Trauen und Misstrauen

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Kapitel 6 – Trauen und Misstrauen


Von Levis Zimmer aus bis zu dem kleineren Raum, in dem er und Erwin reden wollten, lagen vier Stockwerke und insgesamt ungefähr dreißig Meter. Dreißig Meter, in denen die Nervensäge ihrem Spitznamen alle Ehre machen konnte. Auch wenn er es nicht zeigte, litt Levi darunter. Er hatte seit über dreißig Stunden keinen erholsamen Schlaf mehr gehabt und dann noch zugetextet zu werden, war nicht gut für seine Nerven. Im Nachhinein konnte er nicht einmal genau sagen, worüber sie geredet hatte. Sein Hirn hatte automatisch auf Durchzug gestellt. Das war vielleicht gar nicht schlecht, er brauchte Platz für das Gespräch über den Jungen. Er fand es schon fast krank, dass ein Mensch sich in einen Riesen verwandeln konnte.

Es waren nur noch ein paar Schritte zur Tür, als der Nervensäge auffiel, dass der gleichgültige Blick des Mannes – falls es denn überhaupt möglich war – noch gleichgültiger war als sonst. „He, hörst du mir überhaupt zu?!"

„Nein", antwortete er schlicht und ehrlich. Empört und gleichzeitig beleidigt blies sie die Backen auf. Er legte die Hand auf die Türklinke und sprach zu ihr mit leiserer Stimme als sonst, für den Fall, dass Erwin bereits drinnen war und ihn hörte: „Hör zu, Nervensäge. Auch wenn es verdammt schwer für dich ist, sei die nächsten Stunden still."

„Die nächsten Stunden?!", wiederholte sie fassungslos. „Ist das dein Ernst?! Ich soll stundenlang die Klappe halten und dann noch bei einem Thema, das sich eigentlich in fünf Minuten geklärt hat?!" Eindringlich blickte sie ihn an.

Die beiden fochten einen Blickkampf aus, der sich gewaschen hatte. Sein strenger Blick gegen ihren eindringlichen. Letztendlich seufzte er leise auf: „Nerv einfach nicht." Er öffnete die Tür und trat ein.

„Wann hab ich jemals genervt?", fragte sie mit ehrlicher Unschuld und schwebte ihm nach und an ihm vorbei in den Raum hinein. Das wird nie was, wurde ihm klar und er schloss die Tür wieder. Auf einmal wollte er das Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen... oder zumindest die Nervensäge auf stumm schalten.

„Levi", grüßte Erwin ihn. Er saß an einem Holztisch, auf dem zwei Teller, zwei Tassen, Brot, Butter und eine Kanne voll Tee standen. „Hast du dich ausruhen können?"

Der Kapitän schritt zu einem Stuhl, der um eine Ecke neben Erwin stand, und setzte sich. „Mehr oder weniger", antwortete er in seinem üblichen Ton. Dabei warf er kurz einen finsteren Blick zur Nervensäge, die über dem Tisch schwebte und verlegen grinste.

Erwin seufzte: „Geht mir genauso. Die Geschichte mit dem Jungen geht mir nicht aus dem Kopf."

„Mir geistert so Einiges um den Kopf...", murmelte der Schwarzhaarige so leise, dass Erwin es unmöglich verstehen konnte, und goss sich etwas Tee ein. Das Mädchen allerdings hörte ihn durchaus. „Lol", lachte sie. „Anspielung auf mich!"

Nein, er würde sich jetzt nicht fragen, was denn nun bitte Lol bedeutete. Stattdessen nahm er einen Schluck aus seiner Tasse. So wie er sich und den blonden Kommandanten kannte, würde der Tee das einzige sein, das berührt werden würde.

„Es ist traurig", meinte Erwin, „dass das Tor bereits gestern geschlossen wurde und heute immer noch Soldaten ihr Leben lassen, um Trost zu säubern. Aber immerhin..." Er seufzte. „... hat die Menschheit zum ersten Mal gegen die Riesen gesiegt. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen." Der Schwarzhaarige blieb still. Diese Seite mochte er am Kommandanten überhaupt nicht. Das Der Zweck heilt die Mittel-Motto. Er konnte das nicht ab. Und schon gar nicht, wenn es dabei um Menschenleben ging.

Eine Weile blieb es still. Levi trank seinen Tee und Erwin hatte seine Ellenbogen auf dem Tisch abgestützt und auf seinen Händen den Kopf. Er grübelte, das sah man ihm an. Das Mädchen flog durch das Zimmer und probierte ein paar Kunststückchen, die kläglich scheiterten.

Shingeki no Kyojin - QuälgeistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt