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18.07.

Alinas POV.
Gestern Abend hatte ich noch stundenlang wach gelegen und an ihn gedacht, seinen Namen lautlos in die Nacht geflüstert und dieses unglaubliche Gefühl wieder und wieder durch meinen kompletten Körper fließen lassen. Doch heute morgen ist die warme Vertrautheit schnell einer ängstlichen Unsicherheit gewichen, und was auch immer ich tat, ich konnte es nicht verhindern. Jahrelang hatte ich mir vorgestellt, wie es wäre einen Freund zu haben, einen festen Freund, sich zu küssen und einfach dieses Gefühl namens Liebe zu spüren. Und jetzt wo es soweit war, war es irgendwie so anders und trotzdem genauso wie ich es mir gedacht hatte. Ich hatte mir immer einen kleinen Bad Boy gewünscht, jemanden mit dem mal auch mal die Regeln brechen kann, der Risiken eingeht, einen dazu bringt wieder und wieder über seinen eigenen Schatten zu springen, jemanden der einen zum Lachen bringt und mit dem man einfach Spaß haben kann. Aber war Gabe so jemand? Ich kannte ihn ja nicht mal richtig. 8 Tage. Vor acht Tagen hatte ich ihn zum ersten Mal gesehen und es fühlte sich an als wäre es schon Jahre her. Ich hatte mich einfach mitziehen lassen, ohne darüber nachzudenken ob es überhaupt das richtige für mich war. Alles in mir wünschte sich, dass Gabe derjenige war, der zu mir passte , aber genauso wurde mir an diesem Morgen klar, dass ich es nicht wusste. Langsam öffnete ich meine Augen vollständig und atmete einmal tief ein und wieder aus. Ich würde es auf mich zukommen lassen müssen. Wir würden sehen. An diesen Gedanken geklammert stand ich auf.

Gabriels POV.
Ich hatte kaum geschlafen diese Nacht. Es gab zuviel an das ich denken konnte. Ruhige Freude machte sich in mir breit, als ich meine Augen öffnete und wieder schloss und zum hunderttausendsten Mal ihr wunderhübsches Gesicht vor meinem inneren Auge erblickte. Ich wusste es ganz sicher: sie war die Richtige für mich. Sie war die, die ich immer gesucht hatte. Und nichts und niemand auf der Welt konnte mir sie oder dieses überirdische Gefühl, das sie in mir auslöste, nehmen. Die Frage war nur, wie sie reagieren würde. Es war offensichtlich, dass das Ganze komplett neu für sie war. Ich kannte es schon von meiner letzten Beziehung, der erste Kuss war etwas so Unfassbares, er entfachte einen Wirbelsturm in einem, der einen einfach nur glücklich sein ließ. Das Komplizierte kam am nächsten Tag, wenn der Sturm abgeflaut war. Dann war man sich auf einmal nicht mehr sicher. Und das war das Schlimmste. Man wusste noch ganz genau wie geil es am letzten Tag gewesen war, aber man wusste trotzdem nicht, ob es wahr war und vor allem, was man mit diesem Wissen - Nicht-Wissen anfangen sollte. Ich schlug meine Augen nun entgültig auf, kroch aus meinem Schlafsack und verließ leise das Zelt in Richtung Waschräume. Es war noch früh und die Vögel kündigten gerade erst den neuen Tag an, doch ich musste so schnell wie möglich zu ihr. Was, wenn die Unsicherheit zu lange anhielt? Auf der Stelle zwang ich mich selbst den Gedanken wieder zu verwerfen. Das durfte nicht passieren. Und das würde es auch nicht.
Hoffentlich.

Alinas POV.
Halb sechs. So früh war ich hier noch nie aufgewesen. Mit leerem Blick starrte ich in meine volle Müslischale, die vor mir auf dem Küchentisch stand. Als ich runtergekommen war, hatte ich sie gefüllt, als ganz normale Morgenroutine, bis ich dann gemerkt hatte, wieviel Uhr es war. Und irgendwie hatte ich auch gar keinen Hunger. Mein Bauch rumorte zwar, doch das kam bestimmt nicht von körperlichen Beschwerden. Etwas warmes, feuchtes berührte mein Bein. Leicht lächelnd beugte ich mich zu Kyra herunter und strich ihr über den Kopf. Sie wedelte freudig mit dem Schwanz und leckte noch einmal über meine Hose. "Na? Hast du etwa Hunger?", fragte ich die caramellfarbene Hündin, die mich daraufhin mit ihren großen grünen anstarrte und wie verrückt ihren Schwanz kreisen ließ. Ich erhob mich und holte eine Kaustange aus dem Regal. Kauend legte sich Kyra auf den Boden und ich setzte mich zu ihr. Hunde hatten so eine beruhigende Wirkung. Man hatte das Gefühl, dass sie einen verstanden und genau wusste was Sache war, ohne dass sie überhaupt etwas taten. Einer plötzlichen Eingebung folgend, stand ich wieder auf und schnappte mir Zettel und Stift: Bin mit Kyra draußen, wartet nicht auf mich. - Alina  schrieb ich auf den Zettel und drapierte ihn gut sichtbar mitten auf dem Küchentisch unserer Ferienwohnung. Dann verließ ich mit Kyra, die mal wieder wie durch ein Wunder ihre Stange innerhalb von ein paar Sekunden verschlungen hatte, das Haus. Ich entschied mich für die Runde über die hinteren Felder des Hofes, dort war es schön ruhig. Wir gingen an noch ein paar weiteren Ferienwohnungen, der großen Pferdekoppel und den Schafen vorbei und bogen dann hinter dem Anwesen der Struckmanns auf die Felder ab. Dort ließ ich Kyra von der Leine und sah ihr zu, wie sie voller Energie und Kraft über die Stoppeln des gemähten Weizens preschte, hier und da mal stehen blieb um etwas zu beschnuppern. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie sah sie glücklich aus. So glücklich, wie ich mich fühlen sollte.
Ich musste mich ablenken, an etwas anderes denken. Instinktiv folgte ich Kyra über eine Treckerspur auf das riesige Feld. Irgendwo mittendrin setzte ich mich hin und legte mich flach auf den harten Boden. Die krümelige Erde unter meinen Fingern fühlte sich seltsam wirklich an. Der würzige Duft frisch geschnitten Weizens stieg in meine Nase und eine leichte Brise strich sanft um mein Gesicht. Lebendige Stille breitete sich aus und ich konnte spüren, wie sie die Anspannung und Aufregung der letzten Tage einfach davon spülte und nur eine friedliche Leere hinterließ. Ich schloss meine Augen und gab mich hin. Ich wusste, ich brauchte das jetzt. In diesem Moment bellte Kyra. Es war laut und warnend, das machte sie eigentlich nur selten. Auf der Stelle schlug ich meine Augen auf und machte mich bereit aufzustehen, um nachzusehen was los war. Doch kaum hatten sich meine Augen richtig geöffnet, wurde mir klar, daß das nicht mehr nötig war. Ein Gesicht schwebte über mir und verdeckte das morgendliche Blau des Himmels. Es hatte ovale grünlich-blaue Augen, volle weiche Lippen und eine Narbe über dem linken Auge. Schlagartig fing mein Herz an unregelmäßig und immer schneller gegen meinen Brustkorb zu pochen und mein Mund wurde staubtrocken. "Warum ...", begann er und seine Stimme klang wie Musik in meinen Ohren, "... liegst du auf dem Boden?" Augenblicklich stieg mir die Röte ins Gesicht. Es musste bestimmt ziemlich merkwürdig aussehen, dass ich hier einfach so in der Treckerspur auf einem Stoppelfeld lag. Ich öffnete den Mund zu und wollte etwas sagen, doch es kam kein Wort aus meiner Kehle. Verzweifelt versuchte ich ihm zu erklären, was ich hier tat, aber das Einzige was ich zustande brachte, war  ein Krächzen. Jetzt würde er mich für einen totalen Freak halten, der auf Weizenfeldern schläft und mit Raben sprechen kann. Angst durchfuhr mich  und ein riesiger Kloß voller Verzweiflung bildete sich in meinem Hals. Alle Zweifel von vorhin waren verschwunden, es gab nur noch eine Sache. Ich durfte ihn nicht verlieren. Ich konnte ihn nicht verlieren. Schon die Vorstellung zog mir den Boden unter den Füßen weg. "Naja, ist ja auch egal", meinte er und zuckte mit den Schultern. Gänsehaut zog sich über meinen gesamten Körper, als er meine Hand ergriff und sich einfach neben mich in die Treckerspur quetschte. Eine Welle der Erleichterung fuhr durch mich und löste den Kloß augenblicklich auf, während gleichzeitig mein Herz bald einen Überschlag machte  und an jeder Stelle an der wir uns berührten, prickelte meine Haut wie hundert Tüten Brausepulver.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 30, 2016 ⏰

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