Heiliges Blut für zwielichtes Werk

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Nicht vor der Finsternis in der Nacht hatten sie Angst. Auch nicht vor dem Gewitter, denn Donner jagten über die Almhügel, als würden die Riesen mit Hinkelsteinen um sich werfen, und immerwährend geleiteten Blitze - gleißend hell wie das Sonnenlicht - das Echo über die Felsen. Kreischende Laute drangen zur Halle des Usgar her, ehe erneut eine Welle des Himmelszornes das Gebirgsmassiv überrollte. Die Angst wich der Furcht. Das Geblöke der Tiere wurde schriller und panischer - hilfloser. Man mochte meinen, ihr Ruf musste die Gottriesen herbeilocken, denn die Herde weilte einige Stunden von ihrem Schäfer entfernt an der Küste.

Der Herr der Drachenhalle, ein zurückgezogener Mensch, welcher in den Bergen lebte, folgte dem Klagen seines Viehs. Sein Leben in dieser steinigen Einöde hing von den Schafen ab, spendeten diese ihm doch Wärme und eine Mahlzeit. Usgar packte die notwendigsten Sachen in einen Beutel, den er sich um die Schultern warf und schritt hinaus in das Unwetter.
Einmal noch besah er sein Heim und sehnte sich an die laue Wärme darin zurück. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass sich seine Hütte von den Behausungen unten im Dorf abhob. Zwar war auch sein Gebäude aus Holz, denn Steinbauten waren in Atagor nur den Drachenfürsten und reichen Handelshäusern vorbehalten, dennoch war es von der Bauweise an die Langhäuser großer Sippen angelehnt.

Als wär es das Gewicht eines Brunnensteines, lastete nach kaum tausend Schritten der durchnässte Pelzmantel aus dem Fell eines Bären auf seinem Buckel. So vollgesogen war dieser vom Regen, dass die Tropfen daran herunterliefen gleich einem Wasserfall.
Kein Fluch etwich des Eremiten Mund, er nahm es ohne Murren hin.

Schmutziges Bergwasser umspülte seine Stiefelkuppen und sammelte sich im See seiner Abdrücke, wenn er weiterstampfte, ehe diese Pfützen sich zu Strömungen vereint, den Hang hinunter ergossen.

Mit zielstrebigem Blick trotzte der hünenhafte Eremit den Winden, welche dem durchnässten Bart alle Beschaulichkeit nahmen. In seinen Augen leuchtete die Sorge und diese trieb seine Beine zu einem Gewaltmarsch an, welchem selbst die Purpurnen im Heer Tyrrels Respekt gezollt hätten.

Das Klagen war verstummt, als das Unwetter ins Morgengrauen weiterzog. Nebelverhangen ragten die Klippen wie eiserne Stacheln über das Felsplateau hinaus, darunter wetteiferte der hohe Wellengang des Meeres darum, wie hoch die Gischt am Granit hochspritzen konnte.

Noch immer kämpfte Usgar mit dem Wetter, sein Herz raste von der Anstrengung und in seiner Seite malträtierten ihn boshafte Stiche. Atemlos hielt er an einer senkrechten Bergspalte, gern würde er nun rasten und Kraft schöpfen für die kommende Anhöhe, welche es zu bewältigen galt. Und Durst hatte er. Solch schrecklichen Durst.
So formte der Hühne seine rauen Hände zu einer Schale, doch es schien ewig zu dauern, bis erst genügend Tropfen gefallen wären. Soviel Zeit hatte er nicht.
Verzweifel kniete sich der Eremit in den matschigen Boden und schlürfte vom spärlichen Wasserrinnsal, welcher über diese Felsenwand floss.

Mit feuchter Kehle fühlte er sich besser und der Hühne fasste neuen Mut. Weiter ging es, die Pfade und Klettersteige hinauf, bis eine Ebene auftauchte, welche sich im Ozean in die Tiefe erbrach.
Ein Blitz, wohl der Nachzügler des Sturmes, raste zur Erde hinab und erleuchtete die düstere Welt taghell. Flüchtig hoben sich in diesem Moment weiße Konturen zwischen Felsplatten und kargen Grasflächen ab.
Ein Donnern folgte nicht. Stille.
Nur das Rauschen des Meeres.

Der Eremit rannte hin so schnell ihn seine müden Füße trugen. Die salzige Luft prickelte auf seinen Lippen und er kostete mit der Zungenspitze davon, als sei es purer Honig - mit einer gehörigen Spur Bitterkeit - doch Usgar schmeckte da noch etwas. Etwas Süßliches.
Der Erinnerung an den Tod. Sie roch nicht anders, wenn man verwundet auf den Schlachtfeldern verendete und auf den Tod wartete; da nahm man diesen flauen Geschmack am Gaumen ebenso wahr.

Die Ballade des Einsamen [] Usgarleid []Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt