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Fataler Fehler

Schritt für Schritt ging ich nach vorne, den Blick hypnotisiert auf die Flügel gerichtet und das Buch auf den Händen präsentierend. Gedankenverloren übergab ich es in die gierigen Finger des Teufels und widmete mich dem Grund meiner Faszination. Die Federn waren sie weich wie sie aussahen, Knochen und Muskulatur waren darunter deutlich zu erahnen. Probeweise zupfte ich an den glatten Spitzen, um zu sehen, ob sie auch wirklich ein Teil des Höllenfürsten waren. Er stieß ein Knurren aus und ich wurde schlagartig nach hinten geschleudert. Benommen tauchte ich aus meinem tranceartigen Zustand auf.

Ich war knapp sechs Meter von einem angriffslustigen Luzifer entfernt auf dem Boden aufgekommen. Mein Hinterkopf ziepte aufgrund des Aufpralls ein wenig, doch ansonsten war ich unversehrt. Den Sinn hinter manchen Schmerzen würde ich wohl nie verstehen. Tamlins Fuß zuckte nach vorne, als wolle er zu mir kommen, musste seinem Herr aber Gehorsam zollen. Eingeschüchtert rappelte ich mich auf und wich zusätzlich einige Schritte zurück. Die Warnung war deutlich gewesen. Verwirrt blickte ich auf meine leeren Hände, anschließend auf die des Teufels. Bestürzt dachte ich an meine Tat, meinen riesigen Fehler.

"Gib es zurück! Du hast mich verzaubert, um an das Buch zu gelangen!", rief ich wütend, auf mich selbst und über seine List. Noch immer sickerte das Entsetzen wie Gift durch meine Adern. Hatte ich damit das Schicksal unzähliger Menschen unterschrieben? Scheinbar standen mir meine Gedanken ins Gesicht geschrieben, denn Luzifer lachte ehrlich belustigt.

"Du kennst nicht einmal ein Körnchen meiner Pläne und machst die trotzdem Sorgen um ein Volk, dem du nicht mehr vollständig angehörst. Erstaunlich menschlich für jemanden wie dich." Sein Raubtier-Blick erweckte einen tief sitzenden Flucht Instinkt, das Gefühl vor etwas unzähmbaren davon laufen zu wollen. "Vorerst sind deine Dienste nicht mehr von Nöten." Als ob ich irgendetwas davon freiwillig getan hatte. Das war wohl Tamlins Zeichen zum Handeln gewesen. Er führte mich aus dem Saal, während ich weiterhin stockstarr nach zahllosen Gedankenfetzen griff. Erstaunlich menschlich für jemanden wie dich. Was konnte er damit nur gemeint haben? Dieses Rätsel war mit einem Mal viel bedeutender als die Tatsache, dass das Buch futsch war.

Mein Kopf war leergefegt und wie Tamlin mich zurück in mein Zimmer brachte, bekam ich kaum mit. Dort erwartete uns ein reichlich angefressener Callum, mit dem Tamlin mich umgehend alleine ließ. Super, jetzt durfte ich ihm auch die Sache mit seiner totbraven Nadine erklären. Wortwörtlich.

"Wo warst du so lange? Ich hab ewig auf dich gewartet", begann er sofort, nachdem Tamlin den Raum verlassen hatte. Komisch, dabei war mir das gar nicht so lange erschienen. Immerhin sprach er nicht sofort unseren Streit an.

"Luzifer hat mich zu sich gerufen. Können wir dann zum Training?", unterband ich schnell jede weitere Frage. Ablenkung würde mir jetzt sicher guttun. Danach konnte ich mir immer noch überlegen, ob ich unsere Auseinandersetzung wieder hervor kramen wollte. Zum ersten Mal freute ich mich wirklich auf ein anstrengendes Training, so ließ sich diese Strafe doch gleich viel leichter ertragen. Ein wenig irritiert musterte Callum mich prüfend, ehe er zur Tür marschierte.

Das Training wurde wirklich, wirklich anstrengend. Entweder bemerkte Callum, dass ich mich ablenken wollte oder er war immer noch ein wenig sauer auf mich. Nach dem Aufwärmen und leichtem Krafttraining legte er mir zum ersten Mal eine richtige Waffe in die Hand. Ein langes Schwert, das ein enormes Gewicht hatte und ich sicherlich nicht über einen längeren Zeitraum würde führen können.

Schweigend gab Callum mir mit der Hand Anweisungen zur richtigen Haltung, jedoch ohne mir zu erklären, um was für eine Waffe es sich handelte. Dass er mir beim Korrigieren ziemlich nahe kam, brauchte ich nicht zusätzlich zu betonen. Mir wurde mulmig zumute, als er sich selbst ein Schwert aus der Halterung an der Wand entlang der Hallenseite nahm und sich vor mir auf den dünnen Matten positionierte.

Book of HellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt