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Fyre

Wie es auch aussehen mag: Es ist nicht immer leicht, ich zu sein.

Es ist nicht leicht, von allen gehasst zu werden - mit gutem Grund, wie ich mir natürlich bewusst bin - es ist nicht immer leicht, meiner Rolle als kaltherzige, bösartige Zwillingsschwester der allseits beliebten Winterkönigin gerecht zu werden.

Manchmal hasse ich mich selbst.

Manchmal wünschte ich, mir nur einen Tag des Glücks erlauben zu dürfen.

Aber ich darf nicht. Kann nicht.

Ich weiß, danach wäre es noch schwerer. Ich will diesen Schmerz nicht noch einmal erleben müssen. Ich werde alles tun, um das Eis bruchsicher zu halten.

Du wirst schwach, tadle ich mich, hat er nach all den Jahren wirklich solch eine Wirkung auf dich? Du weißt, er hat dich verraten!

Verflucht. Wie kann ich nur so landschaftsschmelzend dämlich sein? Wie?!

Er hat dir damals gezeigt, was du ihm bedeutest. Belass es dabei. Vergiss ihn.

Ich darf nicht schwach werden. Nicht jetzt. Nicht ihm gegenüber ...

Genug davon. Ich versuche, die Gedanken an Ciel zu verdrängen und mich wieder auf den Weg zu konzentrieren.

Rosie ist ohnehin schon viel zu gut darin, mich zum Grübeln zu bringen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich sie immer seltener besuche, aber natürlich muss ich mich verabschieden.

Widerwillig klopfe ich kurz, bevor ich die Tür zu ihrem Garten öffne.

Ein wildes Blumenmeer empfängt mich.

Wintergärten sind eigentlich eine gute Sache, zumindest, solange du sie nicht der Pflege einer hobbylosen alten Frau übergibst.

Na gut, ich gebe zu: dieser gesamte Ort ist ein Traum. Dank Rosies Fürsorge beanspruchen die ausgefallensten Pflanzen, verloren geglaubte Arten sowie natürlich ihre Lieblinge jeden einzelnen Winkel in Beeten und Töpfen für sich.

Aber für eine Winterelfe wie mich ist das nichts.

Zumindest ist es das, was ich mir einrede.

Ich folge dem Weg in die Mitte der Glaskuppel, welche den Garten umwölbt, der feine Kies knirscht unter meinen schwarzen Wildlederstiefeln.

Hinter dem kreisrunden Springbrunnen, der die Fläche im Zentrum dominiert, steht Rosie, von mir abgewandt, konzentriert mit ihrer Gartenschere ein paar verwelkte Blätter von den Rosen auslichtend.

Ihre schulterlangen, schneeweißen Locken hüpfen auf und ab, als sie sich nach einer blutroten Prince Noir beugt.

»Schön, dass du schließlich auch noch zu mir findest, Liebes«, begrüßt sie mich - eine Mischung aus echter Freude und Sarkasmus.

Ich lasse mir das aufkeimende Schuldbewusstsein nicht anmerken, als ich die zweite Schere vom Brunnenrand aufhebe und mich neben sie stelle.

»Ich hätte auch gar nicht kommen können«, deute ich an, woraufhin Rosie anfängt zu lachen.

»Keine Chance«, wehrt sie ab, »ich kenne dich viel zu gut, als dass ich daran zweifeln könnte, dass sich in dir nicht mehr meine süße kleine Enkelin verbirgt, die sich in Gewitternächten immer an meinen Rockzipfel klammerte.«

Ich muss lächeln und fange an, ein paar trockene Äste von der kletternden Indigoletta vor mir abzuschneiden.

»Jaja, ich freue mich auch, dich zu sehen, Rosie.«

Endlich schaut sie mich an, der Blick aus ihren saphirblauen Augen trifft mich prüfend bis ins Herz. Trotz ihrer 863 Jahre gilt sie immer noch als Schönheit - nicht ohne Grund. Sie steckt mir sanft die Prince Noir ins Haar.

»Steht dir ausgezeichnet, Kind«, kommentiert sie.

Ich verdrehe nur die Augen.

»Du solltest aufhören, deine Gefühle zu verstecken«, versucht sie mich wie so oft zu belehren. Noch ein Grund, weshalb ich ihre Gesellschaft so selten aufsuche: Ihr Vorschlag ist zu verlockend und beängstigend zugleich.

»Rosie! Ich bin nicht wie Crystal, akzeptier das endlich!«

Sie runzelt die faltige Stirn.

»Das habe ich nie behauptet. Du bist nicht wie deine Schwester. Aber deine Maske tut weh, Schatz.«

Sie weiß gar nicht, wie sehr. Ich seufze.

»Wie oft soll ich es noch sagen? Ich trage keine Maske.«

SnowFyre. Elfe aus EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt