Stand by me!!

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Shions Pov.:

»Bitte geh nicht weg, Nezumi!« Ich packte seinen linken Arm, um ihn am Gehen zu hindern. Er blieb stehen und drehte sich zu mir um. »Eine Welt ohne dich ist sinnlos für mich! Sie hat überhaupt keinen Sinn!« Ich wollte nicht, dass er geht und ich ihn vielleicht nie wieder sehe. Meine Stimme zitterte leicht und ich bettelte förmlich darum, dass er mich nicht verließ. Mein Blick war auf den sandigen Boden unter mir gerichtet. Ich wollte und konnte nicht in seine mausgrauen Augen schauen, denn ich wusste, ich würde seinem Blick nicht Stand halten können.
Mein Gegenüber fasste mir an mein Kinn und zog meinen Kopf nach oben, sodass ich gezwungen war, ihm in seine Augen zu blicken. Unsere Köpfe waren nur wenige Zentimeter von einander entfernt. »Was bist du nur für ein unvernünftiges Kind! Wie alt wirst du?«, fragte Nezumi mich spöttisch. »Nezumi, ich meine es ernst, ich...«, wollte ich ihm erwidern, doch meinen Satz konnte ich nicht beenden, da er mit seinen Lippen die meinen versiegelte. Im ersten Moment war ich wie erstarrt.
Träume ich etwa?
Dies war nicht unser erster Kuss, aber dennoch überraschte er mich. Meine Augen waren weit geöffnet, doch als ich sah, dass Nezumi seine geschlossen hatte, tat ich es ihm gleich. Tränen stiegen mir in die Augenwinkel, da dies unser letzter Kuss sein würde.
Von wegen ich heule nicht!
Aber ich konnte die Tränen in diesem Augenblick einfach nicht unterdrücken.
Seine Lippen waren weich und er ließ seine rechte Hand an meine Wange wandern. Ich erwiderte den Kuss zögerlich und ich merkte, wie mir die Röte langsam in die Wangen stieg. Es gab so viel das wir zusammen erlebt haben und ich war so unglaublich glücklich, dass wir beide aus der Besserungsanstalt entkommen konnten und dass Nezumi, trotz seiner Verletzungen, überlebte. Dennoch machte ich mir Sorgen darüber, was wohl aus ihm werden würde, wenn er geht.
Würde er überleben?
Ich erinnerte mich an die Worte von Inukashi, welche mich an jenem Tag so beruhigt hatten: »Alles ist gut! Der Kerl stirbt doch nicht! Er ist kein süßer kleiner, der wegen sowas den Löffel abgibt!« Das wusste ich! Aber der Gedanke an einen Morgen, an dem ich nicht mehr ihn Nezumis Gesicht sehen konnte, machte mir Angst. Ihn zu verlieren, machte mir so schrecklich Angst. In jenem Moment war es mir egal ob er mich verachtete, mich verspottete oder verhöhnte. Ich wollte einfach sein Lachen hören! Es war der Tag, an dem Nezumi angeschossen wurde. Gleichzeitig war es auch der Tag, an dem wir aus der Besserungsanstalt fliehen konnten. Und es war der Tag, an dem mein geliebter Nezumi überlebte! Der Mensch, der mir am meisten bedeutete, hat überlebt!
Natürlich wird er überleben! Er ist nun mal Nezumi und er hat schon so viele Dinge durchgestanden. Er hat nun mal unverschämt viel Glück.
Seine Lippen lösten sich wieder von den meinen und ich sah ihn etwas enttäuscht an. »War das... ein Abschiedskuss?«, fragte ich zögerlich. Doch Nezumi lächelte mir zu und antwortete mit fester Stimme: »Dieser Kuss ist ein Versprechen. Wir werden uns wiedersehen!« Er drehte sich wieder um und trat seinen Weg in die weite Welt an. Stumm sah ich ihm hinterher. Aber es gab etwas, dass ich ihm noch sagen musste. Ich musste es ihm sagen, bevor er mich für immer verließ.
Wie von selbst bewegten sich meine Beine und ich merkte, wie ich zuerst schnell ging, und dann anfing zu rennen. Ruckartig drehte sich Nezumi zu mir um, als er meine Schritte hörte. Ich blickte noch kurz in sein überraschtes Gesicht, ehe ich mich auf ihn warf und wir zusammen auf den Boden knallten. Nezumi lag unter mir und rieb sich den Kopf. Seine Mine war leicht schmerzverzerrt, da er sich bei dem Aufprall diesen gestoßen hatte. »Shion! Verdammt was...?«, begann er, doch dann lächelte er mich liebevoll an und legte seine rechte Hand auf meine Wange. Ich weinte. Ich hatte es gar nicht bemerkt. Heiße Tränen quillten nur so aus meinen Augen. Ich konnte sie nicht stoppen. Fest drückte ich mein Gesicht an Nezumis Brust. Der Grund, warum ich ihm nach gelaufen bin...
Nun sag es ihm schon Shion! Bevor es zu spät ist!
Ich wischte die Tränen mit dem Ärmel meines Mantels weg und begegnete Nezumis Blick, welcher erwartungsvoll auf mir ruhte. Mein Herz begann zu rasen. Ich schluckte hart und atmete noch einmal tief ein und aus. »Es gibt etwas, dass ich dir noch sagen wollte.« Nezumi legte leicht den Kopf schief und wartete geduldig. »Also... I-ich...äh...« Ich merkte, wie meine Wangen glühten. Langsam schloss ich die Augen um meine Worte noch einmal zu sortieren und mich zu beruhigen.
Du schaffst das! Es ist nicht schwer. Bevor es zu spät ist!
Ich öffnete meine Augen wieder. »Nezumi, ich...Ich liebe dich!«, brach es aus mir heraus. Und mit diesen Worten presste ich meine Lippen auf seine.
In diesem Kuss lagen so viele Gefühle meinerseits: Liebe, Trauer und auch Angst. Aber ich wollte das meine Liebe ihn erreicht. Nezumi erwiderte den Kuss sofort und wir bewegten unsere Lippen im gleichen Rhythmus. Ich drückte meine Lippen näher an die seinen und wurde fordernder. Doch aus Sauerstoffmangel musste ich den Kuss lösen. Ich keuchte und atmete schwer, geschuldet dass ich kurz zuvor gerannt bin. Fordernd blickte der unter mir Liegende mich an. »Soll ich dir zeigen, was ein richtiger Kuss ist?«, wisperte er in mein Ohr. Bei dieser Frage schauderte ich und meine Unachtsamkeit nutzte er, um mich zu überwältigen. Er saß nun auf mir und presste meine Hände auf den Boden, sodass ich mich nicht bewegen konnte. Skeptisch sah ich ihn an, während sich ein Grinsen auf seine Lippen schlich, da er nun die Oberhand besaß. Ich schluckte. Langsam kam Nezumi meinem Gesicht näher, wobei er mich keine Sekunde aus den Augen ließ. Wenige Millimeter vor meinen Lippen stoppte er. Er musterte mich und sah mir noch ein Mal tief in die Augen, bevor er den Abstand unserer Lippen verringerte, und seine Lippen auf den meinen ruhten. Wieder stieg mir die Hitze ins Gesicht. Nezumi bewegte seine Lippen sacht und ich meine rhythmisch zu seinen. Er fuhr mit der Zunge meine Unterlippe entlang und biss kurz hinein, baht um Einlass. Ich öffnete meinen Mund ein wenig, und er erkundete das neue Gebiet mit seiner feuchten Zunge. Unsere Zungen umkreisten sich spielerisch und ich konnte ein leichtes Keuchen nicht unterdrücken, als Nezumi langsam unter meinen Pullover fuhr. Seine Hände waren kälter als meine Brust, aber nicht eiskalt. Sie jagten mir einen Schauer über den Rücken und auf meiner Haut bildete sie eine Gänsehaut.
Mir wurde schlagartig bewusst, was wir hier eigentlich trieben.
Was wenn jemand vorbei kommt und uns jetzt sieht?
Nezumi schien meine Unsicherheit und Angst zu spüren, denn er stoppte sofort. Er ging von mir runter und reichte mir seine rechte Hand, damit ich aufstehen konnte. »Eure Majestät.« Ich ergriff sie dankend und lächelte ihm in sein Gesicht. Ein roter Schimmer legte sich nun auf seine Wangen und ich kicherte leicht. Jetzt erst klopfte er den Staub aus seinen Klamotten. Ich tat es ihm gleich und bevor ich fertig war, packte Nezumi schon meine Hand. »Komm mit Shion.« Seine Stimme klang warm, dennoch schliff er mich regelrecht hinter sich her. »Warte! Wo wollen wir hin Nezumi?« Ich war etwas verunsichert als wir uns wieder in Richtung No.6 begaben. Mit einem frechen Grinsen auf den Lippen drehte er seinen Kopf zu mir. »Das ist ein Geheimnis.« Dabei legte er einen Zeigefinger auf seine Lippen, als wolle er mir ein Zeichen geben, dass ich leise sein soll. Ich nickte nur etwas unverholfen, wobei unser Weg durch überfüllte, müllige Straßen führte. Wir befanden uns im Westblock und ich fragte mich, wo Nezumi mit mir hin wollte. Immernoch hielt er meine Hand, diesmal seinen Gang an meinen angepasst. Ich stieß etliche Male gegen die Leute, die uns entgegen kamen. Doch ich entschuldigte mich nicht. 'Es würde sowieso nichts ändern. Es dient doch nur dazu, dein Gewissen zu erleichtern.' Das hat mir Nezumi gesagt, als Antwort auf meine ewigen Entschuldigungen. Damals hatten seine Worte mich schwer getroffen, doch mittlerweile habe auch ich verstanden, was er mir damit damals sagen wollte.
Wir gingen einen steinigen Hügel hinauf, und ab hier kannte ich den Weg. Schon zig male bin ich hier entlang gelaufen. Die alten, verfallenen Ruinen der früheren Gebäude hier. Die provisorischen Hütten, aus allem was man so fand, in denen Menschen wohnten. Und der Bunker, zu welchem wir unterwegs waren. Ich wusste das dies unser Ziel war.
Ich ließ Nezumis Hand los und rannte vor. Wirbelnd drehte ich mich um und sah Nezumi, der den Kopf schüttelte, sich ein Lächeln aber nicht verkneifen konnte. Seine Hände vergrub er in den Taschen seiner Lederjacke und seine zu einem Zopf zusammen gebundenen dunklen Haare, wehten leicht in der warmen Brise. Er sah unglaublich... schön aus.
Ich war schon vor ihm am Eingang zum Bunker und drückte auf den losen Stein auf der linken Seite. Die metallische Wand schob sich zur Seite. Ganz gemütlich kam Nezumi nun auch, während ich die Treppe nach unten ging.
Langsam drückte ich die Klinke der Tür vor mir herunter und betrat das Zimmer. Der Geruch von alten Büchern stieg mir in die Nase und ich atmete sie tief ein.
Wie ich dieses Zimmer doch liebe!
Auch Nezumi kam kurz nach mir herein und lehnte am Türrahmen, die Hände immernoch in den Jackentaschen. Er lächelte mir sanft zu, bis ich ihm am Ärmel hinein zog und die Tür hinter ihm schloss. »Hier wolltest du also mit mir hin!«, lachte ich ihm zu und als Antwort nickte er. Ich sah mich im Raum genauer um. Es hatte sich nichts verändert: das Klavier stand noch an seinem gewohnten Platz links an der Wand, und wie sonst auch, stapelten sich Unmengen an Büchern in den Regalreihen auf der rechten Seite. Auf dem Tisch lagen ebenfalls ein paar Bücher und ich schnappte mir eines davon.
Es war Faust.
Mit der Lektüre in der Hand setzte ich mich auf das Bett, links in der Ecke, und betrachtete den braunen, abgenutzten Einband des kleinen Buches. Faust... Ein wenig Wissen konnte ich mir ja bei der Sortierung der Bücherregale aneignen.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, welche meinen Kopf zur Seite fahren ließ. Nezumi hatte sich neben mich gesetzt und sah mich mit einem unbeholfenen Lächeln an. Ich konnte mir schon denken, dass ich in diesem Moment ein besorgtes Gesicht machte. Verständlich, wenn die Person, die man liebt, einen verlassen möchte.
»Du weißt, warum ich gehe.«, antwortete er, als wäre er in der Lage, meine Gedanken lesen zu können. Ja, natürlich wusste ich warum er im Begriff war zu gehen. Nezumi war nun wie der Wind: dynamisch, stark und immer in Bewegung. Es hielt ihn nichts mehr hier. Selbst für mich würde er nicht bleiben, da ich mit einer der Gründe war, weshalb er gehen wollte.

Weshalb er ging.

Am nächsten Morgen wachte ich auf, und er war fort. Er hatte mich einfach so zurück gelassen. Ohne ein Wort hat er sich aus dem Staub gemacht. Es wäre sowieso nur in einer endlosen Diskussion ausgeartet und es war mir von Anfang an klar, dass er gehen wird. Ich rappelte mich auf und mein Blick fiel sofort auf das kleine, braune Büchlein, welches auf dem Tisch, vor dem Sofa, lag.
Faust.
Ich drehte und wendete es in meiner Hand und letztendlich, klappte ich es auf. Am oberen linken Rand stand etwas, in einer schönen geschwungenen Schrift, dass mir den Atem nahm. Es waren Nezumis letzten Worte an mich. Eine einzelne Träne bahnte sich seinen Weg über meine Wange, bis sie auf das vergilbte Papier fiel und einen dunklen Fleck darauf hinterließ. In Gedanken las ich die Worte, auf die ich so lange gehofft hatte, jedoch nie zu hören bekam.

'Ich liebe dich, Shion.'

Stand by me!! - Alternatives Ende zu No. 6 (Nezumixshion)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt