Eigeninitiative

285 21 3
                                    

Kapitel 24 – Eigeninitiative


Unruhig rutschte die Nervensäge auf ihrem Platz hin und her, die Hände waren zwischen Oberschenkel und Sitz eingeklemmt. Sie schaute die ganze Zeit aus dem Fenster, doch ihre Augen wanderten von einem Punkt zum anderen. Levi, der ihr schräg gegenübersaß, hatte bereits vor einiger Zeit festgestellt, dass sie nichts Bestimmtes fokussierte, geschweige denn ihre Umgebung überhaupt wahrnahm. Er fragte sich, ob er sie jemals mit solch einer Nervosität gesehen hatte. Also, richtige, nachvollziehbare, vernünftig begründete Nervosität, nicht wie vor drei Tagen, als sie sich Erwin und den anderen vorgestellt hatte.

Hier in Stohess waren die Straßen viel ebener gepflastert als innerhalb der Mauern Maria oder Rose und sie waren höchstens ein- oder zweimal sanft von einem uneben gelegenen Stein durchgerüttelt worden. Und das war erst ein Außenbezirk.

Die zwei saßen mit Erwin in der ersten von zwei Kutschen, die zusammen mit Soldaten der Militärpolizei auf Pferden die Eskorte von Eren Jäger innerhalb die Mauern Sina bildeten, wo schließlich über ihn entschieden werden sollte. Was die Soldaten mit dem grünen Einhorn allerdings nicht wussten, war, dass sich in der zweiten Kutsche nicht Eren, sondern sein Freund Jean Kirschstein mit Perücke befand. Nun ja... Der schwarzhaarige Kapitän war sich nicht ganz sicher, ob die Bezeichnung Freund hier passte, so wie die miteinander umgingen... Jedenfalls war Eren gerade mit Mikasa Ackermann und Armin Alert unterwegs, um die Verdächtige, Annie Leonhardt, zu fangen. Anschließend sollte getestet werden, ob sie tatsächlich der Weibliche Titan war. Und hier wäre der Punkt, weswegen die Nervensäge auf glühenden Kohlen saß.

Levi war überrascht von sich selbst, als er festgestellt hatte, dass er gerne mit ihr geredet hätte, wenn auch nur ein paar Worte, um sie halbwegs abzulenken oder zu beruhigen. Denn wenn er ehrlich sein sollte, machte ihn das Herumgezappel selbst ein wenig gereizt. Doch er sprach nicht mit ihr. Der Grund: Erwin. Er saß dem Schwarzhaarigen direkt gegenüber, sein Blick lag, wie der der Nervensäge, auf den vorbeiziehenden Häusern von Stohess, allerdings auf denen der anderen Seite. Und er war um Einiges gefasster. Levi konnte immer noch nicht verstehen, was das Problem der Nervensäge war, doch jetzt mit ihr zu reden... Erwin wusste, dass sie anwesend war und neben ihm in der Kutsche saß (was sie eigentlich gerne vermieden hätte, doch ihr wurde speiübel, wenn sie zu lange rückwärts fuhr und den Kommandanten zu beten, sich auf die andere Seite zu setzen, hatte sie sich nicht getraut. Wäre auch blöd rübergekommen.) Der Kapitän hätte nur gerne über Sachen geredet, von denen Erwin Smith noch nicht in Kenntnis gesetzt worden war. Levi wusste von ihnen, Eren wusste von ihnen und seine Freunde vermutlich auch. Die Nervensäge hatte ihn nach der Besprechung vor drei Tagen nochmal abgefangen.


Eren saß auf seinem Stuhl und starrte auf die Tischplatte vor sich. Die Kerzen flackerten und ließen ihr Licht über das Holz tanzen. Er war alleine mit Kapitän Levi und diesem Mädchen... Motte. Der Schwarzhaarige räumte gerade das Übriggebliebene des inzwischen kalten Tees weg. Der Rest hatte sich verabschiedet und war gegangen. Die Besprechung war vorüber und der Junge konnte es immer noch nicht glauben.

Da hatten sie gesessen, fast zwei Stunden lang, und hatten alles durchgekaut, von vorne bis hinten, bis jeder den Plan begriffen und verinnerlicht hatte. Eren hatte mitgemacht; geredet, nachgedacht, seine Meinung dazu geäußert, doch er war schlicht und einfach entsetzt darüber, dass sie alle und vor allem Armin, Mikasa und Jean so sachlich über sie geurteilt hatten. Über Annie. Ihre Freundin, mit der sie zusammen drei Jahre lang ausgebildet worden waren. Es schien, als hätten seine Freunde diese Zeit vergessen. Mit einem Schlag. Annie... der Weibliche Titan? Der so viele tapfere Soldaten kaltherzig umgebracht hatte? Nie im Leben!

Shingeki no Kyojin - QuälgeistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt