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Aschenputtel

Seufzend vergrub ich den Kopf zwischen meinen Armen und schloss die Augen. Es war nur eine von vielen Noten, versuchte ich mir weiterhin einzureden. Das Blatt, auf dem ich halb lag wurde grob weggezogen.

"Was haben wir denn da?" Entnervt blickte ich auf und holte mir ohne sie einmal anzusehen das Blatt zurück. Die rot umkringelte Sechs prangte genau über Kopf des Dämons. Ich musste meine Kunstlehrerin gar nicht mehr fragen, was es damit auf sich hatte. Eine völlige Fehlinterpretation des Themas - wie so oft. Dabei war ich auf diese Zeichnung ganz besonders stolz.

"Wieder eines deiner Hirngespinste, Aschenputtel?" Wenn sie doch wenigstens Cinderella sagen würde.

"Immerhin ist meine Zeichnung gut geworden", spottete ich mit einem Blick auf den Zettel in ihrer Hand. Zeitgleich mit dem Pausengong erhob ich mich von meinem Platz und packte meine Sachen zusammen. Das Papier mit dem Dämon und der fetten Sechs verschwand ganz unten in meiner Tasche.

"Wer von uns beiden hat hier die Sechs?", fragte Melina gehässig. Eins zu null für sie. Schweigend verließ ich den Klassenraum und lief in die Richtung der Bibliothek. Mein Zufluchtsort. Zwei kreischende kleine Fünftklässler rasten an mir vorbei.
Ich wunderte mich, was sie im Oberstufentrakt zu suchen hatten. Aber mein Mund blieb verschlossen, obwohl ich sie eigentlich an einen Lehrer hätte verpfeifen können. Während der Prüfungszeit durfte niemand außer den betroffenen Personen in das Nebengebäude der Schule.

Um zur Bibliothek zu gelangen musste ich einmal über den gesamten Schulhof voller lärmender Kinder.
Wie ich große und laute Menschenansammlungen doch hasste. Es wurde hier geschubst, da gedrängelt, dann landete ein Ellenbogen in meiner Seite und ich verzog mein Gesicht.

Der erste Schultag nach den Ferien war immer der schlimmste. Im Laufe der Woche würde sich alles wieder beruhigen. Zum Glück waren die ersten Tage nur vier Stunden Unterricht.

Zwei Stufen auf einmal nehmend lief ich die Treppen ins zweite Stockwerk des Hauptgebäudes hinauf. Ein wenig außer Atem lächelte ich der alten Bibliothekarin, die hier seit Jahren ehrenamtlich arbeitete, zu. Auf Smalltalk hatte ich keine Lust, lieber stöberte ich durch die Regale und guckte, welche Bücher in den Ferien angeschafft worden waren.

Unsere Schulbibliothek diente gleichzeitig als Stadtteilbibliothek und war dementsprechend groß.

Im hintersten Winkel - meiner Lieblingsecke - roch es leicht muffig und die Regale wiesen eine leichte Staubschicht auf. Hier standen alte Bücher, die alle von magische Wesen und Zauberei handelten und aufgrund ihres Alters leider nicht ausgeliehen werden durften. Aber wie ich nun entdeckte, waren einige neue Bücher hinzugekommen.

Vorsichtig ließ ich meine Finger über die Buchrücken wandern und zog dann ein kleines schmales Büchlein hervor. Die leicht vergilbten Seiten waren alle blank. Kein einziges Wort stand dort geschrieben. Schnell nahm ich ein neues hervor und blätterte auch darin. An meinen Augen konnte es schon mal nicht liegen, denn in diesem Buch standen Wörter.

Ich würde einfach am Ende der Pause Frau Peters fragen, was es damit auf sich hatte. Langsam ließ ich das Büchlein in meine Tasche gleiten und war in Gedanken schon bei dem nächsten Buch. Eines über Dämonen und wie man sie unterscheiden konnte. Zufrieden ließ ich mich damit an einem der wenigen Tische nieder und begann mir grobe Merkmale oder Ideen zu meinen Zeichnungen rauszuschreiben.

Eine Melodie ließ mich aufhorchen. Ein junges Mädchen summte ein frei erfundenes Lied vor sich hin, doch so schön es auch klang, es nervte mich. Dieser Ort war ein Ort der Stille, da gehörte so etwas einfach nicht hin. Als sie dann auch noch zu singen begann, war es um mich geschehen. Ich sagte ihr, sie solle leise sein oder die Bibliothek verlassen. Daraufhin starrte sie mich zwar erschrocken an, verstummte aber augenblicklich und verschwand hinter dem nächsten Bücherregal. Ihre hellen Haare waren das Letzte was ich von ihr zu Gesicht bekam.
Zufrieden widmete ich mich wieder meinen Büchern.

Book of HellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt