Erinnerungen eines Schattenjägers

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Völlig unruhig wanderte Alec von einer Ecke seines Zimmers zur anderen. Eigentlich gab es jede Menge zu tun, aber Isabelle hatte ihm geraten, sich erst einmal zurückzuziehen und wieder zur Ruhe zu kommen. Er war sich unsicher, ob er sich tatsächlich beruhigen konnte, denn es war nun schon ein paar Tage her, dass Valentin Jace mitgenommen hatte und bisher hatten sie noch keinen Anhaltspunkt, wo dieser ihn hingebracht hatte. Und mit jedem Tag, der verstrich, ohne dass sie etwas fanden, das ihnen bei der Suche half, wurde Alec unruhiger. Inzwischen waren seine Nerven so zum Zerreißen gespannt, dass er alle gegen den Kopf stieß und dafür verantwortlich machte, dass sie nichts fanden. Das Problem war allerdings, dass ihm der Rat im Nacken saß. Sie suchten Jace ebenfalls, jedoch wollte der Rat ihn als Verräter gefangen nehmen. Sie glaubten, er wäre Valentin freiwillig gefolgt, weil er sein Vater war, aber Alec wusste es besser. Immerhin war er zusammen mit Magnus, Isabelle, Clary und Simon in dem Moment da gewesen. Valentin hatte sie bei Camille aufgespürt, als sie das weiße Buch holen wollten, das sie brauchten, um Jocelyn wieder aufzuwecken. Er hatte sie gefangen genommen und gedroht, sie zu töten, wenn Jace gegen ihn kämpfte und nicht mit ihm ging. Welche Wahl hatte er also gehabt? Doch der Rat glaubte ihm nicht. Sie waren der Meinung, dass Jace ein Maulwurf war und Valentin wegen ihm auch im Besitz des Kelches war.

Alec blieb vor seinem Schreibtisch stehen und krallte seine Finger in den Stuhl, der davor stand. Selbst seine Mutter glaubte ihm nicht. Sie war Jace gegenüber misstrauisch, seit herauskam, dass er Valentins Sohn ist. Dabei kannte sie ihn genauso lange wie er und sollte wissen, dass er sie niemals verraten würde. Sie waren seine Familie, auch wenn sein leiblicher Vater nun wieder aufgetaucht war. Er hatte ihn fallen lassen, hatte ihn glauben lassen, er wäre tot. Außerdem wusste jeder Schattenjäger, was Valentin getan hatte. Wie konnten sie nur davon ausgehen, dass Jace ihm nun helfen würde? Sie hatten nicht gesehen, wie sehr er darunter gelitten hatte, zu glauben, dass die einzige Familie, die er hatte, vor seinen Augen gestorben war. Er hingegen hatte es von Anfang an mitbekommen und obwohl es nun schon einige Jahre her war, erinnerte er sich an ihre erste Begegnung noch so gut, als wäre es erst gestern gewesen.

Schlaflos lag Alec auf seinem Bett und starrte an die Decke. Die Neugier hielt ihn wach. An diesem Tag war jemand Neues ins Institut gekommen und er wollte denjenigen unbedingt kennenlernen. Das Einzige, das er wusste, war, dass der Junge wohl ungefähr in seinem Alter war und vor kurzem seinen Vater verloren hatte und nun ein Waise war. Aus diesem Grund hatte ihm seine Mutter auch verboten, ihn zu sehen. Er sollte erst einmal richtig ankommen und sich einrichten, doch Alec glaubte nicht, dass es so gut war, wenn er jetzt alleine war. Er wusste zwar nicht, wie es war, wenn man niemanden mehr hatte, denn seine Eltern lebten noch und er hatte zudem eine kleine nervige Schwester. Doch der Neue war zudem an einem für ihn völlig fremden Ort. Sollte man ihm da nicht zeigen, dass es Leute gab, die für ihn da wären, wenn er jemanden brauchte? Mit diesem Gedanken im Kopf, fasste Alec einen Entschluss. Er setzte sich auf und schwang die Beine aus dem Bett, um anschließend aufzustehen. Mit nackten Füßen tapste er zu seinem Kleiderschrank und holte sich dort ein Paar Socken heraus. Diese zog er an und lief dann leise zur Tür. Am liebsten hätte er eine Unhörbarkeits-Rune benutzt, doch er bekam erst im nächsten Jahr seine erste Rune. Also musste er versuchen, leise zu sein, sodass ihn niemand mitbekam. Sollte ihn jemand sehen, würde seine Mutter davon erfahren, und sie sah es nicht gerne, wenn Isabelle oder er nachts durch das Institut schlichen. Aus diesem Grund trug er auch extra keine Schuhe. Diese würden nur zu viel Lärm machen.

So leise er konnte, öffnete Alec seine Tür einen spaltbreit und spähte hinaus, um zu sehen, ob sich gerade jemand im Gang aufhielt. Doch er sah niemanden und schlüpfte aus seinem Zimmer. Langsam schlich er zu dem Zimmer, das dem Neuen seit heute gehörte. Als er vor der Tür stand, schaute er sich noch einmal um und klopfte dann leise an. Alec wartete kurz, aber niemand öffnete ihm. Hatte er das falsche Zimmer erwischt? Er schüttelte den Kopf. Nein, definitiv nicht. Also schlief der Junge eventuell schon. Unschlüssig, was er nun tun sollte, kaute Alec auf seiner Unterlippe herum. Er wollte nicht zurück in sein Zimmer, denn er wusste, dass er wegen seiner Neugier nicht schlafen konnte. Sollte er einfach die Tür öffnen und einen Blick hineinwerfen? Vielleicht würde das schon reichen, um seine Neugier zu stillen. Er überlegte hin und her, denn eigentlich gehörte sich das nicht. Unsicher hob er eine Hand und legte sie auf den Türgriff. Nach einem weiteren Moment des Zögerns öffnete Alec die Tür ein Stück und spähte in das Zimmer. Als er jedoch merkte, dass niemand im Raum war, öffnete er sie noch etwas weiter. Stirnrunzelnd suchte er den Raum mit den Augen ab und entdeckte eine Reisetasche am Fußende des Bettes. Er hatte sich also wirklich nicht im Raum geirrt, doch der Junge war nicht da. Wo konnte er um diese Uhrzeit aber sein?

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