"You never get a second chance to make a first impression." - Andrew Grant
Die Schule ist wie Nelia mir bereits gestern versichert hat riesig. Mit offenem Mund bestaune ich das alte Backsteingebäude vor mir, an dessen Seitenwänden sich der Efeu entlang rankt. Von außen sieht es wirklich ziemlich abgekommen aus, aber mir gefällt dieser altmodische Stil. Es hat so etwas beruhigendes, und die frische, kalte Morgenluft verleiht einem das Gefühl von Optimismus.
Nelia und Cay haben sich bereits von mir verabschiedet, und sich auf den Weg in ihre Unterrichtsräume gemacht. Wir haben uns gleich für die erste Pause in der Cafeteria verabredet.
Den ganzen Weg über hat Nelia mir immer wieder versichert, das sie mir alle vorstellen wird und ich einen ganz tollen ersten Tag haben werde. Ich glaube, ich habe noch nie einen Menschen so über die Schule schwärmen gehört wie Nelia, aber sie hat mich letztendlich mit ihrer Guten Laune angesteckt.
Entschlossenen Schrittes mache ich mich auf den Weg ins Innere des Schulgebäudes, mit dem Schulbüro als Ziel.
❀❀❀
Als ich nach kurzer Suche Herrn Dietzk ausfindig machen kann, begrüßt er mich herzlich und überreicht mir meinen Stundenplan. Ich wurde der Klasse 10e zugeteilt und bete innerlich, das das auch die Klasse von Nelia ist. Sie hat bestimmt irgendwann schon einmal erwähnt in welche Klasse sie geht, aber ich schätze das habe ich mir nicht gemerkt.
Nach einem kurzen Gespräch in dem er mich fragt, wieso wir umgezogen sind und wie mir Nojesti bisher gefällt, drückt er mir noch schnell einen Gebäudeplan in die Hand, bevor auch er in den langen Korridoren der Schule verschwindet. Nach einem Blick auf die detaillierte Skizze wird mir sofort klar, das diese Schule wahrscheinlich nicht nur von außen so riesig aussieht, sondern es innen drinnen auch ist. Sieht so aus als müsse ich auf ein Wunder hoffen, damit ich später den Weg zur Kantine finde.
In der ersten Stunde habe ich Theater in der Aula. Tatsächlich finde ich nach einer Weile den großen, modern eingerichteten Raum. Der Unterricht ist bereits seit ein paar Minuten in Gange, und ich schließe leise die Tür hinter mir. Auf der Bühne tummeln sich bereits ein paar Leute zusammen, während andere sich auf die ordentlich aufgereihten Stühle setzen.
In der hintersten Reihe sitzt ein Mann, der sich sofort zu mir umdreht als die Tür in ihr Schloss fällt. Mit schnellen Schritten kommt er auf mich zu und hält mir seine ausgestreckte Hand entgegen.
"Guten Morgen! Mein Name ist Herr Solder. Ich schätze mal, du wirst einen ziemlich entspannten Einstieg haben, denn heute ist die Generalprobe zu unserer Aufführung. Setz dich doch gerne zu den anderen!", erklärt er noch bevor er sich wieder hinsetzt.
Das wars. Er hat mich nichtmal gefragt wie ich heiße oder sonst irgendwas. Ich vermute mal, selbst die Lehrer hier an dieser Schule sind besser über meine Situation informiert als ich.
Leise und geduckt gehe ich mit schnellen Schritten zur ersten Reihe. Dabei versuche ich so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen, immerhin muss man nicht direkt am ersten Tag auffallen.
Erleichtert atme ich auf, als ich Nelia in der ersten Reihe sitzen sehe. Sie schenkt mir ein breites Lächeln und klopft auf einen freien Platz neben sich. Ich schiebe meine Tasche unter meinen Stuhl und lege meine Jacke auf meinen Schoß. Ich seufze einmal tief und erwidere ihr Lächeln. In der nächsten Sekunde geht auch schon der Vorhang auf, und die ersten Darsteller treten ins Scheinwerferlicht.
Die hölzerne Bühne ist vielleicht gerade mal einen Meter hoch, und die weinroten Vorhänge der bis an die Decke reichenden Fenster sind zugezogen. Neben dem Bühnenabgang ist eine versteckte Hintertür, und auf der gegenüberliegenden Seite stehen ein paar zusammengeklappte Notenständer und ein Klavier. Ich vermute mal, das das Schul-Orchestra oder der Chor auch hier probt, falls es sowas an dieser Schule überhaupt gibt.
Der Kurs spielt eine modernisierte, umgeschriebene Form von dem Stück "Ein Sommernachtstraum" von William Shakespeare. Bei einigen Schülern spürt man förmlich die Leidenschaft, die sie ins Theater stecken und die Begeisterung die dahinter steckt. Ich muss schon sagen: Ich habe zwar noch nicht viel von dieser Schule gesehen, aber das was ich gesehen habe, ist mehr als beeindruckend.
❀❀❀
Der Unterricht wurde bereits vor ein paar Minuten für beendet erklärt. Es wird gerade die letze Szene gespielt, und Herr Solder hat es uns freigestellt, ob wir noch bis zum Ende bleiben oder schon in die Pause gehen.
"Ich schaue mir die Probe noch zuende an.", flüstere ich Nelia zu, die schon halb auf dem Weg nach draußen ist.
"Ich warte vor der Tür!", erwidert sie noch mit einem Nicken, bevor sich die Tür schließt.
Als die letzen Sätze gesagt und die letzten dramatischen Tränen geflossen sind, applaudieren die restlichen Schüler die noch in der Aula geblieben sind. Mir hat die Probe sehr gefallen. Ich bin jemand, der sowieso total für Poetik und Philosophie zu begeistern ist, und dieses Stück war einfach der Hammer.
Ich ziehe meine Jacke wieder an, und ducke mich um meine Tasche unter meinem Sitz hervorzuziehen. Als ich mich wieder aufrichte, sehe ich wie ein Junge von der Bühne springt. Im Hintergrund werden Requisiten abgebaut und Bühnentechniker laufen mit Walkie Talkies herum. Der Junge lässt sich davon allerdings nicht beirren, und sucht verzweifelt nach etwas in seinem Rucksack. Er hat dunkelbraune, zerzauste Haare und ich kann die Schweißperlen aus zwei Metern Entfernung auf seiner Stirn stehen sehen. Ich bin mir ziemlich sicher, das er eine der Hauptrollen gespielt hat.
Außer uns ist kaum noch jemand in dem großen Saal, also beschließe ich, mich mal vorzustellen. Ich schaue mich einmal kurz um, bevor ich selbstsicher auf ihn zu gehe. Er richtet sich auf, und zieht eine große Wasserflasche aus einer Seitentasche. Vorsichtig tippe ich ihn an seiner Schulter an, und er fährt erschrocken herum. Die Überraschung steht ihm wirklich ins Gesicht geschrieben, und hätte ich ihn ein bisschen später angetippt, hätte er sich vor Schreck wahrscheinlich an seinem trinken verschluckt.
Nach einem kurzen Erholungsmoment legt sich ein Lächeln auf seine Lippen. Er dreht seine Wasserflasche auf, und mustert mich mit seinen blauen Augen.
"Hey! Mein Name ist Luna. Ich bin neu hier an der Schule.", stelle ich mich mit der originellsten Begrüßung aller Zeiten vor.
"Ich bin Yuri.", erwidert er, und wieder einmal mehr Danke ich meinem Gehirn dafür, dass es sich Namen relativ gut merken kann.
DU LIEST GERADE
Gefährliche Mischung
Mystery / ThrillerLuna wünscht sich nichts mehr, als die Zeit zurück drehen zu können. Denn nachdem ihre Mom und ihr Dad sich plötzlich trennen, verschwindet sie mit ihrer Mutter in einer Nacht und Nebel Aktion aus ihrem alten Haus, aus ihrer alten Stadt und aus ihre...