Wir liefen seit einer halben Ewigkeit durch den Wald. Und obwohl sich der Himmel immer mehr verdunkelte und die Bäume dichter wurden, konnte ich alles haargenau sehen. Jede Wurzel und jeden Ast, der versuchte mich aus dem Gleichgewicht zu bringen, während ich der großen Elchkuh hinterher lief. Immer tiefer gingen wir in den Wald, immer dichter wurde das Blätterdach und immer heller schienen die Bäume zu leuchten. Ich sah nach oben, nur um zu bemerken, dass man die Baumkronen gar nicht erkennen konnte. Also beleuchtete uns nicht der Mond den Weg. Merkwürdig. Aber nach allem, was ich in den letzten Jahren mitgemacht habe, sollte mich das wohl kaum aus dem Konzept bringen. Doch trotzdem war der Wald anders als alle anderen, in denen ich bis jetzt war. Mich haben noch keine Tiere so begrüßt und die Bäume fingen für gewöhnlich auch nie an zu leuchten.
Warte, sie leuchteten! Das war es! Aber auch nicht alle tauchten den Wald in einen Mondlicht ähnlichen Schein. Hier und da standen Bäume mit weißen Stämmen, von denen das Licht ausging. Die weißen Bäume unterschieden sich jedoch nicht nur durch ihre Farbe und ihrer Eigenschaft von den anderen Bäumen, sie hatten einen viel, viel dickeren Stamm und die Wurzeln verzweigten sich in jede Richtung über dem Waldboden.
Eigenartige Bäume.Tief in meinen Gedanken versunken bemerkte ich gar nicht, wie ich gegen einen Felsen stieß. Einem großen Felsen, auf dem plötzlich die Elchkuh stand. Ich kam mir vor wie bei "der König der Löwen" oder besser gesagt "die Königin der Elche" und musste schmunzeln. Doch mein Lächeln verschwand sofort wieder, als ich eine helle, klare Stimme in meinem Kopf hörte. "Willkommen in Bai."
Moment, was?
Wie von Bienen gejagt drehte ich mich im Kreis, um die Person zu finden, die gesprochen hat. Aber Fehlanzeige. Mir wurde dasselbe Bild wie auf der Lichtung geboten. Eine Elchkuh vor mir, viele Elche hinter ihr und um mich herum weitere Waldlebewesen, die mich musterten. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der es sich wahrscheinlich nur um ein paar Minuten handelte, gab ich es jedoch auf nach einer Person zu suchen und schaute zur Elchkuh auf, welche ein amüsiertes Funkeln in ihren grünen Augen besaß. "Vielleicht solltest du dich setzen, wenn du schon bei einer Begrüßung so aus dem Konzept gebracht wirst." Peinlich berührt und verwirrt zugleich lies ich mich auf einen Felsen nieder, der sich direkt neben mir befand. Man hätte meinen können, dass mich nach 50 Jahren mit einem verzauberten Pinsel nichts mehr aus der Fassung bringen könnte. Doch dann lässt man sich durch eine Stimme im Kopf so verängstigen. Peinlich, Tenya. Einfach nur peinlich. Ein Schnauben der Elchkuh lies mich wieder zu ihr aufblicken. Und als hätte jemand den Lichtschalter betätigt, wusste ich plötzlich, dass sie diejenige war, die mit mir gesprochen hat. Wow bin ich heute mal wieder schnell im Verstehen.
"Willkommen in Bai, dem Wald der hundert weißen Bäumen. Wenn ich mich nun einmal Vorstellen darf: Mein Name ist Miakoda und ich bin die Hüterin dieses Waldes." erklang die klare Stimme wieder in meinem Kopf. "Verzeihe mein unhöfliches Schweigen, mit der ich dich heute Mittag am See begrüßte" sagte die Elchkuh und verbeugte sich erneut. Mit einem nun weniger verwirrtem Kopf stand ich auf und stellte mich ebenso vor "Ich bin Tenya, freut mich dich kennen zu lernen." "Deinen Namen kenne ich bereits, liebe Tenya. Ich weiß auch, dass du hier bist, um uns zu helfen." Abermals verwirrt, woher sie das wusste, antwortete ich "Das mag wohl stimmen, leider weiß ich aber nicht was meine Aufgabe ist. Es sieht doch aus, als wäre alles in bester Ordnung?"
"Gerne werde ich dir erklären, mit welchem Problem wir es zu tun haben, jedoch bezweifle ich, dass du momentan in der Verfassung bist alles zu verstehen. Deine Haut ist noch sehr blass und deine Wurzeln sehr träge. Du solltest dich schlafen legen, bis die Mohnblumenpollen ihre Wirkung verlieren." Sagte sie gerade 'deine Wurzeln'? Ich wollte sie fragen, was sie damit meinte, als sie mir zuvorkam "Deine Fragen haben bis morgen Zeit. Es steht eine Hütte für dich bereit. Dyami wird dich zu ihr geleiten."
Sofort erklang ein Adler-Ruf aus den Bäumen. Ich blickte nach oben und sah ihn sofort. Der Adler flog über unseren Köpfen in Kreisen und sah mich mit einem durchdringenden Blick an. Ich war mir ziemlich sicher, dass man es sich mit ihm lieber nicht verscherzte.Wiederwillig torkelte ich dem Adler hinterher, wobei ich Probleme hatte mich auf den bewurzelten Boden und gleichzeit auf den Vogel zu konzentrieren. Doch zum Glück musste ich nicht lange laufen, denn der Adler setzte bereits zur Landung an. Er steuerte genau auf einen Baumstamm zu, der neben dem Eingang einer kleinen Hütte lag. Ich trat näher, um sie mir genauer anzusehen. Die Hütte bestand aus weißem Holz, welches leicht glühte und hatte hier und da ein paar Fenster. Sie war nicht groß, aber für eine Person vollkommen ausreichend. Ich drehte mich zu Dyami um, welcher mich aus klaren, blauen Augen ansah und bedankte mich. Dieser neigte jedoch nur seinen Kopf zur Seite und musterte mich. Sag bloß er versteht mich nicht? Schön mal wieder etwas normalerem zu begegnen.
Ich ging zur Tür, öffnete diese und trat in einen Raum mit einem Boden aus weichem, warmen Moos, braunen Holzwänden und vielen einzelnen Stücken der Rinde die gemütliches Licht spendeten und mich noch schläfriger werden liesen.
Ohne zu zögern legte ich mich in ein großes, aus Holz geformtes Viereck auf dem Boden, welches mit Moos und Laub ausgekleidet war.
Zusammen mit der Wärme, die von den Pflanzen ausging, driftete ich sofort in einen festen, tiefen Schlaf
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Welten ohne Leben
FantasyEin Gott ohne Gesicht. Ein Junge ohne Herz. Und ein Mädchen, dass nicht altert. Seit 50 Jahren lebt Tenya in einem Haus voller Gemälde. Gemälde, die mehr sind als man ahnt. Sie beinhalten Abenteuer und Rätsel, die Tenya zu erfüllen hat. Manche sin...