Es war Halloween im Alter von 14, das alles veränderte. Wir saßen im alten Skatepark in der Nähe unserer Schule, Mona, Felix und ich. Viele andere Schüler waren auch dort und feierten, die meisten älter und alle cooler als wir. Mein Vater hatte jedem von uns vertraulich eine Dose Bier in die Hand gedrückt, doch wir waren bereits härteren Alkohol gewöhnt. Wir wurden von allen Seiten komisch angestarrt, doch das war selbst ohne Kostüm der Fall. Mona ging als, wie sie es selbst ausdrückte, nuttiges Kätzchen. Sie trug eng anliegende, halb durchsichtige schwarze Klamotten und darüber einen Mantel aus Fakepelz mit einem auffallenden Leopardenmuster. Ihre Haare hatte sie toupiert, sich Katzenohren aufgesetzt und sich Schnurrhaare aufgemalt. Sie war damals 16 und besorgte uns im Handumdrehen eine Flasche Wodka. Nach jedem Schluck hörte man von ihr ein „Meow". Felix ging als Skelett und ich glaubte damals wie heute, dass er diese Verkleidung nur wählte, weil er mit dem weißen Make Up seine Akne ein wenig verstecken konnte. Beide sahen an diesem Abend sehr gut aus, als sie mich von zu Hause abholten, und ich versicherte ihnen, dass sie in der folgenden Nacht jemanden aufreißen würden. Wie ich später erfuhr, hatte ich Recht. Ich, damals noch mit grünen Haaren, hatte einen orangen Hoodie angezogen und gab an, mich als Kürbis verkleidet zu haben, dabei war ich insgeheim nur zu faul irgendwas Besonderes zu machen.
Die Mädchen tanzten knapp bekleidet auf den Skaterampen, irgendeine anstößige Technomusik, die ich nie zuvor gehört hatte, lief. Wir tranken Schluck für Schluck Flaschen leer, ich rauchte mit Felix ein paar Zigaretten. Wir waren mittendrin und doch die größten Außenseiter. Kris saß nur ein paar Meter entfernt und wenn ich mich recht entsinne, war sogar Dimitri unter seinen Freunden. Sie reichten einen Joint umher. Ich beobachtete ihn wehleidig, als ein muskulöser Kerl ihn in den Arm boxte, auf mich zeigte und sagte: „Bruder, die Schwuchtel starrt dich die ganze Zeit an."
Ich zog an der Kippe und ließ nicht ab, darauf hoffend, dass er irgendwas sagte wie „Nenn ihn nicht so. Wir sind Freunde, okay?", denn für mich waren wir das. Er sah nach wie vor nach mir, wenn mein Vater auf Geschäftsreise war, saß mit mir am Teich, rauchte mit mir und brachte mir bei wie man das perfekte Käsesandwich grillt („Du musst wissen, Aleks, die geheime Zutat ist Liebe. Und ein Feuerlöscher."). Doch stattdessen nickte er, trank einen Schluck Bier und murmelte laut genug, dass ich es hören konnte: „Das sind doch Spasten, man."
Beide meiner Freunde starrten mich geschockt an, als mir die Zigarette aus der Hand fiel, doch ich nahm mir lediglich die Wodkaflasche, trank den restlichen Inhalt aus und stand auf. Felix stand sofort neben mir, schneller, als ich es realisieren konnte, und griff nach meiner Hand: „Wo willst du hin, kleiner Mann? Komm, wir verpissen uns. So was wie ihn brauchst du echt nicht. Du hast uns. Komm schon, los..."
Er legte einen Arm um meine Hüfte, ganz vorsichtig, damit es bloß niemandem auffallen sollte, und zog mich und meine beste Freundin mit sich. Dem Blick Kristofs nach zu urteilen, hatte er alles genau gesehen.
Wir liefen gegen meinen Willen in die tanzende Menschenmenge. Mona wurde angetanzt, Felix sprach ein Mädchen mit blonden Locken und einer quadratischen Brille an, ich bekam Atemnot. Wer auch immer Partys erfunden hatte, verdammte ich in diesem Moment. Inmitten von Federboas, Schweiß und Bakterien stand ich, komplett der Panik verfallen. Ein sehr kleines Mädchen mit schwarz gefärbten Haaren zog an meinem Ärmel.
„Alles okay bei dir?", schrie sie über die Musik hinweg. Erblasst und dem Erbrechen nah, schüttelte ich den Kopf. Sie zog mich mit sich bis zum Parkplatz, verfrachtete mich auf den Beifahrersitz ihres Minis und reichte mir eine Flasche Wasser: „Aleks, richtig? Ich bringe dich nach Hause."
Verwirrt runzelte ich meine Stirn. Sie startete den Wagen und fuhr langsam aus der Parklücke: „Ich bin Myriam, Kristofs Cousine."
Ich blickte leicht angetrunken aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Lichter, als sie sich räusperte: „Also...du bist sein Freund, oder?"
Ich verschluckte mich an meinem Wasser und hielt mir die Hand vors Gesicht, aus Angst, alles würde aus meiner Nase laufen: „Ich? Sein was?! Nein, oh nein, wir sind nicht einmal befreundet."
Entschuldigend murmelte sie: „Oh, ich dachte nur... Ich weiß nicht. Er hat dieses Kuscheltier von dir und Bilder von euch in einem Schuhkarton unter seinem Bett versteckt, so wie es andere Jungs in seinem Alter mit Pornoheften machen. Ich weiß, ich sollte sein Zimmer nicht durchsuchen, aber ich bin doch so neugierig. Und immerhin meine ich es ja nicht böse! Ich mache mir ja nur Gedanken, verstehst du-"
Ich hatte auch einen Schuhkarton unter meinem Bett. Inhalt: Pillen, Klingen, Alkohol.
Es war drei Uhr nachts. Mona lief die unbeleuchtete Straße hinab. Sie wusste nicht genau wo sie war, aber sie konnte immer noch auf einem geraden Strich laufen und auf einem Bein stehen, das hatte sie überprüft (und davor monatelang geübt). Ein vertrautes Fahrzeug machte neben ihr halt. Es war mein Vater. Sie stieg ein, er strich ihr übers Haar, sie machten Liebe.
Es war drei Uhr nachts. Dimitri kam auf einer Parkbank wieder zu sich und zog sich die Spritze aus dem Arm. Er hatte keine Ahnung, wie lange er dort gelegen hatte, doch er wusste, dass der Stoff nicht gut war, denn das befreundete Mädchen, das neben ihm lag, hatte schon lange aufgehört zu atmen.
Es war drei Uhr nachts. Felix küsste den Hals des blonden Mädchens. Sie war ohne Brille und nackt noch viel schöner, als er gedacht hatte. Außerdem war sie kitzelig und begann zu kichern, wenn er seine Fingerspitzen über ihre Brust gleiten ließ. Das Licht war gedämmt und im Hintergrund lief sanfte Gitarrenmusik, als er sich ein Kondom überzog.
Es war drei Uhr nachts. Ich saß in einem grauen, weichen Pulli und Boxershorts auf dem Bett und leerte die Tablettenpackung, die ich sogleich zu den anderen beiden neben mich legte. Wieder begann ich zu würgen, als ich die weißen Pillen mit dem Rotwein runterspülte. Mein Kopf war voll von ihm, die Flasche leer. Mein Körper war schwer, zu schwer zum Bewegen, und mein Herz schlug langsam. Es klingelte an der Haustür, doch als ich aus dem Zimmer torkelte, knarzten die hölzernen Treppenstufen bereits.
„Ich habe mich selbst reingelassen. Ich dachte du schläfst vielleicht", erklärte er. Nickend lehnte ich mich an die Wand, ich konnte mich kaum auf den zitternden Beinen halten. Er kam mir entgegen, drückte mich sogleich gegen die Wand und nahm mein Gesicht in seine rauen Hände. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Nase, bevor er mein Kinn anhob und seine Lippen auf meine legte. Er presste seinen Körper an meinen, völlig perplex erwiderte ich den Kuss.
„K-kris", stammelte ich, als er sich langsam von mir löste und schnappte nach Luft.
„Du schmeckst anders als letztes Mal. Ich fasse es nicht, dass ich dich so lange nicht geküsst habe", murmelte er und strich mit seinem Daumen über meine Unterlippe. Meine Sicht wurde immer verschwommener. Seine Hände wanderten an meinem Körper hinab, als er zischte: „Wer war dieser Junge vorhin?! Hast du mich ersetzt?"
„Du gehörst mir, hast du das vergessen?", raunte der Braunhaarige und krallte sich in meine Hüften. Eine seltsame Übelkeit überkam mich, als er mich ins Zimmer zog. Ich stolperte hinterher, denn ich hatte nur diese eine Chance ihm endlich wieder nah zu sein. Er zog sich das Oberteil über den Kopf und küsste mich erneut, erbarmungslos. Ich öffnete den Knopf seiner Hose, er führte mich zum Bett und...stoppte.
„Aleks...Aleks, was zur Hölle ist das?!", schrie er, die leeren Pillenblister in seinen Händen haltend.
Langsam schloss ich meine Augen und atmete aus.
„Scheiße, was hast du gemacht!?"
Das, was vor wenigen Minuten noch verschwommen war, wurde nun schwarz. Meine Beine gaben nach und ich spürte den weichen Teppich an meiner Wange. Ich vernahm Kristofs Schreie in weiter Ferne und wusste, ich musste ihn nun verlassen an einem Moment, der der schönste meines Lebens hätte werden können.
Über dem Badewannenrand hängend öffnete ich meine Augen. Ich hatte seine Finger in meinem Hals und musste mich immer und immer wieder erbrechen. Weinend flüsterte er: „Der Krankenwagen ist unterwegs. Ich liebe dich, verdammt, bitte stirb nicht..."
Er versprach mir, meine Rettung zu sein. Mona versprach mir, mir zu helfen. Mein Vater versprach mir, immer hinter mir zu stehen. Doch Nächte sind die Huren der Zeit und als ich fiel, hielt mich ein Fremder.
Dimitri.
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Everything is fine
Teen FictionDu denkst, alles ist okay. Du denkst, alles ist okay und plötzlich stehst du um drei Uhr früh inmitten eines unbeschreiblichen Lichtgewitters und rauchst acht Zigaretten am Stück. Du denkst, alles ist okay und plötzlich verlässt du dein Zimmer nur n...