1

49 1 2
                                    

Goldenes Licht schien von draußen herein und ließ die kleinen Staubpartikel glitzern. Es war stickig und ich spürte die Schweißtropfen auf meiner Stirn. Aber das war nichts, was mich ablenken konnte.

Ich saß auf meinem runden Hocker und beobachtete die winzigen, tanzenden Punkte in der Luft. Sie erinnerten mich an kleine Schnee-Feen. Aber Lust auf Kälte hatte ich keine. Vielleicht ein anderes mal. Also nahm ich meinen Hocker und stellte ihn näher an das Fenster, nur um den mir vertrauten Garten mit dem kleinen Teich und dem angrenzenden Wald zu sehen. Ein Anblick, der mich schon mein Leben lang begleitet.

Wie oft habe ich Zeit in diesem Wald verbracht? Und wie oft habe ich darauf gewartet ihn wieder zu sehen? Wie viele Tränen der Einsamkeit habe ich dort schon vergossen und wie viele wenigere schöne Worte von mir gegeben? Unzählige.

Und nach 50 Jahren sitze ich immer noch hier und suche nach meiner Bestimmung.

Eines Tages, eines Tages werde ich sie finden, hat er gesagt.

Jetzt bin ich 68 Jahre alt und sehe kein bisschen älter aus als 18. Und das nur wegen ihm. Diesem Kerl, der eines Tages aus heiterem Himmel vor mir stand und mir einen Pinsel in die Hand gedrückt hat.

An sich eigentlich eine witzige Vorstellung. Aber wenn man als 18 jährige in einem Wald einem Mann begegnet, der sich vor den eigenen Augen wort wörtlich in Luft auflöst und man an dem Tag aufhört zu altern, sollte man sich vielleicht doch Sorgen machen. Nicht, dass ich jemals in Erwägung gezogen hätte wie eine Irre Nachts im Wald rum zu schreien. Oder auf Bäume zu klettern, um Ausschau nach einem fremden Mann zu halten. Das wäre ja verrückt. Aber wie gesagt, es wäre verrückt, wenn es nur dabei geblieben wäre.

Doch zu meinem großen Glück ist es nicht bei dem Mann geblieben, der mir einen Pinsel gab und sich danach in Luft aufgelöst hat. Und jetzt saß ich hier und überlegte zum millionsten mal, wo ich dieses mal suchen sollte. Die Frage, warum ich überhaupt diesem Mann begegnen musste, stellte ich mir schon lange nicht mehr.

Nach einer Weile riss ich meinen Blick von dem Wald los und beobachtete den Teich, der durch die Sonnenstrahlen aussah, als würde er das Licht selbst sein. Dank meines neuen Talents sah ich überall die übertriebene Kunst der Natur. Ich will mich ja nicht beschweren, es ist schön den Teich so zu sehen, als würde er selbst leuchten. Oder Staubpartikel, die wie kleine Schnee-Feen durch die Luft tanzen. Aber nach allem was passiert ist, ist das einfach nur wie ein blöder Scherz, der mich immer wieder an meinem Verstand zweifeln lässt. Aber trotzdem habe ich keine andere Wahl, als jeden Tag auf diesem stickigen Dachboden zu sitzen und zu malen.

Also stand ich auf und stellte mich vor die weiße Leinwand. Wie der Pinsel enthalten die Leinwände im ganzen Haus irgendeine Art von Magie. Denn jeden Tag erscheint eine neue Leinwand. Einfach so. Was bleibt mir dann noch übrig als diese auch zu benutzen?

Der Tag, an dem ich mich dazu entschieden hatte Gebrauch von den Utensilien zu machen, war wahrscheinlich der gruseligste Tag von allen. Denn wie andere Pinsel musste ich meinen nicht in Farbe tunken. Diese wird von dem Pinsel gar nicht erst aufgenommen, sondern gleitet einfach ab. Als ich damals verwirrt auf dem Stuhl saß und etwas sehr verzweifelt und nachdenklich mit dem Pinsel über die Leinwand strich, wäre ich fast von meinem Hocker gefallen, als auf dem weißen Untergrund plötzlich bunte Linien aufgetaucht sind. Es hat mich einige Minuten gekostet um zu verstehen, dass ich keine Farbe brauchte um zu malen. Alles was ich benötigte war meine Fantasie. Ist eigentlich nützlich diese neue Gabe. Ich musste mir nur Farben vorstellen und schon flossen sie aus dem Pinsel.

Seit dem Tag an malte ich. Hauptsächlich brachte ich Landschaften oder Räume auf die Leinwände. Orte, an denen ich im Moment gerne wäre. Und jedes mal erwartete mich eine Aufgabe. Irgendein Rätsel, was es zu lösen gab.

Dieses mal war mir aber nach etwas ruhigerem zu mute, da das Wetter und die bedrückende Luft einen träge machten. Also setze ich meinen Pinsel an und malte darauf los. Abwechselnd flossen verschiedene Blau-, Grau-, Grün-, und Rottöne aus dem Stab und setzten sich fast wie von selbst an den richtigen Platz. Schon nach kurzer Zeit war das Gemälde fertig und man blickte auf einen wunderschönen, tiefblauen See, der von Bergen umgeben war. Das Gras in sattem grün mit rotleuchtenden Mohnblumen darin, deren Blüten dem Wasser zugewandt und dessen Oberfläche leicht streichelten. Als ob sie eins wären. Das Licht ließ das Wasser glitzern und die Blumen leuchten. Langsam, ganz langsam begannen sich erste kleine Wellen zu bilden und die Blumen in der leichten Brise zu bewegen. Ich trat einen Schritt zurück, stellte den Pinsel in ein Glas und legte meine beiden Hände auf das Gemälde. Die Farbe war bereits getrocknet. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt irgendwann einmal feucht war. Sie wurde von der Leinwand direkt aufgesogen. Doch jedes mal, wenn ich meine Gemälde mit bloßen Händen berührte, konnte man spüren, wie sich die Farben nach kurzer Zeit in die Haut verankerten. Es tat nicht weh, es prickelte lediglich. Und bevor man sich versah, spürte man einen Ruck im Körper und sah nur noch goldenes Licht, welches hier und da durch silberne Schleier durchbrochen wurde.


Welten ohne LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt