2. Kapitel (Hannah)

0 0 0
                                    

Ich schloss meine Augen für einen Moment, ließ die ganze Welt, die ich kannte, verschwinden und endeckte sie beim Öffnen der Augen neu.
"Ist das nicht eine schöne Aussicht?" fragte ich meine Eltern. Mein Mutter pflichtete mir bei: "Dafür haben sich die vier Stunden Flug gelohnt. Mach doch noch ein Bild, Schatz!" Mein Vater holte die Kamera aus dem Rucksack und schoss lächelnd ein Bild von uns vor der riesigen Schlucht. "Cheese!" Die Aussicht war unglaublich: 
Hinter dem Geländer erstreckte sich eine tiefe Schlucht, blaugrünes Wasser und die steinigen Uferzonen ließen die Schlucht großartig und vollkommen aussehen.
Klar, dass es einer der beliebtesten Wanderwege war.
"Können wir noch da hinten zum Wasserfall?" Ich quengelte wie ein kleines Mädchen, obwohl ich schon sechzehn Jahre alt war. 
"Gerne doch, Hanni. " sagte meine Mutter und streichelte mir über meine blonden Locken.

Der Wasserfall war lang, laut und gigantisch. Die Plattform hatte einen Glasboden, deshalb konnte ich auf die Baumwipfel sehen, ohne mich über das Geländer beugen zu müssen.
Auf der Plattform standen noch ein paar andere Touristen mit Kameras. Während ich noch ein bisschen weiter auf die Plattform ging, um eine bessere Sicht auf den Wasserfall zu haben und zu Boden schaute, grinsten sie in die Kamera.
Deshalb bemerkten sie auch nicht, was ich bemerkte.
Erst ein Knacken.
Ein haardünner Riss zog sich an meinem Fuß entlang.
Ich erstarrte.
Dann kapierte ich.
"ALLE RUNTER!" Rief ich und rannte los. "DAS GLAS REISST!" Die Reisegruppe sah mich erst alá Was-bist-du-so-laut-stör-nicht an, dann verarbeiteten ihre lahmen Gehirne meine Worte und sie liefen von der Plattform.
Nur noch 20 Schritte, höchstens.
Jeder meiner Schritte löste ein Knacken aus.
Nur noch 10 Schritte.
Meine Eltern standen geschockt am sicheren Rand.
5 Schritte.
Mein nächster Schritt ging ins Leere.
Schreiend und wild mit den Armen rudernd fiel ich die Schlucht hinab, war den Segementschichten, die ich erst Sekunden bevor betrachtet hatte, unheimlich nah.
Der Boden kam immer näher.
Doch kurz über dem Boden, vielleicht zwei, drei Cirkles über dem Boden, wurde mein Fall plötzlich abgebremst.
War das hier ein Traum?
War ich schon tot?
Doch ein paar Augenblicke später verschwand das unsichtbare Schild und ich fiel zu Boden.

An die nächsten paar Stunden kann ich mich kaum noch erinnern: Meine Schulter tat sehr doll weh.
Ein Hubschrauber landete im seichten Wasser der Uferzone.
Erstaunte Gesichter überall, im Hubschrauber, im Krankenwagen, am Krankenbett.
Aber das erstaunteste Gesicht sah ich in der Spiegelung des Fensters.

Ein Arzt diagnostizierte erstaunt einen Schlüsselbeinbruch und eine leichte Prellung meiner Hüfte.
Wenn ich meine Schulter nicht bewegte, ging es.
Ich konnte mich auch aufsetzen, aber nur unter Schmerzen und langsam.
Meine Eltern kamen, fachsimpelten über meinen Bruch und brachten mir Kekse und Bücher.
Mir ging es gut.
Und dann kamen die Paparazzi.
"Wie hast du bemerkt, dass das Glas gesplittet ist?"
"Was sagst du zu dem Versagen der Sicherheitsmaßnahmen der Tourismusagentur?"
"Wie hat es sich angefühlt, die Schlucht hinunterzufallen?"
"Was sagst du zu dem Namen 'Wunderkind'?"
"Hast du dich verletzt?"
"Wie erklärst du dir das Wunder?"
Ich beantwortete jede der Fragen so gut und knapp es ging.
   Das ich die Aussicht genossen und nach unten gesehen habe.
   Das ich nicht verstehen kann, warum die Brücke gebrochen ist, obwohl sie so gut gesichert war.
Vielleicht hatte man die Witterung unterschätzt.
   Das es schrecklich war, in den Tod zu stürzen.
   Das ich mich nicht als Wunderkind sah.
   Das ich mir eine Prellung und einen Schlüsselbeinbruch zugezogen hatte (das las ich von der Krankenakte ab).
   Das ich auf einen magischen Boden oder so etwas gefallen bin.
Das ich mir das Wunder mit Magie erkläre.
Sie atmen angespannt ein. Magie.

Mein Heimatland war das wahrscheinlich friedlichste auf dem ganzen Planeten.
Es gehörte zu einem Bund von Ländern, die sich, fern von Kriegen, Flüchtlingen und Diktaturen hinter einem Meer und einer Bergkette befanden.
Ein eigener, wenn auch kleiner Kontinent, abgegrenzt von allen Eindringlingen.
Vor circa zweihundert Jahren floh ein kleines Volk über das Meer und verteilte sich auf dem Land.
Nach zahllosen Opfern entstand endlich der Bund und die Demokratie, wie wir sie heute kennen.
Der Bund, wie wir uns mittlerweile nennen, hält zusammen:
In den letzten Jahren haben wir zusammen Hungersnöte überstanden, Kriminalität verdrängt und gemeinsam die Grenzen geschlossen, als riesige Gruppen, Sklaven und Arbeiter, Asyl beantragen wollten.
Sind wir nicht eine schöne Gesellschaft, so voller Zusammenhalt und Überlegenheit?
Und das alles nur, weil wir das Chaos der Magie aus unseren Köpfen und unserer Gesellschaft gelöscht haben.
Wie das?
Nicht radikal. Wenn man etwas aus den ersten hundert Jahren Kriege und Streit lernen kann, dann, das radikale Veränderungen nie funktionieren.
Es muss schleichend kommen.
Es fing ganz einfach an:
Die Versicherung zahlte Schäden, die durch eigene Magie entstanden war, nicht mehr.
Dann kam die Justiz.
Das Gesetz besagt, dass man für sachliche oder personelle Schäden durch Magie zusätzlich noch für den Missbrauch von Magie angeklagt werden kann.
Die Strafe ist nicht hoch, nur ein Viertel des entstandenen Sachschadens, aber alle wurden vorsichtiger und benutzten nicht mehr viel Magie.
Ach ja, und dann gab es noch ein Gesetz, das dich verpflichtete, zu einer psychologischen Beratung zu erscheinen, wenn man mehr als drei Mal die Woche Magie ausübt.
Damit die seelische Gesundheit gesichert ist.
Und die Leute haben das geschluckt.
"Wir sind technisch viel weiter."
"Eine gerechte Demokratie kann nur außerhalb des Chaos entstehen."
"Magie ist Chaos."
Das sagten sie.
Wie gesagt, die Leute haben es geschluckt.
Mich inbegriffen.
Oder doch nicht?

Die ElementSteinchenSucherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt