Es wäre so einfach gewesen, Dan einfach das zu sagen, was gerade in meinen Kopf vorging. Ich war mir sicher, dass, wenn ich dies getan hätte, von da an alles besser gewesen wäre. Ich hätte mich ihm geöffnet, er hätte mir geholfen und mein Leben wäre vielleicht wieder auf die richtige Schiene gelenkt worden. Aber ich war zu stolz dafür, denn wenn ich dies wirklich getan hätte, hätte ich zugegeben, dass er Recht hatte. Zwar lag er mit allem, was er mir eben an den Kopf geworfen hatte, richtig, doch das musste er ja nicht wissen. Es war sowieso zu spät mein Leben jetzt noch zu verändern.
Noch immer lieferten sich mein Sandkastenfreund und ich ein Blickduell, bei dem sich seine blauen Iriden mit meinen grünen trafen. Ich konnte einfach nichts sagen, weshalb ich ihn einfach nur anstarrte und schwieg. Nach einer Zeit legte er seinen Kopf in den Nacken, sog scharf Luft ein und murmelte:<Warum ist es nur immer so kompliziert mit dir, Juliet?>
Ja, das war eine gute Frage, auf die ich aber keine Antwort fand. Ich löste meinen Griff und ging weiter, was Dan mir sogleich nach tat.
Ich versuchte das morgige Gespräch mit Dan in die hinterste Ecke meines Kopfes zu verdrängen, da ich davon einfach nichts mehr wissen wollte. Glücklicherweise fiel mir das nicht so schwer, denn als ich das Höllentor erblickte, konnte ich nur an den bevorstehenden grausamen Tag denken. Der Eingang zur Hölle war weit geöffnet, und sofort als wir sie betreten hatten, wurde Dan von einem Dutzend Dämonen begrüßt. Sie hängten sich wie Kletten an ihn. Es nervte einfach nur, dass er so beliebt war, denn jeden Tag musste er, und somit auch ich, sich mit seinen lästigen Fangirls, oder wie ich sie immer liebevoll nannte: Dämonen, herumschlagen. Geduldig wartete ich immer etwas abseits auf ihn, bis er seine Dämonen loswurde. Dans Strategie: bisschen Smalltalk, lächeln, nicken und bei der nächst besten Gelegenheit das Weite suchen. Aber am heutigen Tag waren die Mädels richtig hartnäckig, sie ließen dem armen Daniel einfach kein Entkommen, indem sie ihm nicht einmal zu Wort kamen ließen. Sie laberten ihn mit Berichten über ihr Wochenende voll oder überhäuften ihn mit Komplimenten, wie toll seine braunen Haare doch heute liegen würden oder so. Er sagte mir zwar immer, dass es ihn genauso nerven würde, aber so richtig glauben wollte ich das nicht. Mir schien es, als würde er die Aufmerksamkeit schon ein wenig genießen. Aber ich war der Meinung, dass es einfach nur nervte. Dann als die Dämonen anfingen ihn mit ihren Griffeln zu befummeln, brannten bei mir alle Sicherungen durch. Was sollte das denn werden? So was konnte ich mir echt nicht länger ansehen. Augenverdrehend ging ich auf die Gruppe zu, packte meinen besten Freund am Kragen und schleifte ihn von dem Haufen enttäuschten und empörten Mädchen weg. Dan grinste nur wieder sein altbekanntes Grinsen und ließ sich von mir mit ins Schulgebäude ziehen, wo meine Nerven mal wieder am Ende waren und ich ihn zur Rede stellte.
<Du lässt dich von denen immer volllabern!>, warf ich ihm vor, obwohl es mich eher weniger interessierte. Aber so dumm wie Dan mal wieder war, interpretierte er da etwas ganz anderes hinein. Breit grinsend sagte er:<Oh, wie süß, du bist eifersüchtig, Juli.>
Klatsch!
Auf so ein scheiß Kommentar hatte er sich erstmal 'ne Ohrfeige verdient. Ich und eifersüchtig? So ein Quatsch!
Seine Wange färbte sich rot, was aber nichts an seinem Grinsen änderte. Er hob abwehrend seine Hände und sagte dann:<Ist gut. Du bist nicht eifersüchtig.>
Ich nickte kurz, als Bestätigung meiner Zufriedenheit und setzte mich dann auf meinen Platz im Klassenraum, bei dem wir mittlerweile angekommen waren. So wie immer besetzte Dan den Stuhl neben mir, verschränkte seine Arme auf dem Tisch und legte dann seinen Kopf drauf. Gelangweilt fiel mein Blick durch das Fenster auf den Schulhof. Die Kirschblütenbäume waren wunderschön anzuschauen und ihre Blütenblätter tanzten federleicht durch den angenehmen Frühlingswind. Dieser Anblick war sowohl schön als auch traurig, denn er erinnerte mich an unseren alten Garten. Früher, bevor meine Eltern gestorben waren, wohnte ich mit ihnen und meinem großen Bruder un einem Haus mit großen Garten, in dem ebenfalls ein Kirschblütenbaum stand. Dan und ich hatten immer unter ihn gespielt. Aber das war damals, bevor ich vom Jugendamt zu einer Pflegemutter gebracht wurde und mein Leben sich verändert hatte.
<Juli>, nannte Dan meinen Namen, was mich aus den Gedanken riss. Ich drehte mich zu ihm und sah ihn mit fragenden Blick an. Er lächelte leicht. Wenn ich ihn gefragt hätte, warum, hätte er wahrscheinlich mit "Es ist süß, wie gedankenversunken du manchmal bist" oder so was ähnlichem geantwortet. Aber so was konnte er sich schenken, deswegen fragte ich erst gar nicht. Stattdessen wollte ich wissen, was er von mir wollte.
<Ich habe gesagt, dass ich dich heute leider nicht nach Hause bringen kann, weil ich noch etwas Wichtiges zu erledigen habe>, erklärte Dan mir, worauf ich nur nickte, um ihn zu zeigen, dass ich das wahrgenommen hatte.
Dann kam auch schon unser Lehrer herein und der Unterricht begann.