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Ein absoluter Albtraum

Ganz langsam lichtete sich die Dunkelheit und wich eine. mir nur allzu bekannten Ort. Der große Platz vor dem städtischen Einkaufszentrum. Erinnerungen stürmten auf mich ein, wie ich mit meiner Mutter als kleines Kind durch die Läden gewandert war oder später alleine, auf der Suche nach einem schönen Abschlussballkleid. Unangenehm berührt verdrängte ich ich sie aus meinem Kopf. Luzifer stand hoch erhobenen Hauptes schräg vor mir, weswegen ich unauffällig mit Tamlin Blicke tauschen konnte. Er schien hin und her gerissen. Keine gute Entscheidung. Ich beschloss, ihn ab sofort zu ignorieren.

"Erhebt euch!" Die umstehenden Passanten interessierten sich nicht für ihn. War es möglich, dass unsere Gesellschaft gegenüber allem so abgestumpft war? Anders konnte ich mir die völlige Ignoranz, die uns entgegen schlug, nicht erklären.

"Hälst du das wirklich für eine gute Idee?", fragte ich Luzifer und hoffte, er würde zögern. Mir war klar, dass dieser Befehl seinen Dämonen gegolten hatte, auch wenn ich sie immer noch nicht entdecken konnte.

"Das fragst du noch! Seit Ewigkeiten arbeite ich darauf hin!" Seine Augen huschten begierig hin und her. Aus dem Nichts heraus bildeten sich schwarze Rauchwolken und formten sich zu mir nur allzu bekannten Dämonen. Luzifers Hohedämonen mischten sich mit meinen und waren deutlich in der Überzahl. Selbst wenn die von mir Erschaffenen niemandem etwas taten, würden die Hohedämonen mehr als genug Schaden anrichten. "Wir fangen hier an und breiten uns dann aus, bis mir die ganze Welt zu Füßen liegt!" Die ersten Schreie drangen an meine Ohren. Ich hielt meine Hände davor, in der Hoffnung sie auszublenden.

"Ruf sie zurück! Das hier ist falsch!", schrie ich, die Stimme durch meine Panik verzerrt mehrere Oktaven höher. Verdammt, das war alles viel zu schnell gegangen! In der letzten Zeit hatten wir uns zu sehr auf der vorläufigen Schonfrist ausgeruht und wurden nun urplötzlich mit dem ganzen Drama konfrontiert. Verzweifelt schloss ich die Augen, Luzifers zufriedenes Lachen schallte in meinen Ohren nach. Ich ging auf Abstand, rannte in die Seitengassen und wünschte mir nichts anderes, als dass es aufhörte. Ich hatte versagt. Der metallische Geruch von stieg mir in die Nase. Neben mir griff einer von Luzifers Dämonen eine Frau an. Ihre feigen Freundinnen hatten die Flucht ergriffen.

Wütend stellte ich mich dem Monster in den Weg, doch es interessierte sich nicht einmal ansatzweise für mich. Als das arme Ding, das nur wenig älter als ich sein konnte, über ihre eigenen Füße stolperte war es um mich geschehen. Ich griff in das lange Nackenfell der Kreatur und riss es zu mir herum. Glutrote Augen musterten mich, dann präsentierte es mir seinen fingerlangen Reißzähne. Gerade noch rechtzeitig wich ich zurück, bevor es diese in meiner Schulter hätte versenken können. Callums Unterricht sei Dank.

"Ash!" Durch Tamlins Stimme war ich einen Moment abgelenkt, weshalb das Monster seine Krallen ungehindert in meinem rechten Unterarm schlagen konnte. Beißender Schmerz zog mir den Arm entlang, Blut schoss aus der Wunde hervor. Mit zusammengebissenen Zähnen zog ich den Arm an meinen Körper. Tamlin kam schlitternd neben mir zum stehen und brachte den Dämon mit einem Tritt vor die Brust zu Fall. Die Frau hatte sich in Sicherheit gebracht. Mein Retter zog mich an dem gesunden Arm zurück in die Mitte des Platzes. "Bleib hier. Luzifer nähern sich keine Dämonen, da sind wir sicher." Fassungslos suchte ich in seinen Augen nach mehr. Nach Sorgen um die Sicherheit der Menschen, wie ich sie mir machte.

"Das ist jetzt nicht dein Ernst! Da vorne sterben Menschen und dich interessiert das nicht?" Meine Stimme klang schrill. Tamlin zog mich mit sich. Da entdeckte ich einen meiner Dämonen, wie er sich gegen einen anderen stellte. Stolz verdrängte die Wut und Angst für einen kurzen Augenblick. Bis zu genau dem Moment als er den kleinen Machtkampf verlor und zerfetzt wurde. Schaudernd wandte ich den Blick ab. Luzifers Magier hatte ganze Arbeit mit dem Buch geleistet. Es berührte mich nicht, die Menschheit war mir wichtiger als die von mir geschaffenen Maschinen. Auch Luzifer hatte die Szenarie beobachtet und wandte sich wutschnaubend an mich. Tamlin hielt mich weiterhin fest, weswegen ich nicht vor der unfassbaren Wut des Teufels in Deckung gehen konnte.

"Was hast du dummes Gör mit ihnen gemacht? Warum stellen sie sich für diese lächerlichen Menschen gegen ihre Artgenossen?" Wutentbrannt hob Luzifer die Hand. Sein Schlag an meiner Wange warf mich zur Seite in Tamlins Arme hinein. Schmerz pochte in meinem Arm und jetzt auch in meiner rechten Gesichtshälfte. Er hatte mich tatsächlich geschlagen. Fassungslos hob ich meine Hand an meine Wange. Sie wurde sofort warm. Tamlin spannte seine Muskeln an, sagte allerdings nichts dazu. Wütend wand ich mich aus einem Griff. "Das war schon lange überfällig." Mit einer Handbewegung schnitt er mir das Wort ab.

Dieses Mal blieb ich in einem Umkreis von fünf Metern, nicht weil ich auf Tamlin hörte, sondern weil ich ungestört nachdenken wollte. Inzwischen war fast niemand mehr hier draußen. Manche hatten sich in Geschäften in Sicherheit gebracht, welche nun von den Dämonen belagert wurden. Drei Leichen befanden sich in Sichtweite. Es müsste mich mehr berühren, stattdessen ließ es mich kalt. Machte mich das zu einem schlechten Menschen? Mit energischen Schritten stellte ich mich neben Luzifer.

"Gibt es etwas, das dich dazu bringen würde, dieses Chaos zu beenden?", ging ich die Sache ganz direkt an, während ich überlegte, ob ich es schaffen würde, den Dämon von dem Schaufenster wegzubekommen. Lange hielt das Glas des Juweliers bestimmt nicht mehr.

"Dafür genieße ich die Todesängste der Menschen zu sehr. Einzig und allein meine Amea kann das ausgleichen." Praktisch also, dass die Frau, von der er besessen war, nicht in näherer Zukunft hier erscheinen würde. Mit einem lauten Krachen brach das Glas des Juweliergeschäfts in tausende kleine Splitter. Die Menschen kreischten entsetzt auf und flohen in alle Richtungen. Der Dämon griff alles an, was ihm zu nahe kam und nahm die Verfolgung eines kräftigen Mannes auf.

"Warum hilft Gott uns denn nicht?!", schrie der arme Kerl und ich zuckte zusammen. Gute Frage. Selbst wenn ich die Antwort kennen würde, hätte ich ihm keine Antwort geben können, da er mich nicht sah. In dieser Stadt waren meine Eltern. Ich hoffte so sehr, dass sie sich in Sicherheit bringen konnten, bevor dieses Gemetzel losgegangen war. Noch immer nagten die Schuldgefühle an mir. Dass meine Dämonen nur in geringer Anzahl vertreten waren, machte es kaum besser. Hätte ich geahnt, wie viele Hohedämonen Luzifer untergeben waren, hätte ich anders gehandelt. Aber wie sagte man so schön? Im Nachhinein war man immer schlauer.

"Weil ihr lächerlichen Menschen eure eigenen Entscheidungen treffen sollt, damit eure Seele zur Vollwertigkeit aufsteigen kann. Kämpft oder sterbt!", schrie Luzifer neben mir. Auch wenn der Mann ihn nicht sehen konnte, schien er ihn gehört zu haben. Er zog seinen Gürtel aus seiner Hose und versuchte sich damit zu verteidigen, soweit es ging. In der Not wurde der Mensch erfinderisch. Am Ende lag der arme Kerl mit zerfetzter Kehle am Boden. Mit einem tonnenschweren Stein im Magen wandte ich mich ab. Es war nicht meine alleinige Schuld, sagte ich mir immer wieder. Früher oder später würde ich sonst an den Schuldgefühlen zerbrechen. Luzifer musste dafür nicht Tamlin auf mich schicken, das hatte er ganz alleine geschafft.

Der Blutgeruch ließ mich würgen. Ich musste hier weg, es gab nichts, was ich tun konnte. Plötzlich schienen alle Dämme zu brechen, Tränen flossen in Strömen meine Wangen hinab. Meine Dämonen hatten nichts ändern können, das war das Ende. Normalerweise dachte ich nicht pessimistisch, aber jetzt war die Lage wirklich aussichtslos. Der Platz war wie ausgestorben. Luzifer applaudierte sich selbst.

"In weniger als einer Stunde wird die gesamte Welt Bescheid wissen und dann ist es eine Frage er Zeit, bis ich die Stadt für Stadt und Land für Land in Asche lege!" In Filmen und Büchern siegte doch immer das Gute! Wo war unser Held? Hilfesuchend blickte ich zu Tamlin, durch meinen Tränenschleier sah ich ihn nur verschwommen. Wenn zwischen uns wirklich diese Seelenbindung herrschte und er dafür kämpfen wollte, dann sollte er gefälligst etwas tun! Heiße Wut ballte sich in meinem Bauch. Auf mich, Tamlin, Luzifer, alles und jeden. Ich sah rot. Ohne Befehlshaber mussten die Dämonen sich einfach zurückziehen. Den Aufstand im Keim ersticken. Dafür war es zu spät, Jella hatte Unrecht gehabt. Also das Problem bei den Wurzeln packen.

Ich versuchte mich an alles aus Callums Unterricht zu erinnern. Mit dieser Strafe hatte Luzifer sich sein eigenes Grab geschaufelt, beschloss ich kurzerhand. Mein Schutzengel würde mich vor Üblerem schützen und selbst wenn nicht. Was war mein Leben gegen das der ganzen Welt. Dezimiert hatte er die Bevölkerung genug.

Das Kinn stolz erhoben näherte ich mich dem Teufel von hinten. Seine langen blonden Haare wurden ihm zum Verhängnis. Mit einer Kraft, die ich mir nicht zugetraut hätte, riss ich ihn nach hinten und hielt schließlich ein kleines Büschel Haare in der Faust. Schmerzerfüllte Schreie folgten, die in meinen Ohren übertrieben klangen im Gegensatz zu denen der Menschen. Seine Schwingen hatte ich wieder vergessen. Als Reaktion auf meinen Angriff schossen diese aus seinem Rücken hervor und warfen mich nach hinten. Wie ein Todesengel ragte der Teufel über mir auf.

Book of HellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt