Manchmal, immer, nie

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Heroin ist Tod in der Kanüle, Selbstmord auf Raten. Es löst gleiche Emotionen aus wie Liebe. Irgendwie amüsant. 

Ich sah keinen Ausweg und nichts was mir helfen konnte. Ich weinte betrunken und trank weinend. Ich kam nicht von meinen Erinnerungen los. Konnte man so schnell den Verstand verlieren? Es war doch nicht normal, dass ich immer noch jede Nacht von ihm träumte. Ich liebte alles an ihm und es sah aus, als würde ich das für immer tun. Der schlimmste Tag meines Lebens war der, als ich dachte, die große Liebe würde existieren und sie könnte uns alle retten.

Ich legte mich in mein Bett und nahm ein Kissen in den Arm – als Ersatz für ihn und Taschentuch gleichzeitig. Meine Playlist war voller trauriger Songs, denn um ehrlich zu sein wusste ich nicht mehr wann ich das letzte Mal so wirklich glücklich gewesen war. Ihr kennt doch diese kurzen Höhenflüge und derben Abstürze? Das Glück hält nie lange an. Alles hat ein Ende. Jede Geschichte hört irgendwann auf. Ich wollte nie ein „Und wenn sie nicht gestorben sind". Ich wollte sterben.

Mittlerweile war es drei Uhr nachts und ich spürte das warme Schnurren der Katze an meinem Rücken. Ich hatte geweint bis es nicht mehr ging. Meine Augen wollte ich bloß nicht sehen, ich konnte mir vorstellen wie rot und aufgequollen sie aussahen. Ich hatte keine Ahnung, womit ich das verdient hatte. Oftmals fühlte ich mich, als stünde ich neben mir inmitten der leeren Flaschen und Dosen auf meinem Teppich und würde stumm meinen leise wimmernden Körper beobachten.

Als die Nacht schwand und das Licht der Morgensonne meine Nasenspitze berührte, zog ich mir zunächst meine schwarze Bettdecke über den Kopf bis ich aus der Küche ein Scheppern hörte und mich Panik überkam.  Wahrscheinlich war es nur die Katze, doch ich musste mich vergewissern, dass kein kranker Einbrecher meinen Alkohol mitgehen ließ. Auf leisen Sohlen huschte ich die unter meinem geringen Gewicht knarzende Treppe hinunter. Der Geruch von Kaffee und Pfannkuchen wehte mir entgegen. 

"Merkwürdig...", flüsterte ich und umfasste zitternd das Treppengeländer. Ich stapfte nur in gestreiften Boxershorts in den hell erleuchteten Raum.

Leicht verwundert und noch im himmelblauen Hemd mit Krawatte drehte mein Vater sich zu mir um: „Seit wann bist du denn so früh wach?"

Ich legte meinen Kopf schräg: „Seit wann jagst du mich um 7 Uhr morgens aus dem Bett, weil du dich nicht ankündigst?"

Ich nahm so leise wie möglich Platz am Tisch und versuchte das Kratzen des Stuhls auf den grauen Fliesen so gering wie möglich zu halten. Nicht unbedingt, weil mein Kopf brummte, sondern auch, weil mein Vater so fertig aussah. Er fühlte sich immer schlecht, weil er kaum zu Hause war. Er war vier Tage auf Dienstreise gewesen, was mir nichts ausmachte, und als Entschädigung bekam ich noch dazu ein Frühstück. Mit einem lauten Aufstöhnen setzte er sich mir gegenüber: „Ich habe gesehen, Kristof ist wieder da." 

Es klang mehr nach einer Frage als nach einer Feststellung, da auch er nicht gedacht hatte, ihn jemals wiederzusehen, also nickte ich und nahm einen Schluck vom Kaffee, der mir die Kehle verbrannte, die sich soeben zugeschnürt hatte.

„Und du willst ihm nicht Hallo sagen?" Ich hatte das Gefühl, auch ohne Ahnung von den Geschehnissen der letzten Nacht zu haben, wusste er über meine Antwort Bescheid. Er wusste von fast allem in meinem Leben. Ich war ein Teenager und mein Vater mein bester Freund.

„Du weißt schon, dass es nicht besser wird, wenn du davonläufst, oder? Denn das tust du immer. Irgendwo auf deiner Flucht fällst du hin und tust dir weh."

Ich murmelte: „Nein, eben nicht. Deshalb läuft man ja davon..."

„Damals, als deine Mutter mich verließ, warst du gerade mal drei Jahre alt."

Als ob ich die Geschichte nicht oft genug gehört hatte. Doch ich ließ ihn reden, denn es tat ihm sichtlich gut. Er hatte mir früh genug beigebracht, dass es nicht gesund war, Dinge in sich hineinzufressen. Trotzdem tat ich es aus purer Ignoranz.

„Sie hatte eine Lücke in mein bisher vollkommenes Leben gerissen und ein Loch in mein Herz, das ich nicht füllen konnte. Ich lief vor der Leere davon in die Dunkelheit und machte es somit nur schlimmer. Hätte ich mich nur jemandem anvertraut, anstatt mir einzureden, alles wäre gut. Ich liebte sie immer noch. Dann hatte ich noch ein Kind mit ihrem Gesicht, was andauernd meine Zigaretten in sich reinstopfte. Während sie längst mit mir abgeschlossen hatte, konnte ich mir nicht einmal vorstellen ohne sie zu leben. So ist das als Sitzengelassener. Du hinkst hinterher und hast keine Ahnung davon, wer es wert ist zu weinen und wer nicht."

„Und...wie finde ich heraus, wer es wert ist?"

Selbst seine hellen Augen schienen zu lächeln, als er flüsterte: „Da wirst du dir schon sicher sein."

Ich schaukelte langsam vor und zurück und berührte mit meinem Schuh Monas Knie, die mit ihrem dritten Kaffee an diesem Morgen im Mulch saß. Ich selbst konnte mit meinen Füßen kaum den Boden berühren. So sehr ich es auch versuchte, ich war einfach zu klein.

„Er hat gesagt, er würde dich manchmal vermissen", flüsterte sie während sie sich die linke Hand an die Schläfe hielt.

„Manchmal, das ist immer und immer, das ist nie."

Sie zuckte zusammen: „Alter! Warum schreist du so?"

Ich lachte und hüpfte von der Schaukel: „Weißt du was? Wir sollten nie aufhören zu trinken."

Everything is fineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt