-Jakob-
Ich begann ihm meine Gedanken auf Papier festzuhalten. Aber trotzdem sollte es die Sache nicht besser machen.
Manchmal antwortete er mir einen Tag später. Meist hatte ich am Nachmittag einen Brief auf dem Schreibtisch liegen, wenn ich von der Schule nach Hause kam, weil er Vormittag noch die neuen Medikamente wirkten, mit denen er langsam entzog.
Ab und an, konnte ich sogar den letzten Hauch seines Deos in der Luft riechen.
Ich weinte mich nahezu jeden Abend in den Schlaf, weil mir die Wahrheit zwischen seinen Zeilen furchtbar weh tat.
Er schrieb, wie es ihm wirklich ging. Entschuldigte sich oft dafür, dass er uns in diese Situation gebracht hatte und beteuerte, dass wir das einzig beste waren, dass er in seinem Leben je zu Stande gebracht hatte.
In diesen Tagen schien er das zu hassen, was aus ihm geworden war.
Er schrieb über sämtliche Gedanken und Gefühle, die ihm durch den Kopf gingen und vermutlich fiel es ihm auch leichter, diese Dinge auf Papier festzuhalten. Aber sehen wollte er uns nicht.
Dabei hungerte ich nach seiner Nähe. Diesem Gefühl, wenn er mich in den Arm nahm und mir mit der Hand über den Kopf rubbelte. Ich vermisste sein lachen, seine herzliche Art und besonders die Momente, in denen er mit mir Musik machte.
Es war so surreal. Aber die vorangegangene Woche fühlte sich wie ein Jahr an. In der Mitte der zweiten Woche war es sogar so weit gekommen, dass ich mir auf sämtlichen Internetportalen Videos von ihm ansah und seine Songs in der Endlosschleife hörte. Und das, obwohl wir im gleichen Haus wohnten.
Wo war die Zeit von damals? Was war mit meinem Vater passiert?
Mit Ende des zwölften Tage fällte ich eine Entscheidung, weil ich mich mittlerweile immer mehr wie ein geschlagenes Kind fühlte, dass selbst Hiebe in Kauf nahm, nur damit es eine x beliebige Reaktion auf sein Verhalten erhielt und noch spüren konnte, dass es überhauptnoch lebte.
Ich beschloss Mums Wort zu brechen und Dads Bitte in den Wind zu schießen.
Wenn er mich weg schickte oder ausquartierte, dann war es eben so.
Dann hatte ich ihn wenigstens nochmal gesehen und mein Hirn realisierte, dass er überhaupt noch am Leben war. Zwischenzeitlich glaubte mein Kopf nämlich kaum noch daran. Besonders, wenn ich nachts vor Alpträumen nach oben schreckte, weil ich ihm vorm inneren Auge, beim Sterben zusah .
Ganz langsam entschloss ich mich, in die obere Etage, in die offiziell verbotene Zone seines Krankenlagers zu schleichen, zu dem seit mehreren Tagen auch eine Krankenschwester kam, die sicher ging, dass die Krämpfe nicht zu stark wurden und die Entzugserscheinungen seinen Körper nicht überstrapazierten.
Mein Herz hämmerte heftig gegen meine Brust und ich hatte Mühe meine schweißnassen Finger unter Kontrolle zu halten.
Dann hörte ich Stimmen, die mir seit meiner Kindheit vertraut waren und ich begann zu lauschen, presste mich eng gegen die Tür.
„ Billie, komm schon. Das ist doch Wahnsinn, was du da mit den Kindern machst. Du müsstest Jakob mal sehen. Der läuft vollkommen neben sich", hörte ich meine Mutter weinen, was mir einen Stich durch den gesamten Körper fahren ließ.
Das Keuchen meines Vaters, erweckte dagegen ein Glücksgefühl sondergleichen in mir. Besonders weil ich wusste, dass er nur wenige Meter entfernt war.
„ Nicht jetzt, Adie. Bitte. Lass uns das in 5 Tagen klären. Ich bin heute auf 100 mg runter gegangen und heilfroh, wenn ich die nächsten Stunden überlebe."
Dann stöhnte er vor Schmerzen, hielt sich offenbar den Rücken.
„ In 5 Tagen?", wiederholte sie ungläubig und ich trat noch etwas näher an die Tür heran.
Aber er antwortete nicht, krümmte sich stattdessen vor Schmerzen und jammerte von den Qualen, die der Entzug mit sich brachte.
„ Billie Joe, soll ich die Schwester holen?", fragte Mum in besorgterem Tonfall, aber er schien zu verneinen.
„Gib mir die Wärmflasche dort vorne und die Wolldecke. Ganz genau", wies er sie offenbar an und lies sich zudecken, was erste Erfolge verzeichnen lies.
„ So besser?"
„ Nicht schön, aber auszuhalten. In 3 Stunden wird's noch schlimmer."
Sie verfielen in inniges Schweigen, bevor meine Mutter die Unterhaltung fortsetzte.
„ Was ich damit sagen wollte, auch wenn du das nicht hören willst. Ich weiß nicht, ob es den Kindern nicht besser ginge, wenn sie das mit dir gemeinsam durchstehen. Ich mache mir wirklich Sorgen um Jake, weil ich langsam merke, dass er vor die Hunde geht und ihn dein angebliches Schutzprogramm mehr belastet, als das es ihm hilft. Unser Sohn ist seit zwei Wochen wie verwandelt. Er isst kaum noch, läuft wie ein Geist durch die Gegend und ist kaum noch ansprechbar. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich deine Entscheidung und dein Versteckspiel vor den Kindern weiter tolerieren will. Ich liebe dich wirklich Billie Joe und ich gehe mit dir durch die Hölle. Aber ich möchte nicht, dass unsere Kinder leiden", schluchzte sie, was mich innerlich zusammen zucken lies. Ich hasste es, meine Mutter weinen zu hören, weil es die Sicherheit meiner Kindheit in mir zum Wanken brachte.
In diesem Moment wusste ich nicht, ob er sie in den Arm nahm, oder sich selbst überlies.
„ Ich will einfach nicht mein Gesicht verlieren. Verstehst du das? Ich möchte nicht, dass mich Joseph und Jakob in diesem Zustand sehen. Eltern müssen immer stark bleiben, Adrienne. Das hast du doch selbst zu mir gesagt", gab er ihr mit ebenfalls zitternder Stimme zu verstehen, was mir im Gegensatz zu seiner Behauptung den kompletten Halt nahm.
Ich wusste nicht, was mir in diesem Moment so viel Kraft gab, dass ich mich nach oben erhob und die geballten Fäuste lockerte, um die Tür zu öffnen. Aber ich tat es.
„ Aber nicht, wenn es ihnen schlecht geht", bekam ich nur mühsam hervor und sah zielgerichtet vor mich hin.
Mit zitternden Lippen und angespannter Mimik verharrte ich in der Mitte des Zimmers und kämpfte hart gegen die Tränen, als ich meinen Vater das erste Mal seit über zwei Wochen für einen längeren Moment auf dem Bett liegen sah. Bleich, mit durcheinander geratenen Haaren und traurigem Gesichtsausdruck.
„ Jakob?"
Keine vorwurfsvolle Miene, kein wütender Blick. Meine Eltern schauten mir nur völlig entsetzt in die Augen.
„ Ihr könnt mich hassen oder vor die Tür setzen. Macht mit mir, was ihr wollt, weil ich mich nicht an die Regeln gehalten habe. Aber bitte, Dad. Nichts ist schlimmer, als von dir ignoriert zu werden. Ich vermisse dich so sehr."
Damit brach ich in Tränen aus, konnte mich nicht länger zusammen reißen. Mir war egal, ob sie mich in dieser Lage sahen, oder ob sie mich weinen hörten.
Nichts erfüllte mich mehr, als in diesem Zimmer zu sein. Selbst wenn er mich weg schickte, oder ignorierte, genoss ich diese wenigen Minuten mehr, als in meinen eigenen vier Wänden an die Tapete zu starren.
Doch dazu kam es nicht, denn ich vernahm wie sich mein Vater vor Schmerzen keuchend nach oben erhob, mühsam einige Meter lief und dann das tat, wonach ich mich seit dem Wissen seines Entzugs gesehnt hatte. Er schloss mich in seine Arme, hielt mich einfach nur fest und ich konnte weinen, ohne dass ich fallen gelassen wurde.
Nach einiger Zeit schluchzten wir beide, genossen die jeweilige Nähe des Anderen und lösten uns erst voneinander, als die Krämpfe ein längeres Stehen unmöglich machten.
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(Green Day Fanfiction)- know your enemy
FanficJakob Danger Armstrong berichtet von den ersten Tagen und seinen Gefühlen zum Drogenentzug seines Vaters...