"Sie müssen doch die Schüsse gehört haben?"
Ich hatte die Frage jetzt schon unzählige Male gehört. Waren es zwanzig oder dreißig mal? Ich weiß es nicht mehr. Aber irgendwie scheint mein Gegenüber sich immer zu wiederholen. Wobei - ich kann nicht mal genau sagen, ob es immer der gleiche Polizeibeamte ist, der mir diese Frage stellt. Zu Beginn vor gefühlten Stunden war es ein Polizist in Uniform. Er hatte mich in diesen Raum geführt, auf den Stuhl gesetzt, mir die Handschellen abgenommen und einen Kaffee hingestellt. Die Stimme klang so ähnlich wie die von der Person, die mir jetzt die Fragen stellt. Ich denke drüber nach, ob oder ob nicht es die gleiche Stimme ist, aber am Ende ist es sicher egal. Er spricht jetzt mit diesem Südstaatenakzent, der es mir teilweise unmöglich macht, ihm zu folgen. Was habe ich denn erwartet? Schließlich bin ich hier in Dallas in Mitten von Texas. Da haben wir noch Cowboys, die beim Sprechen Ihren Bubblegum nicht rausnehmen.
Mein Gegenüber kann ich nur als Lichtgestalt sehen. Er steht im Licht der drei vergitterten Oberlichter und verdeckt mit seinem breiten Kreuz immer einen großen Teil des jeweiligen Fensters. Meistens steht er genau in der Mitte des mittleren Fensters, aber während er immer wieder die gleichen Fragen stellt, wette ich für mich, ob er wieder nach rechts oder links geht. Meine Quote ist gut! In mehr als 7 von 10 Vorhersagen habe ich recht.
Jetzt geht er nach Links. Mist - ich habe auf rechts getippt.
"Sie sehen nicht aus wie ein Landstreicher." Das nehme ich als Kompliment. "Warum drücken Sie sich dann da herum, wo sich normalerweise nur diese Typen herumdrücken?"
Ich schweige. Das hat sich bewährt. Und außerdem hat man mir das so gesagt.
"Eh, Mann! Sie laufen Gefahr, sich gerade in etwas ganz Großes zu verstricken. Sind Sie sich bewusst, was Sie getan haben?"
Darauf durfte ich reagieren. "Ich habe nichts gemacht - gar nichts. Wir haben nur Karten gespielt, die Jungs und ich." Es ist mir erlaubt, die Informationen in kleinen Happen auszuspielen. Ich weiß, dass ein pures Verweigern sonst dazu führt, dass ich hier in Untersuchungshaft verschwinde und vielleicht nie wieder auftauche.
"Die Jungs und Sie? Wie viele seid ihr gewesen?"
"Einige. Ich hab sie nicht gezählt." Ich wirke deutlich genervt und zeige offen, dass ich weg will.
"Reden Sie nicht solch einen Quatsch, Mann! Sie wissen es - wir wissen es."
"Warum fragen Sie dann?"
Mein Gegenüber macht einen Satz auf mich zu und drückt sein Gesicht fest vor mich, so dass ich einen eklige Mischung aus Bubblegum und Kaffee zu riechen bekomme. Auch sein Aftershave bedarf einer dringenden Verbesserung. "Junge, Sie wollen mich nicht verstehen, oder?"
Junge? Ich war schön über zwanzig. Jetzt reagiere ich lieber nicht, bevor er mir noch seinen Kaugummi anbietet.
"Besitzen Sie eine Waffe?" Die Frage habe ich heute auch schon oft gehört.
"Das ist in Texas doch erlaubt, oder?"
"Ja, klar. Aber die wenigstens haben Präzisionsgewehre."
Das kann ich nicht bestätigen, denn in meine alten Nachbarschaft hatte jeder zweite so ein Teil. Ich hielt aber meine Klappe.
"Sind Sie ausgebildeter Scharfschütze?"
"Ja, ich war bei der Army."
"Gut, das ist doch schon mal was. Wo ist Ihre Waffe jetzt?"
"Ich habe nicht gesagt, dass ich eine besitze."
Der Typ griff meine Schulter und schüttelte mich. "ES IST MIR EGAL WAS SIE SAGEN!" Dann tritt er wieder vor das mittlere Fenster. "Für das, was Sie getan haben, wandern Sie in den Bau, werden vielleicht sogar hingerichtet."
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Zeit gegen das Vergessen - Lost in remember
Ficción GeneralEin erfülltes Leben ist voller Kurzgeschichten und Stoff für Romane. Der Mann hat viel erlebt und erinnert sich in seinen Träumen. Aber so wie Träume sind, spiegeln sie nicht nur die Realität wieder, sondern sind vermischt mit blumigen Ergänzungen...