Kapitel 1

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"The best way of keeping a secret is to pretend there isn't one." - Margaret Atwood
 

Ich bin erstaunt an was Mom alles gedacht hat. Ich würde zwar nicht sagen, dass sie den halben Haushalt mitgenommen hat, aber die wichtigsten Sachen die man in einem Haus braucht sind alle in den braunen Umzugskartons verstaut, in die ich bisher nur flüchtig einen Blick geworfen habe. Naja, fast alles. An Lebensmittel hat Mom nicht gedacht, weshalb sie sich, nachdem sie aufgewacht ist, direkt auf den Weg zum Supermarkt gemacht hat.

Letzte Nacht bin ich ohne irgendetwas richtig wahrzunehmen aus dem Auto ausgestiegen und habe mich im Haus auf einer Matratze die auf dem Boden lag wieder schlafen gelegt. Aufgewacht bin ich heute morgen auch nur, weil ich gehört habe wie die Haustür quietschend zugezogen wurde.

Mit einem tiefen Seufzer nehme ich mein Handy, dass auf dem obersten Umzugskartons liegt und beschließe mir selbst eine kleine Haustour zu geben.

Das Haus ist ziemlich groß und geht über ganze 3 Etagen. Was mich sofort beeindruckt sind die zwei riesigen Schlafzimmer. Das eine davon befindet sich im obersten Stock, und hat eine Wand die komplett aus Fensterglas besteht. Der Ausblick von dort ist atemberaubend schön. Zusätzlich verfügt das Haus noch über ein großes Badezimmer, eine Küche die mit dem Wohnzimmer verbunden ist, ein Arbeitszimmer und ein Abstellraum.

Ehrlich gesagt bin ich ziemlich erstaunt, dass Mom sich so ein Haus überhaupt leisten kann, denn es sieht nicht so aus als würde es nur ein paar hundert Euro Miete im Monat kosten. Meine Gedanken werden davon unterbrochen, dass Estrella anfängt laut zu bellen, und ich höre wie die Haustür aufgeschlossen wird. Mom ist wieder da.

❀❀❀

Zum Mittagessen gibt es Tomaten-Creme Suppe mit Baguette. Mom weiß, dass das mein Lieblingsessen ist und ich vermute mal das sie damit versucht das, was letzte Nacht geschehen ist wieder gut zu machen. Aber da muss sie sich schon was besseres einfallen lassen.

Eine Weile essen wir beide stillschweigend voreinander hin, und ich würdige Mom keines Blickes. Auf einmal hört sie auf zu essen, legt ihren Löffel neben den Teller, und schaut mich von der Seite an. Erst esse ich seelenruhig weiter, doch irgendwann lasse auch ich meinen Löffel senken.

"Was?", gebe ich genervt von mir, und sehe meine Mutter an.

Mom scheint sich ihre Antwort gut zu überlegen. Sie macht den Mund auf, doch ein paar Sekunden später schließt sie ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Ich tue so als würde mich das alles nicht interessieren, und esse einfach weiter.

"Willst du mich jetzt ewig ignorieren?", fragt sie auf einmal mit einem Unterton von Schuldbewusstsein in ihrer Stimme.

"Ich ignoriere dich doch gar nicht.", gebe ich nur scheinheilig wieder, bevor ich mir ein Stück Baguette abreiße.

"Hör mir zu, Luna. Das wir letzte Nacht so plötzlich abgehauen sind tut mir total leid. Aber ich hatte leider keine andere Alternative. Es war der richtige Zeitpunkt, um einen Neuanfang zu starten. Ich habe ein besseres Jobangebot hier bekommen, und es gibt hier eine sehr schöne Schule, die dir bestimmt gefallen wird. Ich habe alles geplant. Du musst dir keine Sorgen machen."

Stille.

"Bitte sag irgendwas, Luna."

"Was möchtest du denn von mir hören?", frage ich leicht zickig und mit einem falschen Lächeln im Gesicht. Doch Mom geht auf meine Frage gar nicht ein.

