1. Teil

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Warning! Dieses Kapitel enthält über 10600 Wörter! Rechnet mit einer Lesezeit von etwa einer halben Stunde! :)

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"Stegi? Hey Stegi, Zeit zum Aufstehen!"

Ich blinzelte und lächelte Tim an, der bereits wach und vollkommen fertig angezogen neben meinem Bett kniete und einen warmen Kakao für mich auf meinem Nachttisch abstellte. Ich war unendlich glücklich, jemanden wie ihn als besten Freund zu haben. Wir kannten uns, seit ich denken konnte und wir teilten uns sogar eine Wohnung. Da ich keine Eltern mehr hatte, kümmerte er sich an ihrer Stelle um mich. Von ihm hatte ich nie etwas anderes als Aufrichtigkeit, Fürsorge und Liebe erfahren. Und selbst das war noch eine Untertreibung für alles, was ich ihm verdankte. Natürlich ließ ich mich also nicht eine Sekunde lang bitten und schlüpfte schnell aus dem warmen Bett, um mit Tim zusammen zu frühstücken.

"Bringst du mich wieder zur Schule?", bettelte ich ihn kurz darauf, während ich mich hastig umzog und meine Frisur richtete. Eigentlich eine überflüssige Frage, er hatte mich bisher immer frühs begleitet! Aber ich mochte die Bestätigung hören, jeden Morgen aufs neue, nur um meine Laune ein wenig zu verbessern. Und Tim spielte bereitwillig mit: "Natürlich, gerne!"

Kurz darauf verließen wir auch schon gemeinsam das Haus und schlenderten die paar hundert Meter durch die Innenstadt. Auf dem ganzen Weg schwatzte ich munter über alles, das heute im Unterricht anstehen würde und unterbrach mich, als mein Freund immer schweigsamer wurde. "Tim? Ist was?"

Ich drehte mich verwundert um, aber er war verschwunden. Spurlos, wie vom Erdboden verschluckt. Seltsam. Das passierte nur ganz selten, doch dann fanden wir uns in der Regel wenige Minuten später auch schon wieder. Trotzdem war ich traurig und zog eine Schnute. Vorsichtshalber stellte ich mich sogar auf die Zehenspitzen und schaute mich ganz genau um, aber nirgendwo entdeckte ich die markante dunkelbraune Frisur in der Menge. Wohin er wohl gegangen war? Er wusste doch, dass ich mir wahnsinnig schnell Sorgen machte!

Und einsam fühlte ich mich auch noch. Außer in der Schulzeit ließ er mich nie alleine. Selbst während der Stunden blieb er immer irgendwo in der Nähe des Grundstücks, fast als hätte er Angst, dass mir sonst etwas schlimmes zustoßen könnte. Nachdenklich starrte ich vor mich hin, als mich jemand plötzlich packte und mir mit einer Hand den Mund zuhielt, damit ich nicht schreien konnte. Sein anderer Arm schlang sich um meine Hüfte und riss mich ein Stück vom Boden hoch.

"Hey Kleener, haste dich verlaufn?", lallte eine tiefe, alkoholgeschwängerte Stimme direkt an meinem Ohr und ich bekam blanke Panik. Der Typ scherte sich jedoch kein bisschen um mein Gezappel und den Fäusteregen gegen seinen fetten Bierbauch. Er gluckste nur belustigt, während er mich mit sich in eine Häusergasse zog und mich dort angekommen auch schon an der nächstbesten, blickgeschützten Mauer mit meinem Gesicht zu den kalten Backsteinen zugewendet festpinnte. Ekelhaft grinsend tastete er zielstrebig nach meinem Schritt und machte sich am Hosenbund zu schaffen. Ich versuchte um Hilfe zu rufen, aber seine Hand dämpfte jedes Geräusch ab, das ich von mir geben wollte. Ruppig zerrte der Kerl am Reißverschluss herum und knurrte, als ich ihm kurzerhand immer wieder kräftig gegen sein Schienbein trat und versuchte, seine Arme wegzudrücken.

"Du kleener Scheißer, halt schon still!", fauchte er und schnürte mir jetzt stattdessen mit seiner Pranke meinen Hals zu und die Atemluft ab. Meine Schuhe schürften wild über das Straßenpflaster knapp unter ihnen und mir wurde allmählich schwindelig. Tim, Tim wo bist du? Ich brauche dich, jetzt mehr denn je!

Plötzlich löste sich der eiserne Griff und mit einem lauten, überraschten Aufschrei stolperte der Alkoholiker hinter mir rückwärts. Hustend und würgend sank ich zu Boden und befühlte vorsichtig die gequetschte Haut. Es tat weh, aber nichts schien dauerhaft beschädigt.

Flamme im Ozean (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt