Kapitel 1

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"Ich werde immer für dich da sein, egal, was passiert. Denn du und ich, wir sind eins, und das wird sich niemals ändern."

Mit einem einzigen Schnapp war es vorbei. Das Band war durchtrennt, die Menschen fingen an zu klatschen, wir sahen uns stolz an. Wir hatten es geschafft. Wir hatten unseren eigenen Laden. Unser Traum war in Erfüllung gegangen. Und nun strömten alle nach drinnen, um sich unsere Stücke anzusehen und vielleicht das ein oder andere zu kaufen.
Unsere Brüder verteilten Sekt; sie sahen wirklich schick aus in ihren Uniformen, die Emily geschneidert hatte.
Bevor auch wir, die stolzen Besitzer, zu den Menschen ins Geschäft gingen, betrachteten wir noch einmal die schnörkelige Inschrift auf dem Schaufenster.

Emena - Mode für Groß und Klein

Der Name war lediglich eine Mischung aus unseren Namen, Emily und Elena. Wir hatten lange herumexperimentiert, waren aber nie so ganz zufrieden gewesen. Am Ende hatten wir uns für ihn entschieden, da er am persönlichsten war.
"Dann lass uns mal ein paar Kunden überzeugen", sagte ich und ging vor Emily in das Geschäft.
Groß war es nicht; hier war Platz für eine hölzerne Ladentheke, eine Umkleidekabine und ein paar Kleiderstangen an der Wand. Hinter der Theke war außerdem ein kleiner Raum, der vor lauter Stoffen fast aus allen Nähten platzte; wir hatten schon fleißig gearbeitet vor der Eröffnung, um den Kunden unsere Qualität zu präsentieren.
Auch wenn es klein war, wir waren unglaublich stolz, endlich unseren eigenen Laden zu haben. Lange hatten wir darauf hingearbeitet, hatten Geld gespart und nebenbei gejobbt, während wir die Ausbildung zum Modedesigner gemacht hatten. Tag und Nacht hatten wir an Entwürfen gesessen, die Emily in die Tat umgesetzt hatte. Sie war die Schneiderin, ich zeichnete.
Es waren anstrengende Jahre gewesen, aber hier standen wir nun, in unserem eigenen Laden. Die Jahre hatten uns zusammengeschweißt. Mit zwanzig hatten wir eine WG gegründet, in der die meiste unserer Arbeit stattfand. Sie war zehn Autominuten vom Laden entfernt und in der Nähe eines Flusses. Eddie wohnte noch bei unseren Pflegeeltern. Nick hauste auch noch bei seiner Mutter, da ihm das Geld fehlte. Er und Ed halfen uns heute auf freiwilliger Basis, aber Emily und ich hatten abgemacht, dass wir sie ins Kino mit anschließendem Essen einladen würden.
"Das habt ihr wirklich toll gemacht", hörte ich jemanden neben mir sagen. Heiko, mein Pflegevater, sah mich lächelnd an.
"Danke", erwiderte ich. "Wenn ihr was haben wollt, das geht natürlich aufs Haus."
"Quatsch, ihr wollt doch Geld mit dem Laden verdienen", lehnte Heiko ab.
"Das werden wir schon auch so", meinte ich.
Auch Tante Marge und Onkel Albert waren gekommen. Sie bestaunten gerade ein weißes halb langes Sommerkleid mit glitzernden Verzierungen an der Taille. Das hatte Emily besonders gut hingekriegt. Sie hatte das gleiche für mich in schwarz genäht, extra für den heutigen Tag. Sie selbst trug es in türkis. Es war ungewohnt, etwas so Schlichtes an ihr zu sehen, aber es stand ihr.
Viele Leute bedienten sich jetzt draußen an dem kleinen Buffet, sodass es nicht mehr so voll hier drin war. Das Essen hatte Nick zubereitet, und Ed hatte es transportieren dürfen. Kochkurse hatten bei ihm nichts gebracht, er war einfach ein hoffnungsloser Fall. Ich hoffte nur, dass er eine Frau fand, die kochen konnte, andernfalls wäre er wirklich aufgeschmissen.

Es war ein langer und anstrengender Tag; wir gingen zu den Menschen, erzählten ihnen etwas über die Kleider, für die sie sich interessierten, versuchten mit jedem ins Gespräch zu kommen und einen guten Eindruck zu hinterlassen. Als um kurz nach sechs endlich auch der letzte Kunde den Laden verlassen hatte, atmeten wir erleichtert aus.
"Okay, lass uns noch kurz das Geld zählen und dann hauen wir ab", meinte ich und öffnete die schwarze Kasse hinter der Theke.
Die Jungs räumten draußen auf, während Emily einmal durch den Laden fegte. Nach einer Minute hatte ich das Geld zusammengezählt.
"235 Euro", verkündete ich feierlich. Es war okay. Nicht jeder hatte etwas gekauft, aber eine Frau hatte uns für Änderungsarbeiten angefragt und eine andere wollte ein Abendkleid für sich schneidern lassen. Das nannte ich einen guten Anfang. Ich steckte das Geld in die rote Schachtel, die wir extra dafür mitgebracht hatten. Dann holte ich unsere Jeansjacken aus dem Räumchen hinter der Theke und folgte Emily nach draußen. Nick und Ed waren inzwischen fertig; sie hatten die Tische verladen und das ganze Geschirr eingeräumt. Jetzt mussten sie die Sachen nur noch wegbringen.
"Wir kommen später noch zu euch", rief Nick, bevor er die Fahrertür des Lasters schloss und losfuhr.
Emily und ich setzten uns in meinen alten schwarzen Golf und machten uns auf den Heimweg.

Unsere Wohnung bestand aus einer kleinen Küchenzeile, einem massiven Holztisch, zwei Stühlen und zwei Sesseln. Auf einem alten Ikea-Regal stand ein Radio, einen Fernseher hatten wir nicht.
Das Bad war winzig, es bestand aus einer engen Dusche, einem Klo und ein Waschbecken hatte man auch noch gerade so hineingequetscht. Es gab ein kleines und ein großes Schlafzimmer, aber weil das kleine wirklich sehr klein war, hatten wir uns darauf geeinigt, dass wir zusammen in dem großen Bett schliefen. Wenn eine von uns mal Männerbesuch haben sollte, würde die andere auf der Matratze im kleinen Zimmer schlafen. Bis jetzt war das aber leider noch nicht der Fall gewesen. Emily hatte niemanden in Aussicht und ich auch nicht. Auch wenn es da jemanden gab, der mir gefiel... Aber das konnte nicht funktionieren.

"Lass uns noch Pizza bestellen", schlug ich vor und ließ mich in einen der alten Sessel fallen.
"Oh ja, ich hab den ganzen Tag nichts gegessen", stimmte Emily zu und setzte sich in den anderen.
"Wie, es gab doch voll viel!", erwiderte ich entsetzt. "Ich wäre verhungert."
"Ich war so aufgeregt!"
"Na, dann wird's Zeit. Margherita ohne Käse mit Mais?" Emily nickte.
"Eddie bekommt Pizza Hawaii ohne Schinken und Nick holen wir eine Gemüsepizza. Vitamine tun dem Kerl gut."
"Froh werden die aber nicht sein", wandte Emily ein.
"Mir doch egal. Sie können froh sein, dass wir ihnen überhaupt was mitbestellen."
Der Pizzalieferant sagte, es würde etwa eine halbe Stunde dauern. Bis dahin würden die Jungs wohl hier sein. Und tatsächlich, kaum hatte ich das Handy auf den Tisch gelegt, klingelte es an der Wohnungstür.
"Das müssen Eddie und Nick sein!", rief Emily und sprang auf, um den beiden die Tür zu öffnen. Ich ging derweilen in die Küche und holte vier Gläser aus dem Schrank und eine Flasche Cola. Als ich wieder zurückkam, stand Emily im Raum, aber nicht mit unseren Brüdern, sondern mit Ryan, unserem Nachbar. Er kam aus Amerika und war ein ziemlicher Angeber. Ständig tat er so, als sei er steinreich, aber da stellte sich mir die Frage: Warum wohnte er dann in diesem Haus?
"Oh, hallo Ryan", sagte ich etwas zu missmutig. Ich mochte ihn nicht.
"Hey Ellie! Ich wollte mal vorbeischauen und fragen, wie die Eröffnung heute war! Konnte ja leider wegen meinem Studium nicht kommen."
Warum hatte sie ihn reingelassen? Der Typ hatte nicht einmal Geschmack. Mit seinen hässlichen amerikanischen Klamotten gehörte er nicht in diese Wohnung.
"Ja, war toll. Wir haben aber jetzt keine Zeit, weil-" Riiiiiiiing.
"Ich gehe schon!", rief Emily. Diesmal waren es hoffentlich die richtigen Gäste.
"Ich komme mit!", rief ich hinterher.
"Warum hast du ihn reingelassen?", zischte ich vor der Tür.
"Er ist einfach an mir vorbeispaziert", zischte sie zurück.
"Toll, jetzt haben wir ihn hier drin!" Es klingelte wieder.
"Ja!", rief ich genervt und riss die Tür auf.
"Was dauert das denn so lang?", fragte Nick, bevor er in die Wohnung kam, gefolgt von meinem Bruder.
"Oh, hi." Wenig begeistert begrüßte er den Amerikaner.
"Hi", erwiderte der genauso begeistert.
"Was macht Bryan hier?", fragte Nick und drehte sich um.
"Wie oft noch, ich heiße Ryan!"
"Deine Schwester hat ihn reingelassen", meinte ich augenrollend.
"Eigentlich freut sie sich darüber, sie zeigt es nur nicht", behauptete Ryan und legte einen Arm um mich.
Ich versteifte. "Pfoten. Weg."
"Lass sie sofort los", knurrte Nick. Ed und Emily sahen wie immer stumm zu.
"Ist ja gut! Beruhigt euch." Abwehrend hob er die Hände in die Luft.
"Du kannst dann jetzt auch gehen, wir haben noch was vor", sagte ich. "Du weißt, wo es rausgeht."
"Okay, dann komm ich eben morgen wieder, Sweetheart." Er zwinkerte mir zu und ließ uns dann allein. Vor ein paar Jahren hätte ich ihm dafür die Fresse poliert. Aber ich war ruhiger geworden. Inzwischen drehte ich nur noch meinen Kopf, sodass es knackte, wenn ich gereizt war.
"Warum nennt er dich Sweetheart?", fragte Nick, der scheinbar auch gereizt war.
"Weil er dumm ist", erwiderte ich genervt.
"Hoffentlich boomt unser Geschäft bald, damit wir uns was Besseres leisten können."
"Ja, das hoff ich auch", meinte Nick düster. Seit wir befreundet waren, spielte er immer den Beschützer für mich. Wie ein großer Bruder. Das ließ immer wieder ein warmes Gefühl in mir aufkommen, auch wenn ich mich gerade über etwas ärgerte.

Fire Red - Mit den Flammen spielt man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt