Teil II

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Teil II

Ich träumte in dieser Nacht von ihm, von dem fremden Mann, dessen Augen ich allein kannte. Meine Mutter hatte mir immer von Märchen erzählt, von Prinzessinnen und Prinzen, von bildhübschen Königreichen und Zwergen und Tieren, die sprechen konnten. Seine Augen hatten diese Erinnerung an die Geschichten wieder wachgerüttelt, unbewusst und ohne dass ich wusste, weshalb. Im Traum hob er mich in den Sattel seines weißen Pferdes, sein Körper ein schwarzer Schatten, nur seine Augen glommen golden in der Dunkelheit, als er mich nicht zu seinem Schloss entführte, sondern sein Pferd immerzu gen Norden trieb, Richtung Horizont, untergehende Sonne – dorthin, wo die Antworten des Lebens zu finden waren. Und während ich diesem Ziel entgegen strebte und immer wieder meine Hand nach ihnen ausstreckte, mich weit über den schneeweißen Hals des Pferdes lehnte um näher und noch näher heranzukommen – da entfernte sich der Horizont mit jedem Galoppsprung, dem wir ihm entgegen hechteten. Je mehr er sein Pferd anspornte, desto verzweifelter versuchte ich nach den Sternen zu greifen und blieb, erschöpft und mutlos, erfolglos.

Ich wachte auf, schweißgebadet und mit feuchten Wangen. Verstört strich ich mir die Tränen aus dem Gesicht, setzte mich auf und blinzelte die restlichen Konturen des Traumes wie Schuppen von den Augen. Die Erinnerung an das strahlende Gold klammerte sich an mein Bewusstsein und schien mich nicht mehr loslassen zu wollen. Selbst nachdem ich aufgestanden, mich angezogen und mit der U-Bahn zur Arbeit gefahren war, blickten mich die Augen aus meinem Traum direkt an, herausfordernd, fast drängend. Nur die Frage nach dem Grund blieb ungelöst. Weshalb hatte ich mich so sehr in einen einzigen Moment verschossen, in dem ich einem fremden Mann in die Augen gesehen hatte? War es dieses flüchtige Hineinspitzeln in diese Truhe der Wahrheit, die mir für diesen einen Moment gewährt worden war? Er hatte mich rastlos gemacht, dazu gedrängt endlich auch meine eigene Wahrheit zu finden. Nur fehlte mir das richtige Werkzeug dazu, die Schatzkarte, der Kompass. Ich hinkte dem Schicksal immer einen Schritt hinterher.

Dabei hatte ich gelernt, meine Entscheidungen so zu treffen, dass Herz und Verstand die Drahtzieher waren, nicht die Meinung anderer. Von klein auf hatte ich gewusst, dass ich auf keinen Fall den Weg meiner Mutter einschlagen würde. Ich wollte nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen, von einem Mann abhängig sein, kochen, waschen und bügeln und mit Frauen, die dasselbe Leben teilten, auf der Veranda sitzen und Tee trinken. Alleine der Gedanke daran hatte ich mich angewidert. Vielleicht war das Verhältnis zu meiner Mutter gerade deshalb nicht besonders blühend – wir konnten uns gegenseitig nicht verstehen. Ich strebte meinen Zielen entgegen, die fest in meinem Herzen verankert waren und sie ließ das Leben einfach wie eine bunte Landschaft an ihr vorbei ziehen. Mein siedend heißer Wunsch als Journalistin ins Ausland zu gehen, der brannte schon immer lodernd und flackernd in meinem Herzen. Der Weg dorthin schien zwar noch endlos lang und uneben und steinig, aber mein Ziel blieb mir gestochen scharf vor Augen, auch wenn mir der öde Job als Laufbursche zuwider war. Denn ausgerechnet dort würde ich bestimmt nicht übers Schicksal stolpern oder über die Antworten, nach denen ich so verzweifelt suchte. Weshalb lebte ich? Welcher Grund verbarg sich hinter diesem Konstrukt, das sich Leben nannte?

Als Mädchen für alles in einer Firma, die ihr Geld mit Porzellangeschirr machte, war keine Aufgabe schwerer, als die richtige Anzahl Würfelzucker in den Kaffee zu tun, Croissants exakt zu dritteln und irgendwelche Akten von A nach B zu bringen. Es war ein Job, der noch langweiliger war als Trigonometrie.

„Aber" flüsterte ich mir zu, während ich mit einem braunen Briefumschlag unterm Arm durch die Innenstadt hetzte, „wenigstens finanziert dir dieser bescheuerte Job das College."

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