Ragnar

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Alles war schwarz. Man konnte kaum die Finger vor den eigenen Augen sehen. Roana schaute sich so weit es ging um. Der Barbar hatte sie, ohne ein Wort zu sagen, in das Haus gebracht und war daraufhin gleich wieder verschwunden. Natürlich nicht ohne davor die Tür von außen zu schließen und zu versperren. Seitdem waren Stunden vergangen und Roana plagte der Hunger, der jedoch von der ansteigenden Müdigkeit übertroffen wurde. Jedoch traute sie sich nicht ein Auge zu schließen, war doch die Ungewissheit über ihre Zukunft zu groß.

Roana fürchtete sich, was ihr wohl bevorstehen würde. Der Hüne hat auf ihre Fragen nur die Augen übergedreht und hatte dadurch ihre Angst gesteigert. Jetzt, da sie in diesem Haus gefangen war, wurden ihr erst die Ereignisse der letzten Stunden bewusst. Ihr Vater war tot und mit ihm auch ihr Freund. Über das Schicksal ihrer Mutter und dem ihres Bruders konnte sie nur hoffen. Sie betete, dass diese nicht dem Vater in den Tod gefolgt waren. Nun war sie wirklich froh, dass ihre Schwestern damals ihren Männern, in deren Heimat gefolgt sind. So wurden wenigstens sie von diesen Schicksal verschont.

Roana wurde aus ihren Gedanken gerissen als sie ein Schaben an der Tür hörte. Ob der Barbar wieder da war?  Sie versuchte sich in die hinterste Ecke des Raumes zu drängen um nicht augenblicklich in sein Sichtfeld zu fallen. Einer Rettung hatte sie bereits abgeschworen und so versuchte sie nun das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Horrorgeschichten die sie seit Kindertagen gehört hatte, doch nur Märchen waren und sie ihrem verheerenden Schicksal entfliehen könnte.

Als sich die Tür nach Sekunden, welche sich deutlich länger anfüllten öffnete, konnte sie das Gesicht des Hünen nur schemenhaft erkennen. Trotz des schwachen Lichteinfalls war der Riese vor ihr unverkennbar der Mann der sie hier eingesperrt und sie als seinen Besitz beschlagnahmt hatte. Er durchsuchte den Raum mit seinen Augen, und Roana wagte es einen Moment zu hoffen, er würde sie übersehen. Doch der Moment der Hoffnung verschwand als der Wikinger sie mit seinen kalten Augen erspähte. Roana spürte, dass eine innere Kälte in ihr hervorkroch und zitterte vor Angst. Der Hüne bewegte sich keinen Zentimeter und starrte sie unentwegt an. War jetzt der Moment gekommen? Der Moment vor dem sich seitdem sie diese Hütte betreten hatte gefürchtet hatte. Würde sie nun ihrer Unschuld beraubt werden?

Der Wikinger schloss die Tür und kam schweigend auf sie zu. Roana versuchte sich so weit es ging von dem Wikinger zu entfernen aber hinter ihr spürte sie bereits die eiskalte Steinmauer,welche ihr ein weiteres zurück weichen verwehrte. Der Hüne kam mit großen Schritten immer näher und Roana fühlte sich wie ein Schwein auf der Schlachtbank. Als der Wikinger einen Schritt von ihr entfernt war hockte er sich nieder um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Er begann in einer ihr unverständlichen Sprache zu sprechen und Roana schaute ihn nur verdutzt an.
Was wollte dieser Riese von ihr? Sie schaute ihn nur verwundert an und zuckte mit den Schultern.
"Kannst du mich jetzt verstehen?", kam es nun ohne Akzent aus seinem Mund.

Roana nickte nur kurz und schaute dann wieder auf den Boden.

"Komm mit, ich werde dir nichts tun. Verhalte dich ruhig und befolge meine Befehle und dir wird nichts geschehen.", sagte der Hüne und streckte ihr seine Hand entgegen.

Roana schaute ihn nun wieder verwirrt an. Wie konnte er glauben, dass sie ihm so leichtfertig vertrauen würde. Immerhin waren es seine Leute, die ihr Dorf überfallen hatten.

Der Wikinger senkte seine Hand und stand auf.

Anscheinend hatte er bemerkt, dass sie nicht freiwillig und ohne Gegenwehr mit ihm mitgehen würde.

Roana fing nun an zu zittern, hatte sie einen Fehler begangen, als sie sich seiner Aufforderung widersetzt hatte. Würde er sie jetzt dafür bestrafen?

Doch nichts der gleichen geschah. Der Riese schaute auf sie herab und schüttelte nur seinen Kopf. Dann drehte er sich um und begann wieder zur Tür zu gehen. Auf einmal blieb er stehen und begann zu sprechen:" Mein Name ist Ragnar, Sohn des Iod, Schlächter des Nordens und du gehörst nun mir. Du wirst mich in den Norden begleiten. Ich gebe dir eine Stunde und dann wirst du freiwillig mit mir gehen!"

Der Riese verließ die Hütte und das Letzte, das Roana hörte bevor sie in Tränen ausbrach war das Klirren des Schlosses, als dieses von außen geschlossen wurde.

Der Ruf der Wildnis Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt