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Fred blickte ihm schon ungeduldig entgegen. „Na endlich! Ich dachte schon du wärst beim Pissen ins Klo gekippt und ersoffen!"

Jim schüttelte eilig den Kopf. „Keine Sorge!"

„Gut. Kommen wir nun zur Arbeit!" Fred kramte ein Bündel Papier aus seiner Tasche und breitete es vor Jim auf dem Tisch aus. „Folgendes ist deine Aufgabe: Du wirst von heute an einen Monat lang die Freitagszüge beobachten. Wirst die Zeiten notieren, wann der Zug ein und abfährt-"

„Warum sollte ich das tun?", unterbrach Jim ihn. „Ganz im Ernst, dafür gibt es doch Fahrpläne!"

Fred bedachte ihn mit einem verärgerten Blick. „Du wirst das tun. Verstanden?! Stell weder Fragen, noch unterbreche mich!"

Jim seufzte leise.

„Also", machte sein Bruder weiter. „Du beobachtest die Züge, schreibst auf wie viele Leute in etwa ein und aussteigen, guckst, wie hoch die Anzahl des Personals ist und du zählst die Wagons. Bei jedem Zug. Verstanden?"

Jim starrte ihn fassungslos an. „Bei jedem Zug? Wie soll das gehen? Ich kann nicht einfach jeden Tag von der Arbeit weg bleiben. Wir sind zur Zeit an was Wichtigem dran. Ich hab schon heute gelogen und behauptet, ich hätte einen Arzttermin. Mein Chef wird sich sehr, sehr wundern!"

„Ach, wird er das?", Fred zog eine Augenbraue hoch und in Jim machte sich ein mulmiges Gefühl breit. „Nun ja. Da wirst du dir keine Sorgen machen müssen... Man hat dich soeben gefeuert."



Der strahlend blaue Himmel betrübte Jim nur noch mehr. Warum passte sich das Wetter nicht an sein Befinden an?!

Die Frage konnte er sich selbst beantworten:  Er fiel nicht auf. Ein Versager war er. Ließ sich rumschubsen, wie ein kleines Kind.

Stumm saß er auf einer Parkbank und sah den Tauben zu, die Brotkrumen aufpickten. Eine einzelne weiße Taube unter den vielen grauen erregte seine Aufmerksamkeit. Er stellte sich vor, sie wäre in Wirklichkeit eine Brieftaube und unter ihrem Flügel oder um den Hals gebunden steckte noch ein Brief der niemals ankommen würde.

Und die Person, die auf eine Nachricht wartete, würde denken, sie sei vergessen worden.

Die andere Person aber, die die den Brief abgeschickt hatte, die täte vermuten, dass der Empfänger nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle.

Und am Ende sähen sie sich niemals wieder und eine Liebe, die hätte wunderschön werden können ginge unter.

Dann entdeckte er die Frau. Die Putzfrau. In Gedanken versunken schlenderte sie die verschlungenen Kieswege entlang.

Jim schüttelte seinen Kopf, den Anflug eines Grinsens im Gesicht. Wie seltsam, dass man manchmal einen fremden Menschen immer wieder traf.

Nun hatte sie ihn ebenfalls bemerkt und winkte fröhlich.

Jim lachte. Auf einen Schlag hatte sich seine Laune verbessert.

Die Frau kam auf ihn zu und setzte sich neben ihn.

„Nett, dich wieder zu sehen!", meinte sie und streckte ihm die Hand entgegen. Sie hatte einen festen Händedruck. „Ich bin Charlie. Also eigentlich Charlotte, aber Charlie ist kürzer, praktischer und klingt besser. Also, Charlie."

„In Ordnung. Charlie. Ich heiße Jim."

„Und was machen Sie hier Jim? Haben Sie keine Arbeit zu der sie hineilen müssen?"

„Nein. Ich habe keine Arbeit. Mein Chef hat mich vor exakt zwei Stunden und vier Minuten gefeuert."

„Oh, das tut mir leid."

„Ja. Mir auch."

„Aber warum hat der Chef das gemacht? Zu dieser Uhrzeit waren sie doch gar nicht da, da haben wir uns doch auf dem Männerklo unterhalten."

Jim zuckte die Schultern. „Ist kompliziert."

„Das ganze Leben ist kompliziert."

„Ja. Mag sein.", er starrte in den Dreck zu seinen Füßen. Auf die teuren Schuhe, die ihm doch nie gefallen hatten. Im Gegenteil, er verabscheute sie. Weil Geld eben nicht glücklich machte. Fragend sah er Charlie an: „Und Sie? Was machen Sie hier im Park?"

„Och, ich hänge nur meinen Gedanken nach... Wissen Sie es kommt im Leben immer darauf an, ob man wagt. Ich meine, ich habe zur Zeit Putzjobs und ganz ehrlich, es ist die Hölle. Nicht das, was ich mir vom Leben erwarte, wovon ich als Kind geträumt habe.

Und nun kann ich mich entscheiden. Entweder ich wage etwas, etwas das mir wirklich wichtig ist und das ich auf keinen Fall verpatzen will oder ich bleibe da wo ich jetzt bin. Wenn ich etwas wage, dann bewege ich mich in unbekanntes Gebiet und die Chance verletzt zu werden ist so viel höher...", abrupt sah sie ihn an. „Sie. Was würden Sie an meiner Stelle tun?"

Jim seufzte. „Ich würde da bleiben wo ich mich schon auskenne, mich aber mein ganzes Leben ärgern weil ich diese Entscheidung gefällt habe. Also rate ich ihnen: Folgen Sie ihrem Herzen. Und wenn Sie dafür etwas neues anfangen müssen, dann tun Sie das!"

Nachdenklich sah sie ihn an. Dann sprang sie auf. „Kommen sie mit. Es wird dunkel und ich will ihnen etwas zeigen!"

Jim ließ sich von ihr mitziehen. In unbekanntes Gebiet.

Weil ich Jim liebe.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt