Kapitel III: Aussage gegen Aussage

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Vivienne arbeitete wieder in der überfüllten Dermatologen Praxis. Sie konnte es sich nicht leisten noch länger krankzufeiern. Am Abend bevor sie ihren ersten Arbeitstag antrat, suchte sie Dr. Schneidereit persönlich auf, um ihm von ihrer privaten Notlage zu berichten. Dieser hörte ihr verständnisvoll zu. Er hatte etwas für Vivienne übrig, mochte sie und wusste um ihren schwierigen Stand bei den Kolleginnen, die sie aus Missgunst herablassend behandelten, nicht zuletzt auch, weil Der Doktor sie von Anfang an gegenüber den anderen Arzthelferinnen favorisierte. Er betrachtete dies allerdings als einen Akt, der zur Herstellung eines gewissen Gleichgewichts im Team diente, war davon überzeugt, dass Vivienne es nie leicht haben würde. Zum Einen war sie sehr schön auf eine unbemühte, natürliche, unaufgeregte Weise was bei anderen Frauen Rivalitätsgedanken auslösten, insbesondere bei den Kolleginnen in seiner Praxis.

Zum Anderen umgab Vivienne eine undurchdringliche Aura. Es war schwer zu ihr eine Verbindung herzustellen. Sie sprach nicht viel, machte sich nichts aus Small Talk und hielt sich zurück beim Tratschen im Umkleideraum der Mitarbeiterinnen, dennoch hatte sie einen guten Humor, der nicht unintelligent war.

Dr. Schneidereit konnte sich nicht vorstellen, dass Vivienne jemals eine beste Freundin hatte oder haben würde. Dafür war sie nunmal nicht der Typ.

Nachdem sie der Anweisung des Arztes folgte und in einer der kleinen, durch einen Vorhang abgetrennten, Kabinen eine Warzenbehandlung bei einem Patienten vornahm, vibrierte ihr Handy, welches sie in der weißen Kitteltasche bei sich trug. Sie streifte sich die Gummihandschuhe ab, die einen weißen, puderigen Film auf ihrer Haut hinterließen und strich mit dem Zeigefinger über das grün aufflackernde Telefonhörersymbol auf dem Display.

„Hallo?"

„Stein hier, spreche ich mit Frau Meise?"

„Ja."

„Ich habe Näheres über die Aussage ihres Mannes in Erfahrung gebracht. Können sie mich heute um 15.00 Uhr in der Kanzlei treffen?"

„Das geht nicht, ich bin auf der Arbeit."

„Wann haben sie denn Mittagspause?"

„Um 12.00 Uhr."

„Kommen sie doch bitte dann in die Kanzlei."

Vivienne überlegte. Sie war unsicher, hatte ja niemanden, der sie bringen konnte. Auch wenn die Kanzlei fußläufig in wenigen Minuten zu erreichen war, hatte sie große Angst davor sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Mit ihren Eltern hatte sie abgemacht, dass einer von ihnen sie jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit bringen und auch wieder abholen würde. Sie wollte Valentin Stein aber auch nicht verärgern, wollte sich mitwirkend zeigen.

„Gut einverstanden. Um 12.00 Uhr mache ich mich dann auf den Weg." willigte sie ein.

In der Mittagspause meldete sie ich beim Doktor ab, nahm die Treppen, um aus dem vierten Stock des Ärztehauses auf die Straße zu gelangen. Bevor sie jedoch die große Glastür aufzog, schaute sie links und rechts, prüfte den Parkplatz genau, um sicherzugehen, dass auch niemand auf sie lauerte. Im raschen Tempo überquerte sie die vielbefahrene Straße, sie eilte durch den Park, der eine Abkürzung bot, drehte sich viele Male um, um sich davon zu überzeugen, dass man ihr nicht folgte.

Vollkommen aus der Puste erreichte sie die Kanzlei und hastete zum Empfang.

Noch immer außer Atem teilte sie der Sekretärin mit, dass sie Herrn Stein sprechen müsste. Diese musterte die keuchende, verschwitzte Frau abfällig, die in ihrer weißen Arbeitskleidung vor ihr stand, bevor sie  gemächlich den Hörer des Telefons abnahm und mit ihren langen, lackierten Acrylnägeln eine Kurzwahl eintippte. Sie horchte auf das Klingelzeichen, legte den Kopf schief, als Valentin Stein am Ende der Leitung abhob.

„Herr Stein, eine gewisse Frau Meise wartet im Foyer. Sie behauptet, sie habe einen Termin."

Offenbar legte er auf, ohne zu antworten, denn Sekunden später legte er seine Hand auf Viviennes Schulter.

„Schön, dass er geklappt hat. Bitte folgen sie mir."

Wieder gingen sie gemeinsam in sein Büro. Vivienne zog ihren Mantel aus. Auch Valentin musterte ihre Aufmachung.

„Ich komme gerade von der Arbeit. Ich habe es nicht geschafft mich umzuziehen."sagte sie schon fast entschuldigend, als sie seine Blicke auf ihrem Körper spürte.

„Schon in Ordnung... Frau Meise, ich habe sie hier her gebeten, weil ich etwas mit ihnen besprechen muss." Er setzte sich lässig auf die Tischkante, dicht an ihren Stuhl.

„Ich habe herausgefunden, was ihr Mann bei der Befragung auf der Polizeiwache aussagte."

Vivienne schwieg, beunruhigt rutschte sie auf dem Sitz hin und her.

„Vivienne, darf ich sie so nennen?"

Sie nickte.

„Ich möchte ihnen ein paar persönliche Fragen zu ihrer Beziehung stellen."

„Das habe ich ihnen doch letztes mal schon alles erzählt."

Valentin stimmte zu. „Sie sagten ihr Ehemann sei in der Beziehung gewalttätig gewesen."

„Ja."

„Sind sie schon mal fremdgegangen."

„Nein."

„In vorherigen Beziehungen?"

„Was soll das eigentlich?"

„Ich muss ihnen diese Frage stellen."

„Wozu?"

„Sind sie?"

„Ja, aber das war lange bevor ich ihn kennen lernte."

„Vivienne, ihr Mann sagte aus, sie seinen in der Ehe untreu gewesen. Er hätte sie erwischt und entschied sich für die Trennung, womit sie nicht zurecht kämen."

Viviennes Körper bebte vor Wut, Valentin beobachtete, wie sich ihr Unterkiefer verkrampfte.

„Das ist eine Lüge." sagte sie mit Bestimmtheit.

„Er sagte außerdem, dass er sie darüber informiert hätte, dass er die Scheidung einreichen würde. Es habe zwischen ihnen beiden einen Konflikt gegeben bei dem sie darauf bestanden, die gemeinsam erworbene Immobilie zu halten und von ihrem Partner eine Auszahlung des Eigentumsanteils verlangten, womit er nicht einverstanden war. Der Konflikt eskalierte, indem sie ihm während der Fahrt in seinem Auto vorsätzlich ins Lenkgrad griffen, sodass er einen Unfall verursachte, wobei ein Totalschaden bei dem Kraftfahrzeug entstand."

„Das ist nicht wahr!" Nun stand Vivienne vor ihm. Tränen kullerten über ihre Wangen.

„Bitte setzen sie sich."

Sie kam seiner Aufforderung nach, stützte ihren Ellbogen an der Stuhllehne ab und hielt ihren Kopf in der Hand.

„Vivienne, ich habe ihre Krankenhausberichte von der Fehlgeburt vor zwei Jahren und dem Autounfall kürzlich, gelesen. In beiden Berichten gaben sie an es hätte sich um reine Unfälle, ohne Fremdverschulden gehandelt."

Vivienne griff verzweifelnd, schluchzend nach ihrem Mantel, in den sie hineinschlüpfte.

„Sie glauben mir nicht, nicht wahr?"

„Es ist egal was ich glaube. Ich versuche nur herauszufinden, was rechtlich relevant ist."

„Was heißt das genau?"

„Das heißt, dass mir im Augenblick die Hände gebunden sind."

Sie stand auf, um zu gehen.

„Sie können sich jederzeit melden, wenn etwas sein sollte." versicherte er ihr und drückte dabei ihre Schulter.

„Danke für ihre Bemühungen."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 28, 2016 ⏰

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