"Du musst mich verstehen. Zwischen mir und deinem Vater hat es schon längere Zeit nicht mehr funktioniert. Ich habe immer versucht die ganzen Probleme zu ignorieren, aber irgendwann ging es einfach nicht mehr."

"Achja? Und hast du dir vielleicht einmal überlegt wie ich mich bei der ganzen Sache fühle? Oder Dad? Wie hättest du dich gefühlt, wenn du auf einmal nichts ahnend aufwachst, und dein Mann, deine Tochter und Teile deines Haushalts sind weg?", kontere ich wütend.

"Darum geht es doch überhaupt nicht!", setzt sie an, doch ich lasse sie nicht ausreden.

"Doch, genau darum geht's! Hast du mal eine Sekunde an mein Leben gedacht? Ich konnte mich von niemandem verabschieden! Nicht von meinen alten Freunden, geschweige denn von meinem eigenen Vater!", schreie ich sie nun schon fast an.

Nachdem ein paar Sekunden niemand von uns etwas sagt hänge ich noch ein: "Woher willst du überhaupt wissen ob ich nicht viel lieber bei Dad geblieben wäre als bei dir?", an.

Ich bin mir wohl bewusst, dass meine Antwort ziemlich hart war, aber das ist mir egal. Das Verhalten meiner Mutter war in meinen Augen einfach nur egoistisch.

Plötzlich klingelt es an der Tür. Bevor meine Mutter überhaupt reagieren kann, schiebe ich meinen Stuhl nach hinten und mache mich auf den Weg um zu öffnen.

Als ich die Tür öffne, setze ich ein Lächeln auf und entdecke ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter sein muss. Sie hat dunkelblonde Haare, die ihr etwas bis über die Schultern gehen und trägt einen Korb mit einer großen, roten Schleife unterm Arm.

"Hey! Ich wollte nur mal kurz vorbeischauen! Ich wohne mit meiner Familie im Haus nebenan, und wollte euch im Namen aller herzlich in der Nachbarschaft willkommen heißen!", verkündet sie mit einem strahlen im Gesicht bevor sie mit den Korb in die Hand drückt.

"Den hat meine Mutter mir mitgegeben. Sie freut sich richtig, dass wir neue Nachbarn haben. Hier in Nojesti sieht man nicht oft neue Gesichter."

"Danke! Ich bringe den kurz in die Küche.", sage ich und mache mich auf dem Weg zurück ins Haus.

Nojesti. So heißt die Stadt also. Ich glaube ich habe den Namen irgendwann schonmal gehört, aber ich kann ihn nicht ganz zuordnen. Ich stelle den Korb auf dem Tresen ab, und begebe mich auf den Weg zurück zur Haustür.

Wieder dort angekommen lächle ich sie nochmal dankbar an und lehne mich an die halb offene Tür.

"Oh, Ich bin übrigens Nelia.", hält sie mir ihre ausgestreckte Hand hin.

"Luna.", antworte ich und halte ihr ebenfalls meine Hand hin.

"Wer ist an der Tür?", ruft meine Mutter aus dem Wohnzimmer.

"Ein Mädchen aus der Nachbarschaft.", gebe ich knapp zurück.

"Störe ich gerade bei irgendwas?", fragt Nelia verunsichert und ich schüttele schnell den Kopf.

"Wenn du willst, kann ich dir ein bisschen die Umgebung zeigen.", bietet sie an, und in Gedanken umarme ich sie gerade dafür, da sie mich damit aus der unangenehmen Situation mit Mom rettet.

"Sehr gerne.", antworte ich.

Schnell hole ich meinen Mantel und nehme mir eine Mütze aus einem der Kartons raus. Meiner Mutter rufe ich noch ein: "Ich geh ein bisschen raus!", zu bevor ich über die Türschwelle trete, und die Haustür hinter mir zuziehe.

Gefährliche Mischung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt