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»Luna, ja ich weiß, dass der Typ heute komisch war, aber er war irgendwie nett«, sagte Celia, auf ihrem Bett liegend und ihre Füße anstarrend, welche sie in die Höhe hielt. »Du willst mir also sagen, du findest einen Jungen Süß, der dich mitten in der Nacht an einer Ecke mitten im Nirgendwo von New York gefragt hat, wieso du ihn sehen kannst?« Man hörte das leise Kichern ihrer besten Freundin nur schwach durchs Telefon. »Wenn du es so sagst, klingt es wirklich komisch..« Sie setzte sich auf. »Es klingt nicht nur komisch, es ist auch komisch, Celia!« »Ach halt doch die Klappe. Wenn du hier wärst, würde ich mit einem Kissen nach dir schmeißen. Doch leider bin ich in New York und du gammelst noch in West Virginia rum!« Ein entrüstetes Schnaufen ertönte am Ende der Leitung. »Du bist scheiße, aber ich vermisse dich.« »Ich dich auch, Loser.« »Hey! Seit wann bin ich ein Loser?« »Seit du vor drei Wochen in den See gefallen bist, schon vergessen?« Beide lachten. »Könnte ich gar nicht, du erinnerst mich doch jeden Tag daran du mieses Schwein.« Luna murmelte etwas unverständliches. »Was ist los?«, fragte Celia. »Nichts, musste nur meine Schwester aus meinem Zimmer schicken.« Sie kicherte und fragte sich ein weiteres Mal, ob Kelly, Lunas kleine Schwester, sich wirklich in einen kleinen Teufel verwandelte, wenn Celia nicht da war. »L, ich würde wirklich gerne noch weiter mit dir telefonieren, aber es ist immerhin schon ein Uhr morgens, ich sollte wirklich schlafen. Ich melde mich morgen, okay?« »Ist okay, Celly. Ich wollte eh gleich ins Bett.« »Schlaf gut.« »Schlaf gut, vermisse dich.« Celia legte auf und legte ihr Handy auf ihren Nachttisch. Sie zog ihre Socken aus und legte sich in das schäbig wirkende Bett, das unter ihrem Gewicht ächzte. »Gute Nacht Mom, gute Nacht Dad.«, flüsterte sie, das eingerahmte Bild ihrer Eltern anschauend, die schon seit langem im Bett sein müssten.

Was Andrew manchmal störte war, dass man als Unsichtbarer keinen Schlaf brauchte. Man konnte zwar schlafen, aber danach fühlte man sich meistens schlecht und alles andere als erholt, es fühlte sich an wie zwei Wochen zu wenig geschlafen zu haben. So musste man sich mit allen Problemen, jede Minute des Tages herumschlagen, man musste manchmal dabei zusehen wie Jugendlichen in den dunkelsten Gassen verprügelt und ausgeraubt wurden und konnte nicht eingreifen. Sein Problem momentan war nicht wirklich ein Problem, wahrscheinlich stellte es sich sogar als sehr positiv für ihn heraus. Es war die Begegnung mit Celia, die ihn beschäftigte und ihm Fragen durch den Kopf jagte, von denen er nie im Leben zu träumen gewagt hätte. Mit einem Mal wurde seine Neutralität zu seinem Dasein einfach ausradiert und in seinem inneren flammte wieder Hoffnung auf, Hoffnung die er sich eigentlich verboten hatte.

Als der Morgen herein brach und das Tiefblau des Himmels von einem leichten Rot verschlungen wurde, lächelte Andrew. Ein neuer Tag war eine neue Chance, das einzige Mädchen zu treffen, das ihn sehen und hören konnte. Gestern hatte sie ihn nach dem Weg zum Times Square gefragt, also konzentrierte er sich auf den Ort, der über und über mit Leuchtreklamen ausgehängt war und als er seine Augen wieder öffnete, stand er mitten auf dem Fußgängerweg, der jetzt schon mit Menschen gefüllt war, die allesamt zur Arbeit hasteten. Manchmal fühlte er sich in einer großen Menschenmenge unwohl, doch meistens lächelte er einfach nur über ihre Unruhe und genoss das Privileg, keine Pflichten mehr zu haben.

Es klopfte. »Ich bin nicht da!«, schrie Celia durch ihr nahezu winziges Apartment in Manhattan. Erneut. »Ich hab gesagt, ich bin nicht da!« Als jemand erneut gegen die Tür hämmerte, legte sie genervt den Pinsel auf die mit Farbe bekleckste, auf ihrem Tisch ausgebreitete Zeitung und lief sich die Hände an der faltigen Kleidung abwischend zur Tür. »Ich kaufe nichts«, sagte sie schon, bevor sie überhaupt gesehen hatte, wer da war. »Wenn du die neuen Farben nicht willst, die ich für dich gekauft habe, dann geh ich halt wieder.« Der breitschultrige Junge der vor ihr stand, gab ihr zwei kleine Plastiktüten. »In der roten sind die Acrylfarben, in der weißen sind die Pastellkreiden.« Celia streifte ein paar Zeitschriften von ihrer Kommode, die darauf auf den Boden fielen und legte die Tüten auf die frei gewordene Fläche. »Danke fürs Vorbeibringen, Kaden.« Sie umarmte ihn, darauf bedacht, seine Klamotten nicht schmutzig zu machen. »Gern gemacht, C.« Er strich die krause, schwarze Haarsträhne hinter ihr Ohr, die aus ihrem Zopf gerutscht war, worauf ihre Wangen einen rosa Ton annahmen. Sie bat ihn in die Wohnung, die vom Geruch ihrer Ölfarben durchflutet war. Nachdem Celia ihre Hände gewaschen hatte, folgte sie Kaden ins Wohnzimmer und schmiss sich auf ihr Sofa. »Kaden? Wie geht es deiner Mutter?« Er setzte sich neben sie. »Die Ärzte sagen, ihr geht es besser. Sie muss aber noch bis Mittwoch in der Klinik bleiben.« Nach dem Herzinfarkt von Kadens Mutter, war Celia ebenfalls sehr besorgt gewesen, da sie immer wie eine Tante für sie gewesen war. Wenn man beachtete, dass sie ihre halbe Kindheit bei den Brownes verbracht hatte, war dies auch verständlich. Sie lehnte sich an ihn und er löste das Haargummi aus ihren Locken und fuhr durch ihr Haar. »Du weißt, dass ich es mehr mag, wenn deine Haare offen sind«, sagte er lächelnd, nach dem sie ihn um ihr Haargummi gebeten hatte. Sie gab nach und wuschelte ihm durch seine Haare. »Idiot.« Beide lachten und sie genoss seine Anwesenheit.

Die UnsichtbarenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt