U wie Unzeit

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»Varinias Tod war zur Unzeit gekommen. Niemand hatte damit gerechnet, niemand hätte es sich vorstellen können. Doch am schlimmsten war, dass niemand wusste wie er damit umgehen sollte. Ich habe sie geliebt, so wie alle anderen hier auf der Beerdigung auch. Nun ist sie tot, doch in unseren Herzen wird sie auf ewig lebendig sein

Im letzten Monat war viel passiert. Die Beerdigung von Varinia hatte stattgefunden, und obwohl ziemlich viele Tränen flossen, ging es mir am Tag darauf irgendwie besser. Ich hatte immer noch nicht von dem Ereignis losgelassen oder damit abgeschlossen, aber ich hatte den ersten Schritt dazu unternommen: Ich hatte akzeptiert, dass sie nun tot war. Selbst wenn ich mit ihrem Verlassen nicht leben konnte, ich wusste, dass ich es musste. Und deshalb stellte ich mich meinen Ängsten und tat das, was ich normalerweise nie tun würde.

Ich hatte einen Job im Café angenommen, dem Café, in dem wir uns immer getroffen hatten, dem Café, das mich stets an sie erinnerte. Doch ich erhoffte mir dadurch zu lernen, langsam loszulassen.

Wie sich herausstellte, war einer meiner Kollegen ein alter Schulfreund von mir. Wir hatten ewig nicht miteinander gesprochen, doch als wir uns nach langer Zeit im Café wiedersahen, waren wir wie zwei beste Freundinnen beim Kaffeklatsch. Wir quatschten Stunden miteinander und verstanden uns genauso gut wie in alten Zeiten.

In der Schule war Varinias Tod ein Schock für alle gewesen. Niemand wusste wie er reagieren sollte und alle zeigten ihr Mitleid.
Zum Glück konnte ich meine Tränen in der Schule zurückhalten, denn vor allem durch die Beerdigung hatte ich geschafft, endlich die Situation zu akzeptieren.

Bevor ich dort die Rede gehalten hatte, hatte ich extra nachgeguckt, ob das Wort 'Unzeit' wirklich existierte, was sich bestätigte. Es bedeutete so viel wie 'zur unpassenden Zeit', was auf Varinias Tod zu hundert Prozent zutraf. Jeder Tod kam zur Unzeit, doch es kam nicht oft vor, dass jemand mit nur sechzehn Jahren starb.

Doch die Unzeit war ein Synonym für das Leben. Die Kunst war es, trotz schlimmer Geschehnisse den Weg zum Leben zurückzufinden. Ich war zwar zwischendurch vom Weg abgekommen, doch nun befand ich mich wieder auf der Strecke und bewegte mich in kleinen, aber sicheren Schritten vorwärts.

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