Propublica: Rundfunkbeitrag für Nonprofit-Verlage?

4 0 0
                                    



Unter dem Büro von Stephen Engelberg in New York wird mal wieder demonstriert, als ich ihn im Oktober 2011 besuche. Die Leute laufen in Richtung Börse, wir sind in Manhattan, bleiben aber an Straßensperren hängen, ein junger Mann schwenkt ein Plakat, auf dem „Make Love, Not Money" steht.

Engelbergs Büro liegt im 23. Stock, er tanzt durch den Raum, auf seinem Bildschirm läuft ein Video, Engelberg singt mit, „We're gonna bet against the American Dream", wir werden gegen den amerikanischen Traum wetten, der Song stammt aus dem Broadway-Musical „The Producers".

Engelbergs Team gilt als Speerspitze einer neuen Form von Öffentlichkeit. Engelbergs ist Managing Editor bei ProPublica, einer Redaktion ganz neuer Art. ProPublica gibt keine Zeitung heraus, betreibt keinen Verlag, hat keine Radiofrequenz – und produziert trotzdem Journalismus, Bücher, Radioprogramme. Der Dienst ist kostenlos, Engelberg und seine Mitarbeiter werden trotzdem gut bezahlt.

Das Video, zu dem Engelberg mitsingt, ist Teil einer Geschichte, die seine Leute veröffentlicht haben und an der man ganz gut erklären kann, wie sie hier arbeiten.

Zunächst einmal recherchierten die Journalisten Jesse Eisinger und Jake Bernstein die Tricks, mit denen die Finanzbranche nach dem Crash einfach weitermachte. Sie fanden genug heraus, um zehn große Geschichten zu schreiben, als Serie unter dem Titel „The Wall Street Money Machine" stellte ProPublica die Texte in Netz.

Kollegen machten aus dem Material aber auch einen Comic und eine aufwendige, lange Radiosendung, in Zusammenarbeit mit dem National Public Radio (NPR). Für das Radio kam der Song aus „The Producers" hinzu, die Zeile passte zu gut. Wir werden gegen den amerikanischen Traum wetten. Natürlich veröffentlicht ProPublica auch E-Books, für weniger als zwei Dollar pro Text.

Comics und Musikvideos als Journalismus? Auf den ersten Blick erscheint das die schlimmsten Befürchtungen kulturkritischer Apokalyptiker zu bestätigen: Das ist das Ende der Gutenberg-Galaxis, der Untergang des Abendlandes, reine Cleverle-Literatur, könnte man jetzt spenglern. Doch die Unterhaltsamkeit gehört zur Strategie. Die Recherchen von ProPublica sind aufwendig, die Themen nicht immer ganz einfach zu verstehen. Warum soll man es den Lesern, Hörern, Zuschauern nicht etwas leichter machen, in die Geschichten einzusteigen?

Im Fall der Serie über die Tricks der Finanzbranche ging der Plan auf. Als US-Senat und Börsenaufsicht gegen das Bankhaus Goldman Sachs vorgingen, bezogen sie sich auf die Arbeit der Journalisten von ProPublica – und die bekamen für ihre Arbeit den Pulitzer Prize. Es war das erste Mal, dass diese Auszeichnung an ein Onlinemedium ging. Die „Huffington Post" nannte ProPublica ein „Sondereinsatzkommando für öffentliche Belange".

„Unser Auftrag ist Journalismus, der Veränderungen herbeiführt", sagt Stephen Engelberg. Zehn Jahre hat er bei der „New York Times" als investigativer Reporter gearbeitet und dort ein Rechercheteam aufgebaut. Inzwischen sagt er, große Institutionen seien zu träge, hierarchisch, ineffizient.

Die Redaktion von ProPublica ist überschaubar, ein Großraumbüro und ein paar Nebenzimmer, über 30 Journalisten arbeiten hier, dazu 20 weitere Mitarbeiter. Und, über das ganze Land verteilt, über 2000 Freiwillige.

In den fünf Jahren seit der Gründung haben sie eine ganze Schrankwand mit Pokalen und Urkunden gefüllt. Auch die Vereinigung Investigative Reporters and Editors (IRE) hat Propublica ausgezeichnet. 20 Journalisten hatten recherchiert, bis sie belegen konnten, dass in Strafprozessen oft geschlampt wird, wenn es um die Feststellung der Todesursache der Opfer geht. Die Ergebnisse wurden wieder nicht nur in einem Artikel, sondern multimedial publiziert.

Vorstand und Geschäftsführer von ProPublica ist Paul Steiger. In seinem Regal steht eine verbeulte Schreibmaschine. Steiger hat sie aus den Trümmern des Büros gerettet, aus dem er auf das World Trade Center schaute, bis zu den Anschlägen.

Steiger ist seit mehr als 40 Jahren Journalist. Als Redaktionsleiter beim „Wall Street Journal" war er dabei, als die Zeitung von Rupert Murdoch übernommen wurde. Seitdem wurde die Belegschaft halbiert. „Das goldene Zeitalter des investigativen Journalismus war Anfang der siebziger Jahre", sagt Steiger.

2006 meldeten sich Herbert und Marion Sandler bei Steiger. Ein Ehepaar mit Millionenvermögen und Interesse an gutem Journalismus. Sie boten Steiger zehn Millionen Dollar im Jahr, um eine „philanthropische Redaktion" zu gründen, die zum Nutzen der Gesellschaft recherchieren sollte. Auch in Deutschland gäbe es Geld für diese Art von Journalismus – allein aus dem sogenannten „Rundfunkbeitrag" ließen sich beinahe tausend vergleichbare Redaktionen finanzieren.  

Gutenbergs neue Galaxis - Vom Glück des digitalen LesensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt