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Part one

"I didn't leave because

I stopped loving you,

I left because the longer

I stayed the less I loved myself."

― Rupi Kaur | Milk and honey

„Bis morgen!" Park Jimin schenkte seiner jungen Sekretärin ein charmantes Lächeln, ehe er in den Aufzug stieg und auf den Knopf drückte, der ihn zum Erdgeschoss brachte. Während der Aufzug sich in Bewegung setzte, lockerte Jimin bereits seine Krawatte und seufzte leise, ehe er auf seine Uhr schaute. 20 Uhr. Er kam meisten erst spät nach Hause, stören konnte es jedoch niemanden – er lebte alleine, schon seitdem er damals vor fünf Jahren ausgezogen war und angefangen hatte zu studieren. Noch nie war er ein wirklicher Beziehungsmensch gewesen, er stand eher auf die ein oder andere schnelle Nummer, ohne Verpflichtungen oder Gefühle. Außerdem teilt er sein Bett nicht gerne, oder das Badezimmer. Niemand störte sich daran, wenn er morgens früh aufstand, sich abends im Wohnzimmer betrank oder er zu lange arbeiten war.

Die Aufzugstüre öffnete sich mit einem kurzen 'Ding'. Mit schnellen Schritten verließ er diesen und sah sich kurz in der bereits dunklen Eingangshalle der Kanzlei um. Hier unten war um diese Uhrzeit niemand mehr, nur noch oben in den Büros. Jimin verließ das Gebäude durch die große Drehtüre, bog nach links und beschleunigte seine Schritte noch etwas. Seit einigen Wochen trieben sich hier immer mehr Obdachlose herum, und das, obwohl es eines der edelsten Viertel Seouls war. Und es war schon öfter vorgekommen, dass Jimin von einem von ihnen angequatscht worden war. Es war nur einer, immer derselbe, doch er schien nicht locker lassen zu wollen. Auch heute nicht.

Gerade wollte Jimin erleichtert ausatmen, als der große, dürre Junge neben seinem Auto auftauchte. Er trug wie immer dasselbe; ein weißes, löchriges Shirt und eine Hose, die ihm viel zu groß zu sein schien. Man konnte seine Beine unter dem Stoff nur erahnen. Seine Haare waren schwarz, standen in alle Richtungen ab und sahen so aus, als ob er sie sich selbst geschnitten hätte. Doch das auffälligste an dem Jungen waren die blauen Flecken an seinen Armbeugen und den Handgelenken. Die waren Jimin schon das erste Mal aufgefallen, und wäre er auch nur ein wenig empathisch, würde er sich Gedanken deswegen machen. Doch es interessierte ihn nicht. Der Junge interessierte ihn nicht, solange er Jimin in Ruhe ließ.

Mit einem genervten Seufzen drehte er sich also zu ihm. „Was willst du?" Jimin hob eine Augenbraue. Er hatte nichts für solche Menschen übrig – wenn sie sogar zu dumm waren, um sich einen einfachen Job und eine Wohnung zu suchen... der Junge sah ihn an und lächelte breit, wie jedes Mal, bevor er Jimin um etwas Geld anbettelte. Doch heute hatte dieser keine Lust auf das altbekannte Spiel, weshalb er sich wieder abwandte, die Beifahrertüre seines Wagens öffnete und seine Aktentasche auf dem Sitz abstellte. Er war an diesem Abend ohnehin mit den Nerven am Ende, da brauchte er nicht auch noch diesen Straßenjungen am Hals.

„Warte mal!", stieß der Junge mit rauer Stimme hervor und wollte sich Jimin in den Weg stellen, als dieser um den Wagen herumgehen und einsteigen wollte. „Du hast mich garnicht ausreden lassen! Wie unhöflich!" Nach dem letzten Wort zog er einen Schmollmund und sah zu Jimin hinunter. Dieser brummte nur genervt etwas, ehe er sich an dem Größeren vorbeidrängte und die Fahrertüre öffnete. „Warum bist du so schlecht gelaunt? Hattest du einen schlechten Tag?" Er wollte nicht lockerlassen und folgte Jimin um den Wagen herum. Doch dieser rollte nur mit den Augen und stieg ein. Er wollte einfach nur nach Hause, eine heiße Dusche nehmen und sich dann ins Bett legen. Die einzige Person, die zwischen ihm und seiner Wohnung stand, war der Junge. Mit seinem genauen Ziel vor Augen knallte Jimin die Wagentüre zu, startet den Motor und fuhr los.

Der Junge blieb am Straßenrand zurück und sah dem Wagen nach.

Peaks and Valleys | VminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt