B3.

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Manchmal stehe ich einfach auf der Straße. Alles ist kalt.
Mir ist immer kalt.
Warum weiß ich auch nicht, aber ich friere immer.
Kennt ihr das wenn eigentlich alles schön ist, aber ihr eigentlich nur so tut als wäre alles schön? Wenn man draußen steht, in der Menge der Menschen und euch niemand sieht? Wenn man nicht bemerkt wird. Man ist klein und unbedeutend. Niemand wird einen wahrnehmen.

Freitag:
Ich musste einkaufen gehen. Ich wollte nicht. Ich fühlte mich so leer. Verlor ich den Verstand? Oder hatte ich ihn schon verloren? Es tut mir leid. Oh Gott es tut mir so leid was aus mir geworden ist. Ich würde es so gern ändern. Ich kann es nicht. Ich werde es nie können. Ich will es so sehr. Ich will normal sein. Ich will sein wie all die Anderen. Ohne Narben. Ohne Schmerzen. Allein...ich will allein sein aber trotzdem wie all die Anderen. Ich will meine Ruhe. Normal sein und meine Ruhe haben.
Ich sah mir all diese Menschen an, versuchte so normal auszusehen wie sie, so normal zu laufen wie sie, so nett zu lächeln wie alle. Aber ich glaube mein falsches Lächeln war zu falsch. Obwohl niemand sah, dass es nicht ernst gemeint war fühlte ich mich trotzdem als wäre meine Maske gefallen. Sie war es. Ich hätte sie verloren. Wo ist sie? Wo ist meine verdammte Maske?
Ich kannte mich früher selbst. Göksi kannte mich. Harry kannte mich. Alles war gut. Und dann würde ich älter. Dann wurde mir weh getan.
Als ich mit den Einkäufen heim kam sperrte ich mich direkt in mein Zimmer. Ich durchsuchte all meine Sachen um jede einzelne meiner versteckten Tabletten zu finden. Jeden Appetitzügler, jede Schmerztablette, jede Beruhigungspille, jedes abgelaufene Medikament.
Zwanzig Tabletten hatte ich insgesamt noch. Speckie müsste mir neue Appetitzügler verschaffen, falls ich morgen aufwachen würde.
Die Frage ist, ob ich aufwachen will. Nein. Nein will ich nicht...
Zwanzig Tabletten und eine abgelaufene, ein Viertel gefüllte Flasche Hustensaft befanden sich in meinen Händen.
Und so fing ich an alle Tabletten zu nehmen. Ich schluckte sie mit dem Hustensaft herunter, lehnte mich zurück und atmete tief durch, schloss die Augen, versuchte meine Atmung zu verlangsamen, um meinen Körper schon mal vorzubereiten mit dem Atmen aufhören zu müssen.
Doch ich wurde nur apathisch. Alles war verschwommen, ich fühlte mich so schwer. Mein Kopf begann weh zu tun. Ich hatte kaum die Kraft um meinen Arm anzuheben.
Doch mach schätzungsweise einer Stunde wurde mir schlecht. Ich rannte ins Bad und fing an zu brechen. Die ganze Nacht verbrachte ich damit zu brechen. Als wäre das noch ein Problem für mich...im Gegenteil. Je mehr ich breche, desto dünner werde ich. Je dünner ich werde, desto besser. Ich werde unsichtbar. Erst für die Anderen und irgendwann für mich selbst. Dann lässt mich jeder in Ruhe. Ich hoffe es.
Doch mein Brechen wurde unterbrochen als meine Mutter in das Bad kam.
Ich spürte wie sie mich an den Haaren zog.
'Du hast Tabletten genommen? Du denkst du kannst einfach so aus dieser Welt fliehen? Vor wem?!'
'...vor...vor euch...', murmelte ich. Ein harter Schlag traf mein Gesicht und ich zuckte zusammen. Ich hätte es eh nicht anders erwartet.
'Vor uns?! Vor uns?! Wir sind gut zu dir! Wir geben dir alles!', schrie sie.
'Ja. Ja ihr geht mir alles. Ihr gebt mir so viel, dass du es sogar zulässt, dass dein eigener Mann seine eigene Tochter fickt. Ihr gebt einem so viel. Selbstmordversuche gehören dazu!', nun fing ich selbst an es zu schreien. Es war einfach zu viel Schmerz in mir der raus wollte. Ich musste ihn loswerden.
Doch weitere Schläge trafen mich.
'Maman hör auf!', schrie ich verzweifelt. 'Maman!', keine Reaktion. 'MAMAN!', aber sie hörte nicht auf. Sie ignorierte mich. Sie schlug weiter. Warum tat meine eigene Mutter das? Wie konnte sie das Ihrer eigenen Tochter antun? Warum half mir niemand? Warum konnte ich vorhin nicht einfach sterben? HILFE. Hilfe. Hilfe...
Ich spürte nur noch wie ich zusammensackte und alles um mich herum vergaß. Mir wurde schwarz vor Augen und ich begann wieder zu brechen. Nur dieses Mal war es keine Magensäure, nein, es war Blut.
Warum? Nur weil ich nicht mehr konnte? Hilfe. Hilfe...
Aber niemand würde mir helfen. Also verbrachte ich die Nacht damit auf dem Boden zu liegen. Mama verließ mich. Sie legte sich einfach schlafen und ließ mich wie ein totes Tier am Boden liegen. Ich hatte keine Kraft von allein aufzustehen. Aber ich hatte mich schon an diese Hilflosigkeit und den Schmerz gewöhnt. Trotzdem liefen mir Tränen über die Wangen...wie jede Nacht. Alles war still. Die ganze Wohnung war so still. Das einzig Hörbare war mein Weinen, aber niemand würde es hören. Niemand würde mir helfen. Und so würde ich letztendlich bewusstlos.

Samstag, Étienne (die Erzählung des kleinen Bruders) :

Ich hörte wie Mama meiner Schwester weh tat. Doch wenn ich helfen würde, dann würde sie mir doch auch weh tun. Nein...nein das ginge nicht. Dann ging es Bibi auch wieder schlechter. Ich hörte die Schreie, ich hörte das Weinen. Aber ich konnte doch nichts tun. Warum tat Maman ihr das an? Wie konnte sie noch schlafen gehen?
Als ich nach einer Weile sicher sein konnte, dass meine Eltern schliefen stand ich auf und ging zu meiner Schwester. Sie lag auf dem Boden. Blut um sich herum, blaue Flecken am ganzen Körper, so blass, so klein, so zierlich. Mir brach das Herz.
Doch ich hob sie auf, so gut ich es konnte. Sie war so leicht...warum war man mit 17 so leicht?
Ich ging mit ihr in mein Zimmer, legte sie auf dem Bett ab und wusch ihr das Blut vom Körper, deckte sie dann vorsichtig zu, legte mich neben sie und nahm sie in die Arme.
Sie war so kalt. Warum war sie so kalt?
In mir breitete sich Besorgnis um sie aus. Ich versuchte sie so gut ich es konnte zu wärmen. Die ganze Nacht über bleib ich wach um sicher zu gehen, dass sie in Sicherheit wäre, sobald sie aufwachen würde. Und um zu wissen ob sie es überhaupt täte. Im Morgengrauen hatte sich immer noch nichts getan. Ich war so müde...ich sollte schlafen...aber ich muss doch aufpassen. Ich musste aufpassen. Es musste sein. Doch ich schlief ein. Bis mittags schlief ich.
Als ich meine Augen öffnete lag Bibiane immer noch in der Selben Pose bei mir. Langsam wurde meine Sorge größer. Deshalb stand ich auf, nahm sie auf den Arm und brachte sie in ein Krankenhaus.
Die Ärzte stellten Fragen...sie stellten mehr als nur viele Fragen. Es gab nichts was unbeantwortet blieb. Und somit verriet ich meine Eltern bei einem Arzt, einfach um sicher gehen zu können, dass meine große Schwester versorgt werden und aufwachen würde. Das war alles. Das war das Wichtigste. Mehr musste nicht passieren. Sie musste einfach nur aufwachen und gesund sein. Mehr musste sie nicht. Ich saß an ihrem Bett, doch die wachte nicht auf. Sie wachte einfach nicht auf. Warum wachte sie nicht auf? Ihre Hand war so kalt. Sie durfte nicht kalt sein. Sie müsste doch warm sein. Warm um sie zu wärmen. Scheiße. Scheiße verdammt noch mal. Mach die Augen auf!
Doch sie machte sie nicht auf. Sie machte ihre verdammten Augen nicht auf. Sie war blasser als sonst, bis auf die vielen Verletzungen. Ärzte wollten mit mir darüber reden was zuhause passiert, doch in diesem Moment ging es nicht. Sie stellten sich einfach zu mir, bis ich irgendwie redete. Mum, Dad, ihr seid am Arsch. Ihr habt es verdient.
Ich verbrachte den ganzen Tag am Bett, hoffte so sehr es nur ging, dass sie ihre Augen öffnete und ich irgendeinen Witz bringen konnte, über den sie lachen würde, obwohl er keinerlei Sinn ergeben und nicht mal lustig sein würde. Aber trotzdem wollte ich, dass sie lacht. Mehr gab es da nicht. Mehr wollte ich nicht.
Es gab keine einzige Bewegung, die meine Schwester auch nur tätigte. Ihre Atmung war flach. Sie wachte einfach nicht auf und die Angst in mir sie jetzt nun vollkommen verloren zu haben wuchs immer mehr. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Alles in mir war schwer, mir taten der Kopf und das Herz weh. Aber dieser Schmerz hörte nicht auf, da ich einfach nicht wusste ob meine große Schwester nun alles überleben würde, oder einfach nicht. Sie öffnete ihre verdammten Augen nicht, egal wer viel ich betete, wie viel ich bettelte.
Sie öffnete sie nicht.
'Lass mich doch in deine Augen sehen...', murmelte ich nur, aber ich bekam keine noch so einzige Antwort wie ich es mir eigentlich erhofft hatte. Nichts passierte. Gar nichts.
Doch plötzlich füllte ein langer 'Pieps' den Raum. Er nahm ihn vollkommen für sich ein, als wäre er ein großer Star und jeder Mensch in diesem Raum würde zu seinem Publikum gehören. Verunsichert sag ich zu dem großen Monitor neben dem Bett. Ein langer roter Strich breitete sich auf dem Bildschirm aus.
Bitte sagt mir, dass das nicht zu bedeuten hat was ich denke was es vielleicht bedeuten sollte...ich hoffe es so sehr...






G+B wollen euch aufklären:
ES tut uns ehrlich gesagt mehr als nur leid, dass wir im Moment nichts schreiben, aber wir sind im Stress wegen all unseren Klausuren, wegen Arztterminen und wegen meinem Training (Bibi=Kick-Boxen)
Wir wollen denen, die immer wieder unsere Kapitel mitlesen danken, dass ihr weiterhin dabei bleibt!❤

Suicide Room.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt