1. Kapitel

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"Sucht weiter!", knurrte Pratap sein Gefolge an,"Sie müssen hier doch irgendwo sein!" Der graue Kater wirkte durch sein gesträubtes Fell noch riesiger als er ohnehin schon war. Seine Schnurrhaare zuckten wütend und alles an ihm zeigte, dass er jetzt nicht zum Spaßen aufgelegt war.
  "Pratap!", erklang die melodische Stimme einer Kätzin kurze Zeit später.
  Der Kater drehte sich ruckartig zu ihr um."Was gibt's?", knurrte er.
  "Wir haben die Jungen gefunden. Es riecht eindeutig nach Milch.", erwiderte die Kätzin ruhig.
  Der Schweif des Katers peitschte wild hin und her."Dann bringt sie her.", erwiderte er dumpf,"Sofort!"
  Die Kätzin nickte gehorsam und verschwand im Dickicht.
  Pratap lief ungeduldig auf und ab. Dabei knurrte er tief. Die Mischlingsjunge mussten getötet werden. Sie würden das ganze System der Ränge durcheinander bringen.
  Ashika hat uns alle hintergangen. Wäre sie nicht gewesen, müsste ich jetzt keine Junge töten. Der Kater fauchte und trat frustriert einen Stein beiseite. Mittlerweile hatte er sich damit abgefunden, ungehorsame Parias zu töten, doch die Wut auf die unloyalen Parias nagte immerwieder an ihm.
  Gerade wollte er wieder einen Stein wegtreten, als ihn mehrere Quieklaute von seiner Tat abhielten.
  Sofort wirbelte er herum und empfing die Neuankömmlinge mit einem angewiderten Fauchen.
"Da sind sie ja!", knurrte er und fuhr die Krallen aus.
  Die Kätzin, die ihm die Botschaft der gefundenen Jungen überbracht hatte, trug eines von ihnen. Es waren zwei. Ein Kater und seine Schwester.
  Beide Jungen maunzten kläglich.
"Wo sind wir?", quiekte die winzige Kätzin ängstlich, als sie von Pratap's Botschafterin auf den kalten Boden gesetzt wurde. Auch ihr Bruder wurde unsanft neben ihr fallengelassen, weshalb dieser sofort aufjaulte vor Schmerz.
  "Hör' auf zu heulen.", murrte ein Kater, der ebenfalls Pratap's Truppe angehörte, während er dem Jungen ohne jegliches Zeichen von Mitgefühl mit einer Kralle über die winzigen Ohren fuhr.
  "Shaitan!", meldete sich Pratap's Botschafterin nun empört zu Wort,"Lass den armen Kleinen doch."
  Die Kätzin, die, ungeahnt von ihren blutrünstigen Gefährten, ebenfalls Junge in sich trug, verspürte plötzlich das nagende Gefühl des mütterlichen Beschützerinstinks in sich und warf dem verwirrten Kater einen kalten Blick zu. Doch kurz nachdem sie die zwei kleinen Kätzchen an sich zog, um sie zu wärmen, wurde sie plötzlich von Pratap's riesiger Pranke am Kopf getroffen und zur Seite geschleudert.
  "Du wagst es, Mischlingsjunge zu beschützen?!", knurrte er laut und eindringlich, während er die zwei wimmernden Jungen aus Wut ins nächste Gebüsch trat.
  "MAMI!", jaulte die winzige Kätzin, als die Dornen Büschel ihres Flaumfell's ausrissen, ebenso wie das ihres Bruders, der jedoch vor Schock zitternd und wimmernd neben seiner Schwester liegen blieb.
  Pratap's Botschafterin, die nun mit blutender Schnauze am Boden lag, gab nur ein verzweifeltes Keuchen von sich. "Pratap, ich-", begann sie mit belegter Stimme und sah aus tränengefüllten Augen zu dem riesigen Kater hinauf, der nun kurz vor ihr stand und sie abschätzig musterte.
  "Ich hatte mehr von dir erwartet, Karuna.", erwiderte er kühl, ohne sie ausreden zu lassen.
  "Aber Pratap-"
"Kein aber!", fauchte der Kater und fuhr erneut seine scharfen Krallen aus um die Kätzin für ihre Tat büßen zu lassen.
  "Lass sie doch ausreden, Pratap!", rief nun auch Shaitan, der sich jedoch, nachdem sein Truppenleiter ihm einen verächtlichen Blick zuwarf, schnell und unterwürfig duckte und den Blick abwandte.
  "Flohhirne.", grummelte Pratap vor sich hin, knurrte dann jedoch trotzdem ein:"Was willst du sagen, Karuna?"
  Die angesprochene Kätzin zitterte, als sie ein leises:"Ich erwarte selbst Junge.", von sich gab.
  Shaitan, der unterwürfig hinter Pratap gehockt hatte, spitzte verwundert die Ohren, sagte jedoch nichts dazu und sah Pratap nun fragend an. Diesen ließen die Worte scheinbar trotzdem kalt.
  "Und?", knurrte er,"Was ist besonders daran, sich nochmehr zu beschmutzen? Mit dem Blut weiterer Parias, die ihr Leben in der Ranglosen-Hölle überstehen müssen?"
  Wie scharfe Krallen bohrten sich die Worte Pratap's in Karuna's Herz.
"A-Aber Pratap.", wimmerte sie und fügte kurze Zeit später ein:"Du bist doch ihr Vater.", hinzu.
  Der Kater schien kurze Zeit geschockt zu sein, seine Schultern sanken ein Stück, doch er fasste sich schnell wieder und wandte den Blick zu Shaitan um, der nun an seiner Stelle immer wütender zu werden schien.
  "Karuna!", fauchte Shaitan, doch man konnte deutlich den Schmerz aus seiner Stimme vernehmen,"Du warst doch-"
  "Ich weiß Shaitan, und es tut mir unendlich leid.", beendete Karuna die Aussage des Katers, ohne ihn ausreden zu lassen, und sah erneut zu Pratap, der nun zum ersten mal seinen Blick auf den Boden geheftet hatte. "Pratap?"
  "Ruhe!", knurrte dieser leise, würdigte Karuna jedoch keines Blickes.
  Die Kätzin nickte gehorsam und stemmte sich vorsichtig auf die Pfoten, bis sie wieder stand.
  Dabei begegneten ihre Augen dem enttäuschten Blick Shaitan's, der sich schweigend abwandte und ohne ein Abschiedswort im Dickicht verschwand.
  Karuna sah ihm hinterher und dachte nun wieder an die zwei Unglücksjungen, die dort im Brombeerdickicht lagen. Sie hatte das mitleiderregende Maunzen der beiden vollkommen ausgeblendet, daher bemerkte sie auch jetzt nicht, dass die zwei Kätzchen merkwürdig still waren.
  "Karuna!", erklang nun plötzlich die forsche Stimme Pratap's und riss die Kätzin aus ihren Gedanken. Sie blinzelte schnell und wandte sich mit einem schnellen "Ja?", dem Kater zu, dessen gesträubtes Fell sich mittlerweile wieder gelegt hatte.
  "Ich habe nachgedacht.", murmelte er und blickte Karuna nun in ihre zugegebenermaßen wunderschönen, grünen Augen,"Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Junge sind ein Segen für uns. Sie werden zwar schwer zu versorgen sein, aber wir hätten jemanden, der sich um uns kümmert, wenn wir zu alt zum Jagen sind."
  "Uns?" Hoffnung blitzte in den Augen der Kätzin auf und ihr Herz vollführte einen kleinen Freudensprung dank der Worte des Katers.
  "Uns Parias.", erwiderte Pratap jedoch zur Enttäuschung Karuna's.
  "Achso", seufzte sie,"Ich dachte-"
"Ich weiß, was du dachtest. Aber weißt du, wie schwer es wäre, meiner Aufgabe nachzukommen, wenn ich eine Gefährtin und Junge hätte, die ich lieben würde?", fragte Pratap nun mit überraschenderweise sehr feinfühligem Ausdruck.
  "Die Aufgabe, Mütter und Junge umzubringen?", erwiderte Karuna nun bitter und wandte ihren Blick wieder ab,"Du hast recht. Vielleicht würdest du meine Junge auch töten, wenn sie dir zur Last fallen."
  "Karuna, du verstehst mich anscheinend nicht.", zischte Pratap nun zwischen zusammengebissenen Zähnen.
  "Oh doch Pratap.", knurrte Karuna und wandte sich zum Gehen um.
  "Warte-"
"Nein." Die Kätzin sah kurz über die Schulter zu dem Kater zurück und fügte als Abschluss noch hinzu:"Denk daran Pratap. Du verschmutzt dich selbst immer mehr mit dem Blut anderer Katzen. Auch wenn du deine Aufgabe erfüllst, wirst du auf diesem Weg nie dein Schicksal erfüllen, um die Kette der Wiedergeburten zu unterbrechen."
  Mit diesen Worten verschwand sie ebenfalls im Unterholz und ließ den großen Kater zurück, der nun gar nicht mehr so riesig wirkte.

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