine Lungen und kratze wie eine Katze an einem Kratzbaum von innen an meine Luftröhre und stach in meinen Lungenflügeln.

Ich fühlte mich als müsste ich mich übergeben und krümmte mich vorne über.
"Die sind mit wenig Inhaltsstoffen.", sagte Velma lachend, doch ich funkelte sie böse an.

"Ach komm, beim zweiten Zug tuts weniger weh."

Und so tat ich einen zweiten Zug.
Innerlich hatte ich mich auf das wiederliche Kratzen vorbereitet, doch als ich langsam den bläulich-grauen Rauch einsog und spürte, wie er meine Luftröhre herunter kroch, konnte ich an nichts weiteres denken, als an die ungesunde Farbe die der Rauch in mir hinterlässt.

Velma sah mich stolz an.
Es war dieser Blick, diese Bewunderung die mich damals als kleines Kind dazu gebracht hatte unerlaubtes weiterhin zutun.

Lange Zeit saßen wir einfach nur da, ihr Gesicht im seichten Licht der roten Glut und mein warmer Körper entspannt auf dem Dach und das Augenmerk unserer beider Augen auf den geschmückten Nachthimmel über uns.

"Wie bist du da eigentlich darauf gekommen?", wollte ich wissen und setzte mich wieder auf. Sie sah zu mir herüber und schnippte die Asche von ihrer Zigarette weg, wobei ich mich an meine eigene Erinnerte und einen weiteren, aber weitaus weniger kratzenden Zug nahm.

"Ich bitte um Präzision."

"Das mit dem Regenbogen."

"Jeder Mensch ist doch Einzigartig. Mit seinem Aussehen, dem Namen und derer Anzahl. Dazu kommen noch Charakteristik und Erlebnisse hinzu. Ich habe mich gefragt, warum der Typ nicht sehen konnte, wie einzigartig sie war."

"Vielleicht kannte er bereits zu viele Annas und wollte dann keine weitere.", scherzte ich, doch Velma konnte nichtmals schmunzeln.

"Du weißt, dass es heutzutage jeden genetischen Code und jeden Namen nur einmal gibt. Es muss erst eine Person sterben, damit der Name wieder benutzt werden kann. Also ist deine Aussage unschlüssig."

"Ja, natürlich weiß ich das. Aber warum ist dir das so wichtig? Er war wahrscheinlich einfach nur ein Arschloch.", schlussfolgerte ich und richtete mich langsam auf.

"Heutzutage ist jeder etwas besonderes.", flüsterte Velma leise.

"Eben und das darfst du bitte nicht vergessen."

Die Nacht zog sich langsam ihren Ende zu, und so taten es Velmas Zigaretten. Ich fühlte mich wie ein Räucherfisch, der zu lange auf dem Trockenen gelegen hatte.

Mein Mund war staubtrocken und meine Kleider stanken nach angezündeten Teer.
Meine Nachbarin jedoch schien glückseliger als sonst und starrte zum Nachthimmel hinauf.

Langsam spürte ich die bleierne Müdigkeit, wie sich ausbreitende kälte in meinem Körper und begann träge zu gähnen, als sie mich fragte, ob es dort oben ebenfalls Leben gäbe.

"Natürlich nicht. Wir sind die einzige Gemeinschaft hier. Du musst echt mehr in der Uni aufpassen."

"Das denkst du nicht wirklich!"

"Es wird so verlangt."

"Dann dürftest du nicht so nah bei mir liegen, ich hab kaum was an! Du dürftest nicht hier auf dem Dach sitzen und rauchen! Und am Schlafen hättest du auch schon sein sollen. Erzähl mir nicht, dass du versuchst dich so zu verhalten, wie die Gesellschaft es von dir verlangt!", maulte sie und wieder einmal war sie im Recht, doch ich war zu müde es zu verarbeiten und eine Antwort zu geben, also kletterte ich zurück in mein ödes Zimmer, zurück in eine öde Welt und verfiel in einen öden Schlaf.

PerfektmenschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt