let's set the world on fire with a scented candle.

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Ein Merkmal vom klassischen Drama ist, dass die Helden eine große Fallhöhe haben.

Heinrich Holland legte jedoch zunächst nur einen kleinen Stolperer hin, als er aus seinem Sportwagen ausstieg, und den ersten Fuß auf den Schotter der für ihn bisher völlig unbekannten Gartenanlagenwelt setzte. Doch, so wie er war, tat er natürlich so, als wäre das gerade eben gar nicht passiert.

Er log sich sogar so gut dabei an, dass er sich die nächste Sekunde schon wieder so verhielt, als hätte er den epischsten Schritt gewagt und gerade als erster auf der Welt hier.. geparkt.

Und er war wohl auch schon etwas dicht. Jeder sah zu ihm, wirklich jeder. Er wiederum sah zu niemandem. Und irgendwie wirkte er nicht mal blöd dabei. H. H. war einfach ne Nummer für sich.

Alle waren gespannt, wie sich dieses Wesen hier in der bürgerlichen Natur zurechtfinden würde, doch ihm schien diese Welt gar nicht all zu neu zu sein. Denn.. er.. öffnete ohne mit der Wimper zu zucken das Tor vom Nebengarten. Und machte sich zufrieden lächelnd auf den Weg zur Laube. Auf halber Strecke blieb er stehen, schaute immernoch wie ein komischer Kauz nach unten, hob dabei aber den Zeigefinger, als wäre ihm gerade etwas Wichtiges eingefallen, und machte dann eine schwungvolle Drehung auf dem Gartenweg. Die teuren Nikes knirschten dabei auf dem Kies so, wie teure Nikes auf Kies das nicht tun dürfen, und weckten bei Nika direkt den Gedanken an Mikroplastik.

Sie nippte halb abwesend und geradeausstarrend an ihrem Gemüsesaft. Das was sich hier gerade bot war die Show, die Wahrheit, der Beginn und das Ende. Also alles in allem ziemlich spannend.

"Hey, Nachbarn.", er machte ein paar Schritte auf den Zaun zu und winkte freundlich. Man musste schon zugeben, dass seine Schauspielerei, als wären ihm alle anderen jetzt erst aufgefallen, irgendwie attraktiv war, auf eine selbstironische und doch egoistische Art und Weise. "Und Nachbarinnen", fügte er hinzu. Es war nichtmal erkenntlich ob er das abschätzig meinte oder versöhnlich. Und bis jetzt konnte sich die Situation hier zu allem, wirklich allem entwickeln. Der Abend war noch jung, vielleicht auch eigentlich noch gar nicht bereit für Heinrich Holland.

Nika schluckte und schraubte ihren Saft zu, wie schon zum tausendsten mal an diesem Abend, und wagte einen Seitenblick auf Alma.

Und Alma, sie wirkte.. seltsam gefasst. Oder auch gepackt. Aber nicht von Angst, sondern eher von.. Aaa..ben...teuerlust? Oder so?

Abgesehen davon, dass die einzige Nachbarin ja wohl Alma war, und der Rest ja nur ihre Gäste, war das alles eine recht sonderbare Situation. Diese soziale Assymetrie zwischen H. H. auf der einen, und der Party auf der anderen Seite, des gerade so hüfthohen Gartenzauns.

Heinrich schaute Alma an. Alma schaute zurück. Dann zischte es. A und H schauten sich an und es zischte. Wirklich! ... Okay, Alma erschrak und hielt ihren Drink wieder gerade, von dem sie gerade aus Versehen etwas auf den Grill geschüttet hatte. Aber trotzdem.

"Hi.", sagte irgendsoein unwichtiger Typ von Almas Seite, der leider nicht weiter charakterisiert werden darf, da er einfach sehr unwichtig bleiben muss. Auch Almas Kirschbaum winkte ein bisschen mit einem Zweig. Dann war das Eis also gebrochen, ein paar Leute sagten Hi, ein paar nicht, und die Stimmung wagte es, sich wieder zu lockern.

Nika ging zu Alma an den Grill und schob sie ein wenig von dort weg. "Hey, was ist?", fragte Alma ungläubig und wendete noch hastig einen Gemüsespieß, ehe sie komplett weichen musste. "Ich lös dich ab und du sagst deinem Nachbar hallo!" meinte Nika voller Selbstverständlichkeit. "Holland ist -!" "Shhhh!", machte Nika und hielt die Grillzange vor Almas Lippen, wodurch diese hektisch irritiert zurückwich. Dann hob Nika alles sagend einmal die Augenbrauen, wedelte mit der Grillzange zauberstabmäßig in Richtung Heinrich Holland herum, und nickte dann zufrieden, als Alma schließlich widerwillig lostrottete.

Holland spähte gerade fröhlich schweigend als wortwörtlicher Zaungast in die Party, sich selbst Gesellschaft leistend. Alma schlich sich ein bisschen an und stützte sich dann auf dem dünnen Drahtzaun ab, um durch das Wackeln auf sich aufmerksam zu machen. Oder weil sie sich ungeschickt und unüberlegt abstützte, doch das hier ist schließlich Alma, also gehen wir von Ersterem aus.

Heinrich erwachte aus seiner Abendträumerei und schaute Alma erst überrascht und dann zufrieden an. "Na, seit wann sind wir denn Nachbarn?", fragte sie, und wirkte dabei so cool und das war genau das Gegenteil von ihrem Inneren, soviel kann ich euch als allwissender Erzähler sagen, Leute.

"Eh..", setzte Heinrich an, doch Alma nickte nur zum Gartentor "Ich lass doch meinen Nachbar nicht neben der Party hocken."

Und Heinrich Holland, das ansonsten so arrogante Arschloch, lächelte sie tatsächlich total dankbar und voller friedlicher Verbindlichkeit an.

Aber andererseits war das wohl der Beginn einer kleinen Eskalation.

- - - -

Anders pennte gerade am Zugfenster ein, als Nika ihn anstupste und ihn bat, aufzuwachen. Sie hielten gerade beim Leipzig Hauptbahnhof tief, Anders blinzelte verschlafen zum Gleis, wo ein paar vereinzelte Leute genauso müde warteten wie er gerade hier auf seinem Platz saß. Ein Typ lief am Bahnsteig mit dem Blick nach unten, ganz langsam und entspannt, auf dem Blindenstreifen entlang. Und Anders lächelte, weil er wusste, dass der Junge diese Streifen beim Darüberlaufen spürte, und deshalb dort so entlangging. Kurz fühlte Anders diese flüchtige Seelenverwandschaft, die man eben manchmal so fühlt (oder?) doch da fuhr die Bahn schon weiter.

Die Bahn zum Markt, fast nach Hause. Von Markkleeberg aus. Von Almas Geburtstagsparty.

Und auf einmal kamen Anders wieder die Bilder von Menschen in Klamotten in Whirlpools, und von Yuppies an einem Hippie-Lagerfeuer mit Gitarre, und von Sturmfeuerzeugen und brennenden Büschen in den Kopf. Weil sich jemand eine Duftkerze, eine fucking Duftherze! anzünden wollte, und sich dabei unbedingt vom Wind wegdrehen musste. Nichtmal ne Kippe, ne Duftkerze! Und ihm kamen die Bilder von Mate als Feuerlöschersatz in halb niedergebrannten Büschen, und die Bilder von umgerannten Gartenzäunen, in den Kopf. Sein Kopf war voll von Polaroids. Die hatten sich da einfach sofort entwickelt.

Almas tränenverklebtes Gesicht, ihre Bierfahne und die Lagerfeuerhitze in ihrem Gesicht. Und wie sie sagt: "Naja, egal. Wozu braucht man denn eigentlich Gartenzäune?"
Es klang ziemlich aufgekratzt und auch ziemlich rebellisch.
Und Heinrich hat einen Schritt auf sie zu gemacht und gesagt "Du hast Recht. Fick Zäune."
Das war Anders noch im Kopf geblieben.

Aber mehr weiss Anders nicht mehr. Er hat vielleicht auch ein bisschen viel getrunken. Vielleicht ist er sehr müde. Vielleicht war das alles sehr komisch.

"Erklärst du mir morgen früh nochmal alles?", fragt er Nika.

"Vielleicht.", sagt seine Schwester.

Und dann schläft Anders tatsächlich noch ein, kurz bevor sie da sind, und er eh gleich wieder aufstehen muss, und es irgendwie noch nach Hause schaffen, trotz Müdigkeit.





Ernst und AndersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt