Heißer Zorn für dumpfe Rache - Teil 1

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Wie eine Dorne ragte der spitz in die Höhe zulaufende Holzturm in die wolkenverhangene Abendröte. Eine dichte Hecke bildete davor ein unüberwindbares Hindernis für Eindringlinge aller Art. An den von Büschen befreiten Zugängen patrouillierten jeweils ein Dutzend Krieger in Bronzeharnischen, während außerhalb Horden von Krohlen beschäftigt herumeilten.

Usgar von den Bergen verstand nicht, wie dieses primitive, haarige Volk das Menschenland hier unterwerfen konnte. Womöglich, weil kein wahrer Drachenfürst mehr seine Langschiffe zu Plünderungen aussandte. Die Herrscher Atagors waren wohlhabend geworden, fett und faul. Und ihre Männer labten sich an diesem Wohlstand, während sich niemand um die Sicherheit landeinwärts kümmerte.

Der Hüne beobachtete das Geschehen schon eine Weile von einem der vielen Geröllhaufen, welche rings um die Kupferdorne aufgeschüttet waren und wartete auf den Einbruch der Nacht. Diese Steine - das wusste der Hühne ganz genau - zeugten von der einstigen Festung Atagors. Der Südatagorene Bund errichtete das Bollwerk und hijndaarische Söldner stellten über eine Generation lang die Bemannung dieser Mauern.
Doch die Barbaren erholten sich rasch von ihren Verlusten und bereits wenige Jahrzehnte nach dem Bau, fielen die Fellmenschen abermals im Süden ein und hielten seitdem ihr neues Land mit eiserner Gewalt.

Vor der Hecke, welche die alten Fundamente überwucherte, stapelte sich unter der Aufsicht der Rotgarsen ein Scheiterhaufen immer höher dem Himmel entgegen.
Waren die Krohlen schon ein Abbild der Hässlichkeit, so übertrumpften die Schmaninnen ihres Gottes Rotgar, diese Barbaren um das Fünffache an entstellten Gesichtern. Eine übergroße Vogelscheuche hatte nicht minder Ähnlichkeit mit ihnen.

Dämonenanbeterinnen waren sie, was sonst. Die Anhänger jenes Kultes vermehrten sich in diesen Zeiten, wenn sogar Menschen an den Gottriesen zu zweifeln begannen und das Zwielicht ihnen dann Dämonen sandte, deren Brut sie knechtete.

In seiner Unbedachtheit löste sich ein Gesteinsbrocken, weil er sich mit den Ellbogen zu sehr abgestützt hatte und purzelte den Hang hinunter. Geschwind duckte sich der Eremit samt des Bärenkopfes und suchte schleunigst das Weite. Zwischen den Schilfen in einem Tümpel wahrte er seine Sicherheit.

Diese wurde auf einmal erheblich durch laute Stimmen gestört. Zwei Fellmenschen in ihrer typisch schmuckloser Rüstung stritten sich heftig und näherten sich seinem Versteck. Usgar hoffte, dass es bei der Diskussion nicht um den purzelnden Stein ging. Verstehen konnte er die Männer nicht, da ihre Sprache zwar ähnlicher der Seinen war, jedoch fast ausschließlich aus Hauptwörtern bestand.

Inzwischen war das Wortgeplänkel in eine regelrechte Prügelei gewechselt. Mit ihren massigen Pranken schlugen die Krieger aggressiv aufeinander ein, und würde die Rüstung nicht die scharfen Krallen abwehren, so wäre zu diesem Zeitpunkt längst einer aufgeschlitzt und würde auf elendige Weise verenden.

Plötzlich drückte die Hand eines Kriegers seinen Rivalen in den Schwitzkasten, zückte mit der freien Hand ein sichelförmiges Messer und führte es direkt in den ungeschützten Schritt seines Kontrahenten. Ein Schmerzenslaut entfuhr dem Entmannten den Lippen, als säße Rotgar persönlich in seinem Inneren. Rote Schlieren spritzten über die braune Erde und versickerten im aufgeweichten Boden.
Der Verwundete bäumte sich auf und schenkte der Verletzung weniger Aufmerksamkeit als anzunehmen gewesen wäre.
Ja, es gelang ihm gar, sich aus der misslichen Lage zu befreien, ehe sein Kontrahent mit einem zweiten, tödlichen Stich nachsetzen konnte. Dafür zückte nun er seine Klinge, nutzte die Unvorsichtigeit seines Gegners, welcher sich des Triumphes bereits gewiss gewesen war, und zog, blitzschnell wie der Angriff einer Klapperschlange, das Messer unter einer purpurnen Fontäne durch dessen Kehle. Röchelnd brach der noch vor wenigen Augenblicken siegreiche Krohle zusammen.

Ein triumphierendes Grunzen begleitete den Sieger, während er unsicher auf die Beine fand. Mit verzerrtem Gesicht hielt er sich sein Gemächt, denn der neugewonnene Ruhm hielt jediglich kurz an. Stattdessen drangen klagende Laute aus seinem Rachen und seine weitaufgerissenen Augen wechselten zwischen seiner Hand am Schritt - unter deren wulstigen Fingern der Lebensdaft zäh durchfloss und die behaarten Beine befleckte - und der besudelten Mordwaffe.
Letztlich wurde er doch noch Herr seines Wesens und wischte die Klinge am Fell des Sterbenden ab. Gebückt, aber Stolz humpelte er davon, den trüben Blick des Verreckenden im Rücken.

Die Ballade des Einsamen [] Usgarleid []Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt