Vertrauen

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Tag 2

Das gleichmäßige Brummen des Motors ließ die Wände des kleinen Autos vibrieren.

"Andreas?" Kheiras Onkel warf einen flüchtigen Blick zu ihr hinüber. Kheira nahm das als Zeichen seiner Aufmerksamkeit und stellte die Frage, die sie seit gestern beschäftigte. "Warum spricht sie nicht?" Ihr Onkel runzelte die Stirn. "Nala?" Kheira nickte langsam. "Warum fragst du sie nicht selbst?" Kheira zuckte mit den Schultern. "Sie ist irgendwie einschüchternd." 

Andreas grinste. Ergrautes Haar stand in Strähnen von seinem Kopf ab. Seine eckige Brille war ein Stück am Nasenrücken hinunter gerutscht. "Manche Menschen fühlen sich unwohl dabei, zu reden, wenn sie ihre eigene Stimme nicht hören können. Außerdem..." Er stockte und räusperte sich. „Außerdem hat sie viel durchgemacht. Sie hat sowieso Probleme damit, Menschen zu vertrauen." Für einige Sekunden blieb es still. Kheira versuchte die Informationen zu verarbeiten.

„Wie ist das passiert? Das mit ihren Ohren, meine ich. Oder war sie schon immer... Du weißt schon." Ihr Onkel legte den Kopf leicht schief und mustere sie aus den Augenwinkeln. „Das darf ich dir nicht sagen. Tut mir Leid. Wenn du es unbedingt wissen willst, musst du sie fragen. Ob sie dir das anvertrauen will, ist ihre Entscheidung." Es wurde still. Kheira schwieg. Das Gespräch schien beendet. Nala wollte nicht mit ihr darüber reden, dass hatte Kheira bereits gestern bemerkt. 

Nach einigen Augenblicken seufzte Andreas. „Sie musste in ihrem jungen Alter schon so viel mehr ertragen, als andere in ihrem ganzen Leben durchmachen. Trotzdem ist sie ein toller Mensch. Sie ist etwas Besonderes."

Kheira antwortete nicht. Es war offensichtlich, dass sie zutiefst von Nala beeindruckt war.

Als sie vor dem Krankenhaus hielten und Andreas den Motor abstellte, war der Himmel mit grauen Wolken bedeckt. Kheira warf einen skeptischen Blick durch die Windschutzscheibe. Dunkler Nebel umwaberte das große Gebäude. Andreas folgte ihrem Blick mit den Augen. "Es wird wohl heute noch regnen." Kheira nickte abwesend. "Bevor du gleich reingehst, habe ich noch etwas für dich." Er drehte sich um und zog seinen Rucksack von der Rückbank nach vorne. Mit einer geschickten Bewegung holte er ein Notizbuch hervor. Das Cover war tiefblau. Er drückte es Kheira in die Hand. "Ähm, danke?" Fragend musterte sie das kleine Buch. Andreas lächelte freundlich. "Ich hätte gerne, dass du über deine Treffen mit Nala Tagebuch führst. Sie kriegt die gleiche Aufgabe. Ich denke wirklich, dass es euch beiden helfen kann, das alles zu verarbeiten." 

Kheira rollte mit den Augen. "Da spricht aber jetzt definitiv der Psychologe aus dir." Andreas kratzte sich schmunzelnd an der Stirn. "Wahrscheinlich hast du Recht..." Dann riss er die Autotür auf. "Und jetzt los mit dir. Lass Nala nicht warten, dass ist unhöflich. Und ich habe auch genug Patienten." Kheira zuckte mit den Schultern und hob mühsam die Beine aus dem Auto. Auf dem Weg zur Tür betrachtete sie das Notizbuch in ihren Händen nachdenklich. Schließlich packte sie es in ihre Tasche. Vielleicht hatte Andreas ja Recht. Vielleicht konnte es helfen, alles aufzuschreiben und ihre Emotionen zu ordnen.


Dieses Mal war Kheira mit einem anderen Gefühl in den Aufenthaltsraum gekommen. Sie hatte das Gefühl, einen wichtigen, dunklen Teil Nalas zu kennen. Zumindest wusste sie, dass er irgendwo tief in Nala existierte. Auf eine seltsame Art und Weise fühlte sie sich mit dem fremden Mädchen verbunden. Dennoch saß sie der zierlichen Frau wieder etwas nervös gegenüber. Nala war definitiv einschüchternd. 

"Soll ich einfach ein bisschen was erzählen?" Sie hatte sich entschieden, Nala nicht mehr auf ihre Probleme anzusprechen. Wenn Nala sich ihr anvertrauen wollte, dann würde sie es tun. Von sich aus.

Nala nickte aufmunternd und Kheira entschied sich, einfach anzufangen. Sie hatte nicht vor, erneut einen Tag schweigend zu verbringen. Nach den Geschehnissen gestern wollte sie dem Ganzen eine Chance geben. 

"Das, was du gestern gesagt hast - Dass ich vielleicht sterben werde. Das hat mich nachdenklich gemacht." Sie stockte. Nalas Augen waren fest auf Kheiras Lippen gerichtet. "Ich habe mit meiner Mutter geredet." Wieder zögerte sie, als wüsste sie nicht, wo sie beginnen sollte. Da war so Vieles in ihrem Kopf, was sich nicht einfach in Worte fassen ließ. Sie versuchte sich zu sammeln, doch schließlich sprudelte all das ungeordnet aus ihr heraus, was so tief in ihr verborgen gewesen war. 

"Manchmal bin ich einfach so wütend, weißt du? Dann kann ich nicht mehr klar denken. Warum ich? Warum all das? Früher habe ich dann Sport gemacht. Ich war echt gerne schwimmen. Keine Ahnung, ich hatte das Gefühl, dabei meinen Kopf ausschalten zu können. Man macht ein paar Bewegungen und gleitet durchs Wasser. Es fühlt sich fast an wie schweben. Das klingt vielleicht bescheuert." 

Kheira warf Nala einen unsicheren Blick zu, doch diese schüttelte ruhig den Kopf. Sie schaute direkt in Kheiras Augen und dieses Mal war es nicht unangenehm.  

"Das Gefühl, wenn alle Muskeln im Körper zusammenspielen, ist einfach unbezahlbar. Man wird immer schneller dabei. Und man ist ganz alleine. All das leistet man alleine. Weg von dem Lärm der Welt. Man bekommt dann irgendwie ein bisschen Abstand von den Problemen im Leben und kann danach klarer denken." Kheira schluckte. "Zumindest war das bei mir immer so. Jetzt geht das ja nicht mehr." 

Nala nickte langsam. Dann stand sie auf. Kheira schaute ihr hinterher. Für einen Moment hatte sie Angst, zu viel gesagt zu haben. Sie dachte Nala würde jetzt einfach gehen, doch das tat sie nicht.

Sie lief zu einer Schublade im Regal an der Wand gegenüber und holte etwas heraus. Erst als sie begann es aufzubauen, erkannte Kheira, dass es sich um eine Staffelei handelte. Nala stellte sie auf, rüttelte ein wenig an den Holzbeinen, um sicher zu gehen, dass sie hielten und legte ein Blatt auf. Dann trat sie einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk. Zufrieden lächelnd winkte sie zu Kheira hinüber. Vorsichtig trat diese an die Staffelei heran. Nala holte ein paar angebrochene Tuben mit Acrylfarben und einen Pinsel hervor. Liebevoll verteilte sie etwas rot, blau und grün auf ein Plastikbrettchen. Daraufhin trat sie zwei Schritte auf Kheira zu und hielt ihr den Pinsel hin. 

Kheira blickte etwas verwirrt hin und her. Verunsichert lächelnd meinte sie dann: "Das ist keine gute Idee. Ich kann gar nicht malen." Nala schüttelte den Kopf. Ihre Augen blickten sanft. Sie legte ihre Hand vorsichtig auf Kheiras Arm und zog sie zu sich heran. Bei der Berührung verkrampfte sich Kheira. Sie atmete tief durch. Nala stand nun direkt hinter Kheira. Sie war ein wenig kleiner als diese, deswegen musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen, um etwas zu erkennen. Sie legte ihre Hand auf Kheiras und dirigierte sie mit dem Pinsel mitten durch den Farbklecks. Mit einem leisen Surren strich der Pinsel über das raue Papier und hinterließ einen dicken roten Strich. Automatisch schloss Kheira die Augen und atmete ruhig ein und aus. Nalas Hand auf ihrer eigenen signalisierte eine seltsame Art von Frieden und Gelassenheit. 

Gänsehaut breitete sich über ihren ganzen Körper aus. Obwohl Nala nicht sprach, waren für Kheira drei Worte beinahe greifbar, die im Raum standen. "Es ist okay." 

Eine halbe Stunde später öffnete sich die Tür und Andreas rief Kheira zu, dass es Zeit war zu gehen. Sie warf Nala einen schnellen Blick zu und grinste unsicher. Ihre Hände waren voll mit Farbe, doch irgendwie hatte das bisschen Malen ihr geholfen. Auch Nalas Augen strahlten. 

"Danke", murmelte Kheira auf dem Weg nach draußen. Nala konnte es nicht hören, denn Kheira hatte ihr bereits den Rücken zugewandt. 


Ich bin wohl offiziell die Schlimmste. Ja, ich weiß, dass der letzte Teil schon ewig her ist. Und jetzt ist der hier nicht mal besonders gut. Aber ich kann auf jeden Fall versprechen, dass ein paar echt gute Sachen kommen. Irgendwann zumindest, wenn ich dann mal tatsächlich schreibe und mich nicht wieder davor drücke :/ Es dauert immer ein bisschen, bis so eine Geschichte in Fahrt kommt. Nein, okay, dass ist jetzt auch wieder eine schlechte Ausrede. Ich war halt einfach zu faul, um zu schreiben. Jetzt ist es raus. Wie gesagt, ich bin die Schlimmste. Trotzdem danke fürs Lesen, ich habe euch lieb. :D






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