Es ist Sommer, es ist heiß, die Sonne scheint und ich habe ein Problem: Mein Auto ist kaputt und ich muss mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. An einem heißen Freitagnachmittag.
Warum muss mein Auto ausgerechnet JETZT kaputt gehen? Genervt und schwitzend mache ich mich auf den Weg zur U-Bahn. "Naja, es wird bei der Hitze schon nicht so voll sein...", spreche ich mit gut zu.
Ich hasse wirklich nichts mehr als öffentliche Verkehrsmittel. Es ist voll, es stinkt und es ist eine einzige Bakterienschleuder.
So stehe ich nun also am Bahnhof und warte auf meine Bahn. Als ich das kratzen der Räder an den Schienen vernehme und am Horizont die U-Bahn erscheint, balle ich meine Hände zu Fäusten.
Der riesige Metallwurm kommt endlich zum stehen und die Türöffner fangen an grün zu blinken. Ich starre den aus LEDs bestehenden, blinkenden Kreis an und überlege, welchen Finger ich im Laufe des Tages am wenigsten brauchen würde und stellte fest, dass es definitiv der Ringfinger sein musste. Was macht man denn schon mit dem Ringfinger, außer den überdimensionalen, vor Fett triefenden Burger vor dem auseinanderfallen abzuhalten? - Nichts.
Ich strecke also nun meinen Ringfinger aus und nähere mich dem Knopf, der das Tor zur Hölle für mich öffnen wird. Die Hydraulik der Bahn-Türen zischt und quietscht und schon strömen Menschenmassen aus der fahrenden Konservendose. Mir schlägt der süßsaure Duft von Schweiß und asiatischen Nudeln entgegen - welch wohltuende Komposition. Angewiedert setze ich einen Fuß in die Bahn und schließlich kann ich nur noch trauernd zusehen, wie es tierisch laut anfängt zu piepen und sich die Türen schließen. Kurz überlege ich, ob ich wieder aussteige und doch lieber mit dem Fahrrad die 15km fahre, doch dann fällt mir ein, dass ich gerade 3,20€ für diese Fahrt in der Hölle bezahlt habe und entschließe mich zu bleiben.
Leider habe ich mich getäuscht und es ist trotz der gefühlten 40 Grad im Schatten und den 50 Grad in diesem Wagon schrecklich voll. Die Menschen drängen sich in den Wagon und jeder versucht, keinen anderen zu berühren, was - natürlich - nicht klappt.
Ich spüre einen, warmen, klebrigen am den meinen berühren und ich zucke sofort weg. Leider ist meine Bewegung so unbeholfen und ruckartig, dass ich mit voller Wucht gegen einen sehr korpulenten, schwitzenden, 2m-Mann stolpere, der mich mit seinen, von den Augenbrauen fast verdeckten, schlammbraunen Augen grimmig ansieht und schnauft.
"Upsala... Sorry...", entschuldige ich mich mit meinem mittlerweile perfektionierten, entschuldigenden Dackelblick und lächele unschuldig.
Er dreht sich wieder weg und steigt zum Glück beim nächsten Halt aus.
In der Ferne sehe ich, wie sich eine ältere Dame von ihrem Platz erhebt und den Ausgang anstrebt. "Ein Sitzplatz - YEAH!! Ich muss nicht mehr zwischen stinkenden, schwitzenden Menschen stehen!", feiere ich.
Mit dem Ziel vor Augen mich auf genau DIESEN, gerade freigewordenen Platz zu setzen, mache ich mich auf den Weg.
Keine zwei Sekunden später finde ich mich vorwärtsfahrend, sitzend und zum Fenster hinausschauend auf der Sitzbank wieder. "Das Leben ist doch gerecht...", denke ich. Gleich zwei Fehler in einer Situation: Den Blick vom Gang und der Tür abwenden und den Tag vor dem Abend loben. Denn so bekomme ich nicht mit, wie sich ein "Mr. Wichtig" in seinem teuren Burberry-Anzug neben mich setzt. Dicht gefolgt von seiner Schweißfahne.
So sitzt er also neben mir: Mit seinem gebügelten Burberry Anzug, glänzenden Schuhen, sodass man sein Spiegelbild darin erkennen kann, und seinem iPhone 7 in der Hand. Und brüllend. Er brüllt in sein Handy, weil sein Gesprächspartner in China keinen Empfang hat. Warum ich das weiß? Nun, die Lautstärke seines Smartphones hat er bis zum Anschlag hochgeregelt, sodass ich jedes einzelne Wort verstehen kann. Wie sich später herausstellt, plante er mit seinem Freund die gemeinsame Hochzeit.
Gut sah er definitiv aus, aber das ist doch immer so: Schwule Männer sehen am besten aus und sind am nettesten. Tja Mädels - Pech gehabt.
An der nächsten Station steigt eine Teenie-Clique zu mir und Mr. Burberry in den Wagon und setzt sich uns gegenüber. All das bekomme ich nur im Augenwinkel mit, denn ich bin zu fasziniert von den glänzenden Schuhen von Mr. Burberry.
Doch irgendetwas stört die Atmosphäre... Ach ja, ich vergaß, es sitzen mir zwei hysterische Teenie-Mädels gegenüber. Kaugummi kauend und schmatzend.
"Ey ne? Hast du den gesehen? Der wollte locker was von misch! Schwör!", piepst die eine.
"Ey was? Der von vorhin an den Fahrkartenautomat?"
Die haben sich eine Fahrkarte gekauft??
"Ey ja. Aber Opfer, ne? Was kauft der 'ne Karte? Haha."
Wusst' ich's doch...
"Wegen dem komischen Fahrplan sind wir zu spät Sandy!"
Ahhhhh!! Wie ich es hasse. Ich kann nicht anders und sage: "Wegen des! Es heißt wegen DES Plans und "an DEM Fahrkartenautomat"!!"
Verduzt sieht mich das himmlische Duo an. Kurz stoppen sie ihre Unterhaltung und ich will meinen Sieg feiern, als die beiden wieder anfangen mit offenem Mund und schmatzend ihre Kaugummis zu kauen. "Ey die macht ja voll so auf Oberlehrer!"
Beide lachen und schmatzen.
Die nächste Ansage der sympatischen Computerstimme der Bahn ist wie Musik in meinen Ohren: "Nächster halt: Ohlsdorf. Diese Fahrt endet hier. Bitte alle aussteigen."
Ein Glück. Ich steige aus und warte auf die nächste Bahn: Neue Bahn, neues Glück. Schlimmer kann es nicht werden.
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Der Alltag und ich
UmorismoDer Alltag - meine Hassliebe. Jeder hat einen Alltag. Eigentlich auch gut so. Doch mit der Zeit wird man gelangweilt. Man verliert den Blick für die kleinen Dinge. Der Fokus liegt auf dem, was schlecht läuft. Was uns wütend macht. Doch warum aufreg...