Die Männer drehten sich geschlossen um und sprinteten zurück zum Ausgang. Cass konnte gerade noch die Memdisc aus der Konsole mitnehmen, bevor Drew sie am Arm mit sich riss. Tom sprang aus der Ladebucht und sicherte den Gang, während die anderen in den Lift hechteten. Als sie in der Kabine nach oben glitten, sprach niemand ein Wort. Tom und der Kapitän überprüften ihre Waffen, richteten sie auf die Tür des Aufzuges. Als diese schließlich aufging, schaute ihnen nur der leere Gang entgegen.
"Also los. Zum Schiff. Höchste Vorsicht", ermahnte der Kapitän. "Wir wissen nicht annähernd, mit wem oder was wir es zu tun haben."
Sie sicherten sich gegenseitig und liefen in langsamem Tempo zurück zur Schleuse. Alles war ebenso leer wie zuvor. Schließlich kamen sie bei der Leiche des Besatzungsmitglieds an. Seine leeren Augen schienen sie höhnisch zu fixieren, als sie über ihn hinwegstiegen. Vor dem Schleusenschott hob der Kapitän die Hand.
"Cass, überprüfe, ob jemand die Midas in den letzten Minuten betreten hat", befahl er.
"Sofort", kam die Antwort, als Cass sich an der Konsole der Schleuse zu schaffen machte. "Im Protokoll sind nur zwei Öffnungen aufgeführt. Die Midas ist clean."
"Dann zurück auf unser Schiff und nichts wie weg hier!", sagte Tom. Der Kapitän nickte. Zusammen betraten sie die Schleuse, während Drew ihnen den Rücken zuwandte und nach hinten sicherte. Die Schleusentore glitten wieder zu und trennten sie mit einem leisen Klacken von den Innenräumen der Marco Polo. Drew, Tom, Cass und der Kapitän sackten ein bisschen in sich zusammen, bevor der Herr der Midas sagte: "Auf zur Brücke und weg hier."
Während sie in die Steuerungszentrale liefen, fragte Tom: "Sollten wir die Marco Polo nicht besser in die Luft jagen? Was passiert mit den Bergungsteams, die kommen werden?"
Der Kapitän schüttelte den Kopf. "Darum sollen sich die Behörden kümmern. Ich werde keine IPF mit einer Explosion auf uns aufmerksam machen."
Sie erreichten die Brücke und nahmen ihre Plätze ein. Da noch jeder der vier die Schutzkleidung trug, saßen sie etwas unbequem in den Sesseln, ließen sich das jedoch nicht anmerken. In Augenblicken war die Midas von der Marco Polo abgekoppelt und entfernte sich mit stets wachsender Geschwindigkeit.
"Das wäre erstmal geschafft", sagte Cass. "Soweit kann bestimmt kein Außerirdischer springen." Ihr Blick fiel auf den Bioscanner, der immer noch in einer Ecke des Hauptschirms aktiv war, dann aber abschaltete, als die Entfernung zu groß wurde. "Komisch", nuschelte sie in sich hinein.
"Hm?", fragte Drew.
"Mh, ich weiß nicht genau", gab sie zurück.
"Auf meinem Schiff gibt es kein 'Mh, ich weiß nicht genau', Cass. Spuck's aus!", wies der Kapitän sie zurecht.
Ein kurzer, scharfer Blick traf den Kapitän aus blauen Augen, dann sagte Cass: "Ich dachte, ich hätte gesehen, wie auf dem Bioscanner nur noch drei Lebewesen auf der Marco Polo angezeigt wurden."
"Bist du dir sicher?", fragte der Kapitän.
"Nein", sagte Cass. "Ich konnte nur einen kurzen Blick darauf werfen, bevor der Scanner abschaltete."
"Dann war es wohl eine Störung aufgrund der großen Entfernung. Oder eine der Leichen ist so kalt geworden, dass der Scanner sie nicht mehr als Lebewesen eingestuft hat."
"Wahrscheinlich", sagte Cass. "Ich werde mich mal um die Auswertung der Daten kümmern. Aber vorher aus diesen Klamotten raus."
"Oh, dann warte eben auf mich!", rief Drew ihr zu.
"Aus dem Schutzanzug, Drew. Nur aus dem Schutzanzug."
"Oh. Achso", sagte Drew mit Enttäuschung in der Stimme.
"Du darfst dich Cass dennoch gerne anschließen", sagte der Kapitän. "Ebenso wie du, Tom. Raus aus den Schutzanzügen. Ich halte bis dahin die Stellung." Die zwei Männer nickten und folgten Cass von der Brücke in die Waffenkammer.
"Das war eine verdammt knappe Sache", sagte Tom, als sie alle dabei waren, aus der elastischen Panzerung zu steigen.
"Das kannst du laut sagen", erwiderte Cass. "Aliens. Oh Mann."
"Hoffentlich verhungert das Miestvieh auf der Marco Polo. Falls die sowas können", setzte Drew hinzu. Bis sie sich die Anzüge vom Leib gestreift hatten, herrschte Stille in der kleinen Waffenkammer. Danach traten sie schweigend den Rückweg zur Brücke an. Dort trafen sie auf den Kapitän, der sich bei ihrem Eintreffen nur kurz umdrehte und dann aufstand. Der Schutzanzug spannte etwas über seinem Bauch.
"Drew, du übernimmst. Cass, werte die Daten aus, Tom, kontaktiere Calypso an und bitte um Landeerlaubnis." Nachdem er die Befehle erteilt hatte, verließ er die Brücke.
Schweigend ging die Crew der Midas ihren Aufgaben nach. Es waren nur die Geräusche von auf Bildschirmen tappenden Fingern zu hören, ab und an unterbrochen von einem Piepsen oder anderen Hinweistönen des Computers.
"Tom?" Cass' Stimme zerbrach die Stille wie dünnes Eis.
"Hm?"
"Wie lange war die Crew der Marco Polo schon tot, als wir eingetroffen sind?"
"Höchstens 24, mindestens aber zwölf Stunden. Warum?"
Eine Pause folgte, als Cass sich näher über ihren Bildschirm beugte.
"Das ist komisch", sagte sie dann. "Die Notrufschleife wurde erst vor zehn Stunden gestartet."
"Wahrscheinlich eine Automatik", erwiderte Tom. "Die gibt es auf jedem guten Forschungsschiff."
Cass schüttelte den Kopf. "Nein, im Logbuch steht klipp und klar, dass der Notruf manuell ausgelöst wurde."
Tom drehte sich zu Cass und starrte sie an. "Willst du damit sagen, dieses Alien hätte ihn ausgelöst?"
Cass zuckte mit den Schultern. "Hast du eine andere Idee?"
Tom schaute sie an, schwieg aber. Schließlich wandte er sich mit grimmiger Miene wieder seiner Konsole zu.
Das Schott zur Brücke glitt auf. Die Crew zuckte zusammen und wandte sich wie ein Mann um. Der eben eingetretene Kapitän zog schlicht die Augenbrauen in die Höhe.
"Jetzt werden wir mal nicht paranoid, ja? Cass, was hast du herausgefunden?"
Cass berichtete dem Kapitän die gewonnen Erkenntnisse. Es zischte leise, als er sich in seinen Sessel setzte und den Kopf mit einem Arm auf der Lehne abstützte.
"Warum sollte das Vieh gefunden werden wollen? Cass, was sagen die Daten über die Flugtüchtigkeit dieses Raumschiffes, das wir gefunden haben?"
Die Technikerin tippte wild auf ihrer Konsole herum, dann wischte sie darüber, bis sie die entsprechenden Daten gefunden hatte.
"Hm. Viel gibt das hier nicht her. Die Forscher hatten wohl nicht allzu viel Zeit, das Teil zu untersuchen. Es scheint jedenfalls keine sichtbaren Schäden gehabt zu haben. Energie hat es auch noch produziert, und zwar in nicht geringem Maße."
"Es könnte also durchaus flugfähig gewesen sein. Das hieße, das Alien wollte wissentlich fremde Schiffe anlocken. Aber warum?", sinnierte der Kapitän vor sich hin.
Eine Stimme aus dem Computer schaltete sich ein. "Hier der Freihandelshafen Calypso. Ich sehe ein Schiff der Eagle-Klasse auf dem Schirm. Bitte identifizieren sie sich."
Tom übernahm die Kontrolle über den Lichtwellen-Com. "Hier spricht die Midas. Ich sende jetzt den Authentifizierungscode." Er drückte auf eine Taste, woraufhin sich die Automatik des Schiffes der des Hafens zu erkennen gab und sich eindeutig identifizierte.
"Wenn das Alien nun einen Rettungskreuzer kapern wollte, um zu anderen Stationen zu fliegen und sie zu infiltrieren, weil es mit dem eigenen Schiff zu auffällig gewesen wäre, hieße das, dass es menschenähnlich aussehen müsste, oder aber -"
"Midas, sie wurden identifiziert", schnarrte der Funk dazwischen. "Ihre Authentifizierung beinhaltet vier Personen. Unsere Scanner zeigen aber ein fünftes Lebenszeichen auf ihrem Schiff. Bitte erklären Sie sich."
"- dass sie unsichtbar sind", beendete der Kapitän seinen Satz und drückte auf den Schalter zur Komplettabriegelung der Brücke.
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Die Crew der Midas - Unsichtbare Probleme sind immer noch Probleme
Ficção CientíficaWir schreiben das 24. Jahrhundert. Die Menschheit ist endlich in den unerforschten schwarzen Raum aufgebrochen. Die Menschheit, dazu gehört auch die Crew der Midas, einem mittelschweren Jäger der Eagle-Klasse. Doch während sich der Großteil der ehem...