Der Angriff

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Als Roana am nächsten Tag aufwachte waren ihre Eltern bereits auf den Beinen und gingen vermutlich ihren Handwerken nach. Roana fand es ungewöhnlich, dass sie mal länger schlafen durfte denn normalerweise weckte ihre Mutter sie bei Sonnenaufgang. Sie stieg hinunter in die Stube und ließ ihre Augen durch die Küche schweifen. Als sie das fand was sie suchte, was sich als Rest des Frühstückes herausstellte, verlies sie schmatzend das Haus. Auf den Weg durch ihren Garten wäre sie beinahe über ihre Katze gestolpert und konnte sich gerade noch rechtzeitig fangen. Sonst hätte ihr Tag bereits gut angefangen.

Roana ging um das Haus herum um im Kräutergarten nach ihrer Mutter zu suchen. Sie war noch nicht mal um die Ecke herum als sie bereits den Kopf ihrer Mutter aus den Kräuterfeld herausragen sah.

"Mutter, wieso hast du mich nicht geweckt? Ich hätte dir doch bei der Arbeit helfen können.", sprach Roana ihre Mutter an, welche sie noch nicht bemerkt hatte.

"Ich habe dich gestern weinen gehört, Kind. Ich dachte ein paar Minuten mehr Schlaf würden dir gut tun.", antwortete ihre Mutter ohne von ihren Kräutern aufzusehen.

"Ach, Mutter. Das wäre doch nicht nötig gewesen. Du weißt ich helfe dir gern wenn ich kann und ich fühle mich jedesmal schlecht wenn ich im Bett liege und ihr hier arbeiten müsst."

"Wenn du mir so gerne hilfst, kannst du gleich damit anfangen, das Unkraut zu jäten. Ich weiß wie gerne du das machst.", sagte ihre Mutter mit einem Grinsen auf dem Gesicht.

Roana hasste jäten. Alles war ihr lieber als das. Es war eine zeitaufwändige und mühsame Arbeit die irgendwie nie ein Ende fand. Aber sie war selbst Schuld. Hatte nicht sie beteuert wie gerne sie ihrer Mutter helfen würde. Also hatte sie auch die Auswirkungen ihrer unüberlegten Aussage zu tragen.

Als Roana mit dem Jäten fertig war, war die Sonne bereits wieder auf dem Weg nach unten. Roana spürte die Erschöpfung in ihr aufkommen aber versuchte sie bestmöglich zu unterdrücken da sie sich noch mit Igor treffen wollte. Sie würde dieses Treffen auf keinen Fall verpassen, den bereits gestern hatte sie ihr Treffen aufgrund der Geburt verschieben müssen.

Auf dem Weg in ihr Haus hörte sie auf einmal Schreie die ihr Angst und Bange machten. Ihren Instinkt folgend stürzte sie die Tür hinaus und ihre Füße trieben sie dem Geschrei immer näher. Schon vom Weiten konnte sie die Rauchschwaden und Flammen sehen. Desto näher sie kam umso schlimmer wurde ihr Ausblick. Bald konnte sie auch das gehämmerte Schlagen von Eisen auf Eisen hören.

Roana versuchte sich unsichtbar zu machen um nicht zwischen zwei der Kämpfenden zu geraten. Es waren eindeutig Wikinger, welche sie hier angriffen. Sie hoffte dass ihre Familie sich irgendwo in Sicherheit befand. Denn sollte dem nicht so sein, so war ihr Schicksal bereits besiegelt.

Roana kannte die Geschichten der Wikinger. Sie töteten jeden der ihnen in die Quere kam und nahmen was ihnen gefiel. Hierbei wurde kein Unterschied zwischen Menschen und Sachen gemacht. Aus Überlieferungen wusste sie, dass meistens alle Überlebenden am Dorfplatz versammelt wurden. Danach suchte sich der Anführer als erster seinen Preis unter den Waren und den Gefangenen aus. Dies lief so weiter bis auch der letzte Krieger sich seinen Anteil geholt hatte. All diejenigen die nich zu den "Glücklichen" gehörten und nicht ausgewählt wurden, wurden laut den Erzählungen meist vergewaltigt, missbraucht und getötet.

Roana lief eine Schauer über den Rücken. Sie musste so schnell wie möglich verschwinden sonst war das ihr Untergang. Bis jetzt hatte noch keiner die zierliche Frau hinter den Fässern erkannt, jedoch würde dies nicht mehr lange dauern. Nur noch wenige kämpften, viele lagen Blutüberströmt auf dem Boden, andere wiederum versuchten den bitteren Ende durch das Schwert eines Wikingers zu entfliehen. Doch auch jenen wurde bald ein Ende gemacht und bald herrschte eine schauererregende Stille, welche Roana in die Knie zwang. Kauernd hinter den Fässern Schutz suchend, wartete sie auf ihr baldiges Urteil. Würde man sie leben lassen?

Roana wartete und wartete. Nach einiger Zeit ergriff sie wieder die Hoffnung diesem schrecklichen Schicksal doch noch entgehen zu können. Langsam lugte sie hinter den Fässern zuvor, nur um wieder in Tränen auszubrechen. Dort am Boden nicht weit entfernt von ihr, lag ihr Vater. Keine zwei Meter weiter, Igor. Sie konnte ein leises Schluchzen nicht unterdrücken und zog damit die Aufmerksamkeit eines Wikingers auf sich. Der groß gewachsene Hüne kam immer näher und Roana glaubte ihr Herz würde stehen bleiben. War das jetzt ihr Ende? Würde sie Igor und Vater folgen?

Jeden Schritt den der Wikinger näher kam bedeutete einen Schritt näher zum Tod. Vielleicht war dies ihr Schicksal. So konnte sie wenigstens ihren treuen Freund Olaf wieder sehen. Der Wikinger hatte sie fast erreicht und Roana fing an zu beten. Für ihre Mutter, welche hoffentlich noch lebte, ihren Bruder und dessen Frau, welche auch dieses Dorf bewohnten und auch für den Jungen, den sie gestern erst auf die Welt geholfen hatte und welcher diese vielleicht nach einem Tag bereits wieder verlassen musste.

Zu guter letzt betete sie auch noch für sich selbst. Als der Hüne vor ihr stand beendete sie gerade ihr Gebet mit den Worten:"Oh, vergib mir Herr!"

Selten hatte sie so einen großen Mann gesehen. Als sie dachte die Männer ihres Volkes verfügten über ein beachtliche Größe, lag sie eindeutig falsch. Als seine Augen sie ins Visier nahmen, dachte sie sein Blick allein würde sie bereits töten können.

"Komm mit, Weib!"

Roana war erstaunt das diese Wilden ihre Sprache sprachen und fügte sich seiner Aufforderung, da sie wusste was geschah sollte sie es nicht tun. Und sie befand sich als zu jung um aufgrund ihrer Sturheit zu sterben. Der Wikinger führte sie wie befürchtet zum Dorfplatz wo bereits einige der Bewohner im Schlamm hockten. Roana versuchte ihre Mutter zu erblicken, konnte sie jedoch nirgendwo sehen und wurde somit mit ihrer Trauer allein gelassen.

Die Dorfbewohner saßen bereits seit Stunden im Dreck und die Sonne war auch schon untergegangen, als sich unter den Wikingern was regte. Roana versuchte zu erspähen was von statten ging, konnte aber aufgrund des Tumultes, der unter den Gefangenen ausgebrochen war, nichts sehen.

Erst als einer der Männer auf und ab ging und die Frauen gierig anblickte wurde Roana klar, dass dies wohl der Anführer war und er sich dem entsprechend als Erster eine Gefangene oder einen Gefangenen aussuchen durfte. Der Mann hatte bereits das beste Alter überschritten und Roana wagte es zu behaupten, dass er das 50ste Lebensjahr bereits hinter sich hatte.  Als er an ihr ohne jegliche Beachtung vorbei ging, war sie erleichtert. Sie mag sich vielleicht mit dem Schicksal als Sklavin abgefunden haben, jedoch hoffte sie nicht als Lustobjekt eines alten Knackers zu enden.

Der alte Hüne entschied sich für eine junge Frau, die zu Roanas Erschrecken die Frau ihres Bruders war. Also wurden diese auch nicht vor diesem unheilvollen Schicksal bewahrt. Roana versuchte noch für ihre Mutter zu hoffen, welche sie noch immer nicht unter den Gefangenen ausmachen konnte. Vielleicht hatte sie es geschafft.

Roanas Aufmerksamkeit schweifte wieder auf das Szenario vor ihr zurück, als der Wikinger, der sie zuvor gefunden hatte, sich als Nächster seinen Preis aussuchte. Dies bedeutete, dass er von hoher Stellung war, wenn nicht sogar der Sohn des Anführers. Jetzt, da sie auf diese Erkenntnis kam, konnte sie auch die Ähnlichkeit zwischen den Beiden sehen.
Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihr nicht, denn auf einmal stand der Wilde vor ihr und riss sie mithilfe ihrer Fesseln hoch. Roana wusste nicht was ihr geschah, als sie auch schon fort von ihren Leuten und in eine der ferneren Hütten gezogen wurde.

Der Ruf der Wildnis Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt