Weihnachten ist Liebe

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Es muss so 1971 gewesen sein, ich war 10 Jahre alt und machte mir zum gefühlten 100sten Mal Gedanken darüber, warum Weihnachten immer alles so schrecklich geheimnisvoll war.

Für ein Kind in meinem Alter nichts ungewöhnliches, denke ich heute, aber für mich war 1971 Weihnachten eine einzige Desaster.

1971 war das Jahr in dem mein späterer Mr. Right sein erstes Weihnachten erlebte. 

Ich wuchs mit den 3 Pflegekindern meiner Mutter in einem kleinen Nest in Hessen auf. Wir wohnten im Erdgeschoss einer Neubauwohnung, die, wie es in den 1970ig so üblich war recht weitläufig gestaltet war. Das Wohnzimmer hatte ein riesiges Blumenfenster, welches den Blick auf den dahinterliegenden Garten frei gab.

Dieses Wohnzimmer war für mich jedes Jahr zu Weihnachten der Tatort des Geschehens. Hinter seinen Türen worden Rituale begangen, die ich weder wissen und schon gar nicht daran teilnehmen durfte.

Als 10jähriges Mädchen war ich wie alle anderen Kinder auch sehr neugierig und eines Tages, so kurz vor Weihnachten fragte ich dann eben meine Mutter: "Warum darf ich nie in das Weihnachtzimmer und was geschieht am Heiligen Abend in diesem Zimmer?"

Ich erinnere mich noch genau an das Gesicht meiner Mutter, die allmächtig mit ihren blauen Augen und dem damals schon weißem Haar auf mich herab blickte und sagte: "Weihnachten, mein Kind, ist das Fest der Liebe! Dich liebt keiner und deshalb darfst du da nicht rein!"

In diesem Moment war ich weder geschockt, noch enttäuscht. Ich nahm es einfach hin, weil ich eben erst 10 Jahre alt war und den Worten der Mutter vertraute, so wie jedes 10jährige Kind seiner Mutter vertraut.

Ich glaube nicht das ich wirklich verstand was sie da gerade von sich gegeben hatte, zumal nur ich alleine von dem Geschehen hinter dieser Wohnzimmertür ausgeschlossen war. Die Pflegekinder meiner Mutter durften ab dem 24. Dezember in das Wohnzimmer.

Also ab 1971 schlich ich mich an dem Heiligen Abend, wenn das Ritual im Wohnzimmer begann und alle anderen dort, hinter verschlossener Tür, versammelt waren, in den Garten und schaute aufgeregt durch das große Blumenfenster in das mit warmen Licht erleuchtete Wohnzimmer, um herauszufinden, was dort geschah; wie die Liebe aussah, die ich nicht bekommen sollte.

Und weil Weihnachten in unseren Breitengraden ja immer im Dezember stattfindet, stand ich also ab 1971 immer am 24.Dezember, ohne Jacke im kalten und sehr dunklen Garten und blickte in das warme Licht des Wohnzimmers, um die Liebe zu finden.

Um der Wahrheit gerecht zu werden habe ich die Liebe bis heute nicht wirklich gefunden; was allerdings dieses Erlebnis bewirkt hat, ist, dass ich bis zum heutigen Tag schreckliche Probleme mit Weihnachten habe.

Ich schwöre es bei allem was mir heilig ist, das Licht welches zu bereits zur Adventszeit und teils bis über Silvester hinaus in unseren Breiten angeschaltet wird, ist wärmer und leuchtet gelber als alle Lichter, die von Januar bis Ende November so unsere Gemüter erfreuen sollen.

Jedes Jahr, wenn die Weihnachtszeit naht, beginnt in mir ein Prozess zu reifen, der mich mit jedem Tag mehr in Panik versetzt, bis...

... ja bis er am Heiligen Abend in einem Meer aus Tränen und Verlassenheit mündet und je mehr ich mich, jetzt als erwachsener Mensch am Riemen reiße, umso schlimmer wird es am Heiligen Abend. Es ist dann als ob ein Vulkan in mir aufplatzt und alle Verletzungen, die mir je zugefügt worden sind, mit einem Mal aus mir rauskommen. Es ist wie eine Urgewalt, eine Naturkatstrophe, die ohne Rücksicht über mich hinweg zieht und keinerlei Rücksicht darauf nimmt, das die Schäden vom vorigen Mal noch nicht ganz wieder beseitigt sind.

So ungefähr müssen sich die Bewohner von Miami fühlen, die kurz nach der Tornado-Saison die Aufräumarbeiten angehen, wohlwissend das es in absehbarer Zeit erneut los gehen wird.

Ich frage mich immer warum diese Menschen dort wohnen bleiben, wenn doch jedes Jahr aufs Neue dieselbe Katastrophe geschieht? Warum sie nicht wegziehen?

Ich wäre so gerne in den Jahren seit 1971 weggezogen, an einen Ort an dem auch ich der Liebe begegnen könnte. Ich hätte sie gerne kennenlernen wollen, aber egal wohin ich auch gezogen bin, der Liebe bin ich nie begegnet.

Vielleicht bleiben die Menschen in Miami dort, weil da ihr Zuhause ist und sie deshalb alle Katastrophen in Kauf nehmen.

Ich hatte nie ein wirkliches Zuhause, vielleicht kann man der Liebe nur in einem Zuhause begegnen?

Ich habe mal gehört, das man viel, ja alles ertragen kann, wenn man Menschen um sich hat, von denen man geliebt wird.

Ich kann behaupten, man kann auch alles ertragen und überstehen, wenn man Niemanden hat, der einem liebt. Vielleicht braucht man mehr Kraft und glauben an sich selbst, aber überstehen kann man es.

Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass es mit liebenden Menschen an der Seite bestimmt einfacher ist, durch Leben zu gehen, nicht nur weil man damit sein Leid teilen kann du es damit nicht mehr ganz so schlimm ist, sondern vor allem weil man auch die glücklichen Momente teilen kann und ich vermute das Glück verdoppelt sich, wenn man es teilt, aber auch das weiß ich nur vom Hörensagen - erleben durfte ich es nie!

Um es auf den Punkt zu bringen, ab dem 1.Advent friere ich mir jedes Jahr den Arsch ab, so als würde ich konstant in den blöden Garten stehen.

Es ist ein Zustand, der dem Tag vor einer Grippe gleicht. Man merkt da ist was im Anmarsch, man fröstelt, will die bevorstehende Katastrophe noch nicht so richtig wahr haben, aber ganz tief im Inneren weiß man, in wenigen Stunden liegt man flach. Man wird dann einfach mal ausgebremst und man kann nichts dagegen tun, außer es einfach geduldig auszusitzen.

Mein Mr. RightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt