Marie

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Tick Tack, Tik Tak, Tick Tack, Tik Tak. Das Ticken einer Uhr hallte unüberhörbar in den Tiefen ihres Kopfes wieder und zerstörte jeden werdenden Gedanken. Würde es jemals aufhören? Tack Tick. Jeden Tag, tagein tagaus. Sogar wenn sie schlief, wenn sie träumte verfolgte sie das Ticken. Manchmal erschien ihr in Träumen der Hase von Alice. Manchmal wurde sie von unfassbar laut tickenden Uhren verfolgt. Jedes Mal lief sie mit zugehaltenen Ohren vor ihr weg. Aber nichts half, das Ticken war da. Sie hatte es beim ersten Konsum von DAS Produkt bekommen und es daraufhin sofort abgesetzt, aber das Ticken blieb. Manchmal kam Kopfschmerz dazu, wellenartig. Wie Stöckelschuhe auf Beton, nach jedem Aufschlag folgte ein weiterer, nach jeder Hoffnung dass das Geräusch aufhört, kam es wieder. Geräusche und Schmerze. Einmal, als es am schlimmsten war, saß sie eine Stunde geistesabwesend auf dem Bett und hatte im Takte der Uhr den Kopf gegen die Wand geschlagen. Ihr blutverschmierter Kopf und die braunverfärbte Wand haben ihr diese Vermutung nahe gelegt und die verstärkten Stöckelschuh-Kopfschmerzen verifizierten diese. Sie floh aus der Stadt, als das Piepen einsetzte. Sie war die letzte die flüchtete, die flüchten konnte. Das Piepen war schrill, wie der schlimmste reale Tinitus den sie je hatte. Nur lauter. Zudem färbte sich ihr gesamtes Sichtfeld weiß und sie begann zu rennen. Der Masse hinterher. Sie hatte sie tagelang beobachtet, hinterbliebenes Essen am Kauen, gut versteckt in dem Haus ihrer Eltern. Diese hingen in der Küche. Sie betrat die Küche seit zwei Monaten nicht mehr, der Gestank war nicht auszuhalten. Klar, wollte sie sie erst abnehmen. Klar, wollte sie sie beerdigen. Aber die Gesichter ihrer Eltern, zu einem grotesken Lächeln verzogen, holten sie immer noch ein und sie beschloss sich ihnen nicht mehr zu nähern. Beide hatten DAS Produkt konsumiert, ihre Mutter hatte begonnen sich mit einer Bratpfanne zu schlagen und ihr Vater stundenlang, lachend Werbung zu gucken. Ihre Eltern wurden zu durchgeknallten, aggressiven Vollidioten, wobei sie ihre Aggressionen gegen sich selber richteten und niemals gegen Marie. Marie war zwölf als DAS Produkt auf den Markt kam, wurde dreizehn als sie im Camp ankam. Das Camp beruhigte sie, die Menschen beruhigten sie. Keiner redete und das beruhigte sie. Keinen interessierte was sie machte und auch das beruhigte sie. Sie durfte nur nicht lachen. Aber was hätte sie zu lachen gehabt? Sind hinfallende Menschen witzig? Blut- und Zähne ausspuckende Professoren? Plattgetrampelte Überreste von Schatten einer selbst? Nein, wahrlich, es gab nichts zu lachen. Nur eine tiefe, beruhigende, dunkle Masse von Leuten, die einmal so waren wie sie. Sowie ein penetrantes Ticken innerhalb ihres Kopfes. Okay sie hatte Angst, aber diese zeigte sie nicht. Das Ticken verdrängte sie, jeden Gedanken den sie verstärken könnte.

Einmal sprach sie ein Junge an, ungepflegte Haare, stinkend, („So einer käme uns nicht ins Haus", die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf.) ob sie normal wäre. Sie antwortete mit „nein." Und ging. Sie wollte nicht mit ihnen gesehen werden, den „normalen". Diese wurden von Tag zu Tag weniger, systematisch ausgewählt und umgebracht. Selbiges passierte zwar auch mit der Masse, aber diese bot Schutz und im Zweifel passt du dich an.


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