Wie alles begann

5 2 0
                                    

Wie alles begann

Ende Mai 2011 chattete ich mal wieder abends im Internet. Wie immer war ganz schön viel nichts los und die bereits bekannten männlichen Nervensägen gingen mir unsäglich auf den Keks.

Ich tigerte gelangweilt durch meine Wohnung, suchte nach etwas sinnvollen, bewegenden, nach etwas was mich fesseln sollte. Im Hintergrund lief der Fernseher und aus dem oberen Stockwerk meiner Maissonette Wohnung drang die Musik meiner Tochter zu mir runter.

Draußen war es gerade am Dämmern und ich blickte wiedermal, wie so viele Tage, Wochen, Monate, ja sogar Jahre vorher, auf einen unerfüllten Abend, an dem ich wahrscheinlich, wenn die Leere in mir gar so heftig wurde, wieder an meinen Schreibtisch zurückkehren würde und bis spät in die Nacht hinein arbeiten würde, bis ich so müde war, dass sogar ich es merken würde.

Es kam wie es kommen musste, ich schlenderte an meinen Schreibtisch, so als würde ich ganz zufällig vorbei kommen.

Mein Hund, mein großer weißer Bär, der sich dick und breit mitten im Zimmer auf dem Teppich fallen gelassen hatte und der aus dieser Lage den Kopf erhoben hatte und ebenso gelangweilt wie ich, mein Schlendern verfolgte, wusste genau was als nächstes kam.

In der Nähe meines PCs an meinem Schreibtisch angekommen, schaute ich völlig uninteressiert auf meine Unterlagen, die wie immer im wilden Chaos die Gesamtfläche dieses riesigen Tisches einnahmen. Ich werde es wohl nie lernen, mal Ordnung zu halten, dachte ich ... nur ganz kurz ... und beruhigte mich sofort mit dem Gedanken: "Nur das Genie durchblickt das Chaos!"

Ich wusste genau, wenn ich mich jetzt setzen würde, würde es wieder spät, sehr spät werden. Ich durfte es nicht. Ich sollte besser auf mich achten, ging es mir durch den Kopf. Warum stellt auch niemand diesen Kasten abends mal ab? Auf meinem Laptop wurden unaufhörlich Popups gezeigt, die am unteren Rand immer ein- und ausgeblendet wurden.

Vielleicht sollte ich nicht arbeiten, sondern mal wieder ein paar Bilder kreieren. Aktfotos mit Makroaufnahmen neu gestalten. In meinem Kopf wurde diese Möglichkeit auf das Genauste geprüft.

War das nun Arbeiten oder Hobby? Ich fand die Antwort noch bevor ich die Frage in meinem Kopf richtig formuliert hatte. Ich zog mir meinen Chefsessel zurecht und setze mich.

Mit einem lauten und nicht zu überhörbaren Seufzer beendete mein dicker Bär seine Beobachtungstour und mit einem dumpfen BUMs sank sein Kopf nun auch zu seinem restlichen Body auf den Teppich. Das war's dann wohl für heute, musste er wohl dabei gedacht haben, denn der Seufzer von ihm hatte schon was Resignierendes.

Kaum saß ich, fand meine Hand die Maus und im Nullkommanichts hatte ich die Ordner mit den Bildern gefunden. Die Software öffnete sich auf meinem Bildschirm und in nicht mal 60 Sekunden war ich in meiner Welt verschwunden. Ich hörte weder die unorganisierten Aneinanderreihung von Beats aus dem Zimmer meiner Tochter, noch die Hintergrundbeschallung des Fernsehers.

So war es immer, ich verschwand in meinen digitalen Ordnern und vergaß meine reale Welt um mich herum.

In dieser meiner Welt war ich Zuhause: da fühlte ich mich wohl; da kannte ich mich aus; da wurde ich belohnt und gelobt; da fand ich nicht nur meine Zufriedenheit, sondern auch meine Anerkennung.

Einige Stunden später hatte ich ein für mich selbst zufriedenstellendes Ergebnis erlang und lehnte mich auf meinem Chefsessel zurück, um mir mein Werk mit etwas Abstand anzusehen.

Zwei Bilder waren entstanden und das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Ich war zufrieden!

Die Uhr zeigte 22:30 Uhr. Ich druckte die beiden Bilder aus und schloss nach und nach alle Anwendungen, die noch offen waren. Die letzte Anwendung war der Chatkasten, der seit Stunden keinen Mucks mehr von sich gegeben hatte. Gott lob, dachte ich so bei mir, selbst die blödesten Typen scheinen entweder ein weibliches Wesen gefunden zu haben, oder waren bewusstlos mit dem Kopf auf ihren PC geknallt. Mir war es egal. Ich fühlte mich wohlwollend kreativ inspiriert und zufrieden.

Um die Anwendung zu schließen, musste ich sie öffnen. Jeden Tag ärgerte ich mich darüber und eigentlich konnte ich nicht mal mehr mit Bestimmtheit sagen, warum ich in diesem Chat, bei all den Idioten, überhaupt noch angemeldet war. Wahrscheinlich war es mir dermaßen egal, das ich täglich vergaß diesen Mist endgültig und abschließend von meinem PC zu lösen.

Als das Fenster sich öffnete, war ich bereits mit der Maus in der oberen linken Ecke beim "X" um zu klicken, als mein Blick auf ein Bild fiel, welches, in einem Bruchteil einer Sekunde meine ganze Aufmerksamkeit hatte.

Die Komposition der Farben, das Leuchten der Wolken, das wunderbare Blau des Himmels, die schwarzen Felsen im Vordergrund, die trotz dem übermächtigen Schwarz nicht mal störten, sondern eher oder vielleicht gerade deshalb einen harmonischen Gegensatz bildeten .... Und dann der Typ ... pechschwarz, genau in der Mitte des Bildes positioniert, die Arme zum Himmel erhoben. Aus seiner Haltung mutmaßte ich Leidenschaft, Hingabe und dann ......

... entdeckte ich das kleine Detail, was eigentlich nicht einmal zu sehen war ... minutenlang starrte ich auf den Teil des Bildes, wo hinter pechschwarzer Farbe sich seine Hüfte befinden musste. Ich fand sie sensationell! Niemals zuvor hatte ich so eine, für meine Augen, wunderbare und hinreißende Hüfte gesehen.

Nicht das ich ein Hüftfetisch bin, aber diese Hüfte und wie sie ihren Besitzer dazu zwang genau diese Haltung anzunehmen, das war definitiv an diesem Tag mein absolutes Highlight.

Bevor ich die Anwendung schloss, schrieb ich dem Besitzer des Bildes noch einen Kommentar unter das Bild. Ich weiß nicht mehr so genau wie der genaue Wortlaut war, aber meine Begeisterung hatte ich wohl schon mitgeteilt. Ich hatte mir nicht mal das Profil des Bildbesitzers angesehen.

Mein letzter Gedanke, bevor ich wenig später meine Augen schloss, galt diesem Bild. Für mich war dieses Bild ein Kunstwerk! Es bewegte mich, hielt mich gefangen, berührte mich bis in meine Träume hinein.  

Mein Mr. RightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt